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(^Das Lied hört sie abends beim Spaziergang)

VIELEN VIELEN DANK FUER DIE 1K ✨️🥺

Masha Karminsky:

Als ich am späten Nachmittag zu Hause saß, konnte ich nicht aufhören, über Elisabeth nachzudenken. Was war das nur? In was war ich hier hineingedriftet? Würde ich sie nun unterrichten müssen? War ich ihre Dozentin? Ich war mir unklar darüber, ob es uns dann überhaupt noch gestattet war, zusammen oder was auch immer wir nun waren zu sein. Was wenn ich sie nun wieder verlassen und aus meinem Leben streichen musste? Das ging nicht. Oder was ein noch viel schlimmerer Gedanke war, war die Angst davor, dass es sie sein würde, die sich nun von mir entfernen und aus meinem Leben verschwinden würde. Ich hatte wirklich Panik davor, dass es so sein könnte und ich fühlte mich schrecklich. Es passierte selten, dass es so weit kam, aber ich hätte wirklich heulen können. Aber ich heulte nicht. Viel zu sehr war der Gedanke daran, dass ich ein verweichlichter Schwächlings war, wenn ich heulte in meinem Kopf. So hatten meine Eltern es mir beigebracht - auch wenn ich ein Mädchen war. Ich durfte nicht heulen und in diesem Moment konnte ich mich auch bei bestem Willen nicht an den Moment erinnern, in dem ich es das letzte mal tat. Nun war ich kurz davor, aber ich tat es nicht. Irgendwie ging es auch nicht und ganz kurz überlegte ich, ob es mir helfen würde, die Gedanken und die Ängste zu ertränken, aber das war hochgradig kontraproduktiv, schließlich musste ich schon am nächsten Tag wieder an der Universität sein.
Gegen 18 Uhr entschied ich mich dazu, eine Runde spazieren zu gehen. Tatsächlich nicht wie immer durch den Stadtpark, sondern den weiteren Weg. Den Weg, der zum Meer führte. Im Stadtpark hatte ich eine viel zu große Angst davor, Elisabeth über den Weg laufen zu können. Verdammt, mittlerweile dachte ich schon auf so eine Art und Weise. Ich fürchtete mich davor, ihr zu begegnen. Warum überhaupt? Es war klar, dass mich ihr Gesicht dann sofort daran erinnern würde, dass das, was wir erst seit einer so kurzen Zeit waren nun nicht mehr möglich war, aber sonst gab es nichts, wovor ich Angst haben musste.
Der Weg zum Meer war lang, ich ging fast eine halbe Stunde und auch, wenn ich im Straßenverkehr immer aufmerksam war und aufpasste, hörte ich die ganze Zeit über dasselbe Lied in Dauerschleife über meine Kopfhörer. Zu den dunklen Melodien des vom sowjetischen Post Punk inspirierten Liedes ging ich die Wege entlang, bis ich an dem kurzen Stück Strand ankam. Es war kein feiner, weißer Sand, kein blaues Wasser. Vielmehr waren es gräuliche Kieselsteine und eine dunkle Suppe aus Algen. Eigentlich nicht besonders ansehnlich. Trotzdem setzte ich mich in diesem Moment auf eine Bank etwa vier Meter vom Wasser entfernt und atmete die kühle Abendluft ein. Mittlerweile war April - es wurde immer später dunkel.
Doch das ruhige Meer, die leicht kühle Brise, die Einsamkeit, auf dieser Bank zu sitzen und auf den Horizont hinauszuschauen beruhigte mich kaum. Vielleicht mochte es nur daran liegen, dass die Musik, die ich hörte, düster war, ich jedes einzelne Wort der Sprache verstand und meine eigene Interpretation daraus zog. Клетка - die Zelle, der Käfig. Es klang seltsam und dazu noch ironisch, zu behaupten, dass ich mich in diesem Augenblick so fühlte, als wäre ich gefangen. Ich saß an der Ostsee, sah auf eine beinahe