#𝟘𝟝

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Elisabeth Karlsson:

Nachdem ich meinen Kaffee bezahlt hatte, stand ich auf und verließ das Café. Ich war zugegeben etwas hektisch, vor allem in meinen Gedanken. Ich hatte gemerkt, wie ich die ganze Zeit über gemustert wurde. Und das nicht etwa von dem alten Herren mit seiner Zeitung, einer der Bedienungen oder den Freundinnen, die sowieso recht schnell gegangen waren, sondern von der Frau mit den rostbraunen Haaren. Die mysteriöse Frau, die ich aus dem Park kannte, wenn man überhaupt von Kennen sprechen konnte.
Aber ihr Blick hatte die meiste Zeit über auf mir gelegen, sogar, als sie aus dem Café verschwunden war. Und das war eine Sache, über die ich einigermaßen froh war, da ich nicht mehr dieses Gefühl von Beobachtung und stechendem Mustern auf mir hatte, als ich dort saß und meinen Kaffee trank. Denn eigentlich hatte ich beschlossen, über nichts nachzudenken und für einen Moment zu entspannen, bevor ich nochmal zur Bibliothek gehen und Bücher für die nächste Einheit meines Studiums ausleihen würde. Aber das mit dem nicht Nachdenken klappte bei mir sowieso so gut wie nie.
Ich ging die Straße entlang, die voll mit Menschen war, die einkauften. Aber darauf war ich in dem Moment nicht aus. Einkaufen, und damit meinte ich eher Lebensmittel und ähnliches, tat ich in dem Supermarkt in der Nähe meiner Wohnung und nicht in den Fußgängerzonen, die nahezu überfüllt mit Touristen waren. Und ich war umso erfreuter darüber, als ich aus den schlendernden Menschenmengen verschwand und die große Straße entlang zu der Bushaltestelle ging. Der Bus zurück in Richtung Uni würde in ein paar Minuten fahren und ich hoffte, dass ich ihn rechtzeitig nehmen könnte, um nicht noch länger in der Nähe der vielen Läden, der Touristenmagnete sein zu müssen. Ich ging auf die Bushaltestelle zu, während ich meine Kopfhörer in die Ohren steckte und weiterging.

'There'll be times
When my crimes
Will seem almost unforgivable
I give in to sin
Because you have to make this life livable

But when you think I've had enough
From your sea of love
I'll take more than another river full
Yes, and I'll make it all worthwhile
I'll make your heart smile'

Während ich Musik hörte, stellte ich mich an die Bushaltestelle und sah mich kaum um. Um mich herum waren ein paar Menschen, die sicherlich ebenfalls mit dem Bus fahren wollten, aber auf diese Menschen achtete ich kaum, war eher mit meinem Handy und meinen Gedanken beschäftigt. Jonathan hatte mir geschrieben und wir hatten über das Café geredet, in welchem ich eben gewesen war. Ich hatte ihm von dem wunderbaren Kaffee und der Atmosphäre in dem kleinen Café erzählt. Dafür aber nicht von der Frau.
Der Bus kam nicht sofort und die Straße war trotzdem voll mit Autos und auch ein paar Menschen. Aus dem Augenwinkel sah ich den Bus in Richtung Haltestelle fahren.
Dann fiel mir eine relativ große Person vor mir auf und ich sah nach vorne. Nur gute zwei Meter vor mir stand jemand, den ich kannte, den ich sofort zuordnen konnte. Eine große Frau in einer olivgrünen Jacke. Sie war die Frau, die ich beim Spazierengehen und dann vorhin im Café gesehen hatte. Und ganz langsam drehte sie sich zu mir um. Das erste Mal sah ich ihr wirklich ins Gesicht.
Ihre Haut war leicht gebräunt und ihre Augen schwarz. Und ihr Blick fokussierte mich für einen Moment. Einerseits fühlte es sich seltsam und einschüchternd an, so von ihr angestarrt zu werden, aber andererseits vermittelte es einen Funken von Vertrauen und davon, dass sie mir irgendwie bekannt vorkam, ohne, dass ich überhaupt wusste, woher.
Dann kam der Bus, die Frau mit den rotbraunen Haaren drehte sich schnell um, nahm ihre Kopfhörer aus ihren Ohren und betrat das Fahrzeug. Dann verlor ich sie aus meinen Augen, auch, weil sich mehrere dutzend Kinder, die allerhöchstens in der fünften Klasse sein mussten, an mir vorbeidrängten und auch in den Bus gingen. Ich stieg als Letzte ein.
Der Busfahrer war ein älterer Mann mit wilden grauen Haaren, die ihm ein wenig ins Gesicht hingen und er wirkte unmotiviert und so, als würden ihn die Kinder, die eingestiegen waren, schon nach einer Sekunde nerven. Nachdem ich meine Monatskarte vorgezeigt hatte, ließ er mich durch und ich steckte meine Kopfhörer in die Ohren und stellte mich neben einen besetzten Platz, auf den ich kaum achtete. Auf einem der Sitze stand immerhin ein kleiner, schwarzer Rucksack. Nichts Besonderes. Ich sah mich um, während sich die Musik aus meinen Kopfhörern in mein Gehirn einspielte. Bewusst nahm ich jede einzelne Zeile, jedes einzelne Wort wahr.

