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Elisabeth Karlsson:

Nachdem wir Kaffee getrunken und das Café verlassen hatten, gingen wir langsam die Straßen entlang zurück zum Bahnhof. Masha hielt meine Hand mit ihrer verschränkt und ich musste aus irgendeinem Grund ununterbrochen lächeln. Dabei war vor nicht einmal zwanzig Minuten eine eher unschöne Situation entstanden. Es war nicht Mashas Schuld, schließlich konnte sie es noch nicht wissen, aber es stach in meinem Herzen, an meine verstorbene Mutter oder eher an meine verstorbenen Eltern generell zu denken.
-"Es ist schon ganz schön dunkel, oder?", fragte Masha plötzlich, als wir auf den Weg zum Bahnhof zugingen, welcher ziemlich schlecht beleuchtet war. Es stand nur eine einzige Straßenlaterne dort, der Rest war dunkel. Ich hatte zwar keine Angst in der Dunkelheit und Masha bestimmt auch nicht, schließlich wirkte sie, als würde sie vor nichts Angst haben können. Aber trotzdem verstärkte ich meinen Griff um ihre Hand und ging ein bisschen näher bei ihr, sodass sich unsere Schultern fast berührten.
Wir kamen schließlich um kurz vor 18 Uhr an dem kleinen Bahnhof an. Der Weg dorthin war ziemlich dunkel und zumindest für mich dann doch ein wenig unheimlich gewesen. Doch dass Masha bei mir war, ich ihre Hand in meiner hielt und sie die ganze Zeit über ruhig flüsternd mit mir redete, gab mir Sicherheit und nahm mir die Angst, die doch ein wenig aufgekommen war. Ich wusste nicht, dass mich die Dunkelheit doch verängstigen konnte, allerdings war in dem Augenblick schon die Sonne untergegangen, alles bis auf den Himmel war tiefschwarz. Deswegen war ich umso glücklicher darüber, dass wir nur ein kurzes Stück gehen mussten, bevor wir an dem Bahnhof ankamen.
-"Der nächste Zug fährt erst in zwanzig Minuten", meinte Masha, als wir den Bahnsteig betraten und ihre Stimme klang nicht sonderlich begeistert. Ich konnte es nachvollziehen - es war für Anfang April ungewöhnlich kalt und noch dazu ziemlich dunkel.
"Und was machen wir in der Zeit?", fragte ich einfach, als hätte ich mir nicht schon denken können, dass wir einfach warten und uns die Zeit vertreiben müssten. Masha ließ meine Hand los und stellte sich mir gegenüber. Sie kicherte plötzlich.
-"Wir kriegen die zwanzig Minuten schon herum, Elisabeth", sagte sie lächelnd und strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
Schließlich setzten wir uns auf eine dieser ungemütlichen Metallbänke, die immer auf Bahnhöfen herumstanden. Wobei dieser zugegebenermaßen ziemlich klein war, ich etwas wie das eigentlich nicht erwartet hatte. Das Licht von beleuchteten Werbeanzeigen an den Wänden des kleinen Unterstands, in welchem sich die Bank befand, schien seitlich auf Masha und mich. Für einen Augenblick schwiegen wir und sahen auf die Schienen.
-"Elisabeth?", sprach sie mich plötzlich an und ich merkte, wie sie mir etwas näher kam. Diese Wärme war plötzlich wieder da, so ganz nahe bei mir. Aufmerksam sah ich zu Masha, deren rote Haare im Licht der Werbetafeln einen bläulichen Touch bekamen. Ihre Augen glitzerten ein wenig und ich erwischte mich dabei, wie mein Blick zwischen ihren rosafarbenen Lippen und ihren tiefen, ziemlich dunkeln Augen hin und her wanderte.
"Ja?".
-"Ist dir kalt?".
Ich nickte sofort als Antwort auf Mashas Frage. Denn ich wusste nicht nur, dass es eine Tatsache war, dass mir kalt war. Ich wusste auch, dass eine Fragestellung dieser Art von ihr bedeutete, dass sie sich mir irgendwann in den nächsten Sekunden so nähern würde, dass ich ihre Körperwärme spüren konnte. Ich lächelte allein schon bei dem Gedanken daran.
Und keine zwei Sekunden später legte die große rothaarige Frau rechts neben mir ihre Arme um meinen Oberkörper, zog mich damit noch näher an sich. Die Kälte verschwand interessanterweise fast sofort aus meinem Körper. Ich hielt mich mit meinen Händen an ihrer dicken Daunenjacke fest und sie strich mit ihren Fingern vorsichtig über meinen Rücken. Es fühlte sich in dem Augenblick einfach warm und geborgen an. Ich liebte es, so nahe bei ihr zu sein, ihre zu Wärme spüren und mich in ihren Armen einfach geliebt und sicher fühlen zu können.
"Ich liebe es, so nahe bei dir zu sein... Das fühlt sich so gut an...", flüsterte ich und vergrub meinen Kopf in Mashas Schal. Ich hörte, wie sie kicherte und spürte, wie sie ihren Griff um meinen Körper daraufhin etwas intensivierte. Dadurch war mir viel weniger kalt, als vorher noch. Ihre feurig roten Haare kitzelten an meiner Wange, aber das machte mir nichts aus - ich verharrte einfach in dieser Position und genoss die Wärme von Masha.
Wenige Minuten später saßen wir in dem beinahe leeren Zug. Es waren zu dem Zeitpunkt wirklich wenige Menschen unterwegs und dementsprechend war es ziemlich ruhig in dem Abteil. Masha und ich waren fast die einzigen Menschen dort. Wir saßen wieder nebeneinander und ich sah müde und nachdenklich aus dem Fenster auf die dunkle Landschaft mit den wenigen Lichtern am Horizont, während Masha ihre Hand auf meiner Schulter platziert hatte, mit ihren Fingern vorsichtig darüber strich.
-"Du siehst nachdenklich aus", flüsterte Masha plötzlich, nachdem es mehrere Minuten lang still zwischen uns gewesen war und ich drehte langsam meinen Kopf, um zu ihr zu schauen. Sofort kam ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen und ich starrte in ihre dunklen Augen. Auch in meinem Gesicht tat sich ein Lächeln auf.
"Es ist alles gut", versicherte ich ihr. Eigentlich entsprach es auch der Wahrheit, schließlich hatte ich über nichts wirklich Negatives nachgedacht. Ich hatte einfach nur müde nach draußen gesehen und die Dunkelheit beobachtet. Masha nickte und legte schließlich
ihren rechten Arm um meine Schultern. Sofort fühlte ich mich wieder ein wenig wärmer, ein wenig besser, obwohl es mir eigentlich gar nicht schlecht ging. Dann wanderte mein Blick zwischen Mashas Augen und ihren Lippen hin und her. Erst jetzt bemerkte ich wieder, dass sie ganz leichte Sommersprossen auf ihrer Nase hatte - ich musste lächeln. Und schließlich legte Masha ihre Lippen auf meine und während ich meine Augen schloss und die ganze Sache viel zu sehr genoss, kam die Durchsage, dass wir in etwa zehn Minuten den Bahnhof unserer Heimatstadt erreichten. Es war die Endstation des Zuges. Masha und ich waren ziemlich vertieft in die gesamte Sache, vergaßen dabei fast, dass wir noch in dem Zug saßen. Denn als ich gerade mit meiner Hand unter Mashas Schal fuhr und diese an ihren warmen Hals platzierte, flüsterte sie mir kichernd zu: "Denke daran, wir sitzen immer noch im Zug", hielt dabei mein Gesicht liebevoll mit ihren Händen umfasst. Ich nickte und musste erst einmal realisieren, wo wir überhaupt waren. Trotzdem lächelten Masha und ich einander an - fast eine Minute lang, bevor Masha einen sanften Kuss auf meiner Stirn platzierte und mich dann in ihre Arme nahm. Ich sah dabei nach draußen und beobachtete das Geschehen draußen. Ich sah, wie die Dunkelheit der endlosen norddeutschen Landschaft langsam wich und die Lichter der Stadt zum Vorschein kamen. Währenddessen kuschelte ich mich ganz dicht an Masha und merkte dabei, dass ich fast hätte einschlafen können.
"Ich bin ganz schön müde", flüstere ich, während wir in den Bahnhof unserer Heimatstadt einfuhren. Masha kicherte, strich kurz mit einer ihrer Hände über meinen Kopf und meinte dann: "Durch das Gehen gleich wirst du bestimmt wieder ein bisschen wacher". Ich nickte und atmete noch einmal tief durch, wobei ich Mashas klaren, angenehmen Lavendelduft wahrnahm. Danach standen wir auf.