endlose Wasserfläche hinaus und merkte nebenbei, wie ich aufgrund der leichten Kälte am Abend zitterte, der Wind mit meinen roten Haaren spielte. Ich war alles andere, als eingesperrt - äußerlich zumindest. Innerlich sah es wirklich anders aus. Ich fühlte mich hauptsächlich, als sei ich in einem Käfig, weil ich daran dachte, wie ich nun einerseits an die Universität gebunden und auf meinen Job Dorf angewiesen war, andererseits aber an Elisabeth dachte und sie keinesfalls verlieren wollte. Würde ich sie verlieren, wäre mein Herz gebrochen, sagten mir meine Gefühle. Mein Verstand wollte mir sagen, dass es so viele andere Wege gab, das Problem zu lösen oder wenigstens damit umzugehen. Aber mein eigentlich immer rational denkender und logischer Verstand wollte in diesem Moment nicht mehr und schaltete sich als Folge vollständig aus. Es gab nur noch mein Gefühl - mein verdammtes, anstrengendes und unangenehmes Gefühl. Ich fragte mich wirklich, wie es jetzt mit Elisabeth und mir weitergehen sollte. Und vor allem fragte ich mich, ob es einen Weg gab, eine Beziehung oder irgendetwas in der Art zu führen, ohne dass es unserem inzwischen mehr oder weniger geschäftlichen Verhältnis schadete. Aber selbst wenn - ich befürchtete immer noch viel mehr, dass Elisabeth nun emotional vollkommen am Ende war und Angst davor bekam, jemals wieder etwas zusammen mit mir zu machen.
Nachdenklich seufzte ich und sah auf das Wasser hinaus, bevor ich meinen Blick auf mein Handy senkte, auf welchem ich lesen konnte, dass das Lied, welches ich auf Dauerschleife hörte, nun ein weiteres Mal begann. Wieder musste ich tief und hörbar durchatmen. Ich dachte nach, obwohl ich genau das eigentlich nicht wollte. Warum musste das Leben so sein, wie es war?
Gerade wollte ich wieder auf das Wasser sehen und mich durch den leichten Wind in meinen Haaren zu einem Gefühl von Freiheit und Ruhe verdonnern, als ich bemerkte, dass mich jemand anrief. Hektisch sah ich zu meinem Handy und als ich die Nummer erkannte, blieb mein Herz für mindestens eine Sekunde stehen. Ich dachte nicht, dass Elisabeth mich nach der ganzen Sache noch einmal kontaktieren würde, aber sie tat es - sie rief mich an. Eigentlich wollte ich erst nachdenken, erst die guten und die schlechten Seiten abwägen, aber ohne zu zögern, nahm ich den Anruf an.
"Elisabeth? Was gibt's", ging ich ans Telefon und ich bemerkte, wie heiser meine Stimme klang. Daraufhin musste ich mich räuspern.
-"Masha... Ich... Sorry... Ich...", begann sie. Ihre Stimme brach immer wieder ab und ich konnte durch den kleinen Bildschirm meines Handys und durch den alten Lautsprecher hindurch spüren, dass Elisabeth unter einer ziemlichen Anspannung stand. Ich konnte es ihr nicht verdenken, wollte ihr diese Anspannung aber so schnell wie möglich nehmen.
"Atme erstmal in Ruhe durch, Okay?", meinte ich, obwohl meine Stimme selbst zitterte. Ich war kein gutes Beispiel, dennoch hörte ich nach einigen Sekunden, wie der anderen Seite jemand deutlich ein und ausatmete. Elisabeth begann wieder, zu sprechen.
-"Masha...", sagte sie meinen Namen, sofort wurde ich, deren Gedanken fast wieder in ein leeres Nichts abgedriftet waren, aufmerksam und als Elisabeth daraufhin mit zitternder, immer weiter brechenden Stimme "Ich vermisse dich" sagte, brach mein Herz in tausende Einzelteile. Das alles tat ziemlich weh.

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