'Strangelove
Strange highs and strange lows
Strangelove
That's how my love goes
Strangelove
Will you give it to me?'

Aber war Liebe denn immer verrückt und seltsam? Schmerzhaft und qualvoll? War meine Liebe so?
Das alles fragte ich mich plötzlich. Mitten im Bus auf dem Weg zur Bibliothek der Universität. Niemand um mich herum hätte mir meine Fragen beantworten können. Vor allem die kleinen Kinder nicht, die wirklich noch nichts von Liebe wissen konnten. Aber was sagte ich schon? Schließlich war ich selber erst vor kurzem neunzehn geworden und war erst einmal wirklich verliebt gewesen. Und das in ein definitiv heterosexuelles Mädchen aus meiner Abschlussklasse. Daran wollte ich auch kaum zurückdenken, so seltsam und unangenehm kam mir das Ganze nun vor.
Plötzlich holte mich etwas aus meinen Gedanken und meinem bewussten Hören der Musik. Jemand, oder wohl eher eine kurze Berührung meines Handrückens durch ein paar raue Fingerspitzen holte mich aus meinem leicht verträumten, abwesenden Zustand. Verwirrt sah ich auf und starrte nach rechts, wo die Berührung hergekommen war. Ich sah zu der Frau. Zu der Frau mit den dunklen Augen und den rotbraunen Haaren, welche sie immer noch in derselben Hochsteckfrisur trug, wie im Café. Langsam zog sie ihre Hand zurück und sah mich entschuldigend dafür, dass sie meine Hand so nichtssagend mit ihren Fingern berührt hatte, an. Schnell zog ich meine Kopfhörer aus meinen Ohren und stoppte die Musik auf meinem Handy. Ich wollte der Frau, die definitiv ein paar Jahre älter war, als ich, nicht als unhöflich oder respektlos gegenüber Älteren erscheinen. Für eine Millisekunde kam es mir extrem still vor. Dann begann sie, zu reden.
-"Wollen Sie sich hinsetzen? Also... nicht, dass ich denke, dass Sie es aufgrund von irgendwas nötig hätten... nur.... Der ganze Bus ist überfüllt mit Kindern und Sie müssen als einzige Person hier herumstehen... und-". Sie erklärte sich ziemlich hastig und mein Blickkontakt zu ihr ließ dabei für keine einzige Sekunde nach. Dann nickte ich und sie nahm ihren schwarzen Rucksack von dem Platz links neben ihr.
"Danke...", sagte ich einfach nur und setzte mich neben die rothaarige Frau auf den unbequemen Sitz. Aus einem unerklärlichen Grund wusste ich nicht genau, wie ich mich verhalten sollte. Wäre es unhöflich, wenn ich mir wieder meine Kopfhörer in die Ohren steckte und in die Welt meiner Gedanken abtauchte, fragte ich mich. Oder sollte ich noch irgendwas zu der Frau sagen? Oder wäre das nur ebenso seltsam gewesen?
Der Bus fuhr durch die gesamte Innenstadt und immerhin stiegen ein paar der Schulkinder, die auf der Fahrt eine ziemliche Geräuschkulisse erzeugt hatten, aus, weswegen es um einiges ruhiger wurde. Und ich erwischte mich immer wieder dabei, wie ich die große Frau neben mir aus dem Augenwinkel möglichst unauffällig musterte und dabei versuchte, herauszufinden, woher ich sie kennen konnte. Aber einfallen tat mir nichts so schnell, als ich möglichst unauffällig zu ihr sah und bemerkte, dass ihr ein paar der rostbraunen Haarsträhnen ins Gesicht fielen, während sie auf den Fußboden unter uns sah. Für keine Millisekunde brach mein Blick zu ihr ab und ich musste vergessen haben, wie gruselig es einem vorkommen musste, wenn ein fremdes Mädchen einen die ganze Zeit anstarrte. Immerhin hatte ich das auch schon getan, als ich ihr im Park begegnet war und mit Sicherheit fragte sie sich, ob sie komisch aussah, oder ich vielleicht einfach ein Psycho war, der Menschen permanent ansah. Aber andersherum hatte sie vorhin im Café auch beinahe ununterbrochen zu mir gesehen. Und selbst, wenn es meine Ruhe nicht gestört hatte, wurde ich ziemlich nervös dadurch. Vor allem, weil sie mir so bekannt vorkam und vielleicht auch genau, weil ich nicht wusste, woher, war ich so nervös geworden.
Kannte ich sie aus der Uni? Oder war sie schon "zu alt" zum Studieren?
Hatte ich irgendwann, wo auch immer, mit ihr geredet? Oder hatte ich sie eigentlich noch nie gesehen?
Dieses Mal traute ich mich, länger und aktiv zu ihr zu sehen und unsere Blicke trafen sich.

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