Nachdem wir den eher dunklen, unangenehmen Bahnhof, an dem es nur so von zwielichtigen Menschen wimmelte verlassen hatten und auf die ruhigeren Straßen zugingen, hatten wir beschlossen, dass ich mit zu Masha kommen würde. Sie hatte es mir angeboten und hatte es sofort angenommen. Ich hatte an diesem Abend und auch am Samstag ohnehin nichts vor und wollte nichts sehnlicher, als bei ihr zu bleiben. Ich glaubte zu diesem Zeitpunkt wirklich, dass ich in jener Phase war, in welcher man immer bei der geliebten Person in der Nähe sein will und nicht die Finger von ihr lassen kann. Und es war wirklich so - allerspätestens seit unseren ungewöhnlich intensiven Küssen im Zug konnten Masha und ich nicht die Finger voneinander lassen. Und es war nicht nur so, dass ich mich allgemein fragte, was Berührungen ihrerseits bei mir auslösen könnten, sondern auch so, dass ich es einfach liebte, sie zu küssen. Ihre Lippen waren schließlich weich und warm, außerdem merkte ich, dass sie das Ganze ziemlich gut konnte - jedes Mal schwirrten die Schmetterlinge aufgeregt durch meinen Bauch.
Alleine auf dem Weg vom Bahnhof zu der Straße, in welcher Masha lebte, hatten wir uns ganze fünf Male geküsst. Ich wollte dieses Gefühl immer wieder haben - und Masha signalisierte mir mit ihrem liebevollen Lächeln auf den Lippen und dem Leuchten in den Augen, dass sie es auch wollte. Und irgendetwas sagte mir, dass wir an diesem Abend unsere Nähe zueinander noch deutlich intensivieren würden.

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