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Masha Karminsky

Am Montagmorgen wusste ich überhaupt nicht, ob es eine gute Idee gewesen war, Elisabeth anzuschreiben und sie nach einem kurzen Treffen heute zu fragen. Nach ihrer Nachricht mit dem Inhalt, dass sie nun ein wenig Angst hatte, fragte ich mich, welche Szenarien durch ihren Kopf gingen. Hatte sie Angst, ich wäre sauer auf sie oder so etwas? Der Gedanke tat schon fast ein wenig in meinem Herzen weh, schließlich hatte ich erst am Samstag bemerkt, wie wichtig mir die junge Frau innerhalb solch einer kurzen Zeit eigentlich geworden war. Und irgendwie liebte ich sie auch. Wobei Liebe und das Thema Verliebtsein bei mir schwer zu definieren waren. Ich hatte Angst vor der Liebe, aber daran wollte ich in diesem Moment nicht denken. Der einzige Grund, warum ich Elisabeth angeschrieben hatte, war, dass ich mich mit ihr treffen wollte, um mit ihr zu reden. Schließlich durfte man nicht vergessen, dass es einen Grund gab, weswegen sie von Freitag zu Samstag bei mir übernachtet hatte. Es war ein unschöner Grund - ihre Panik bei unserem Spaziergang, wegen der sie mehrere Stunden lang ziemlich erschöpft und unzurechnungsfähig war und ich sie so nicht alleine durch die Stadt laufen lassen wollte. Sie musste mir nicht den Grund sagen, aber ich wollte ihr auf jeden Fall bei dem kommenden Treffen irgendwie vermitteln, dass sie mir vertrauen und mit mir reden könnte, wenn sie wollte. Und ich hoffte so sehr, dass Elisabeth dieses Angebot annehmen würde.
Später, es war eine halbe Stunde nach 15 Uhr, sah ich auf mein Handy. Ich wusste, dass Elisabeth noch mit ein paar Freunden in einem Café verabredet war, trotzdem hatte sie unser Treffen nicht abgesagt.

»Hey, ich bin jetzt unterwegs...
Ich wäre dann so um viertel vor vier bei dir«
- 15:28 Uhr

Sie kam zu mir. Das kam für mich ziemlich plötzlich, aber ich konnte damit leben. Ja, ich konnte auf einmal damit klarkommen, wenn jemand in mein Haus kam. Vorher gab es nichts, was ich mehr hasste. Vielleicht beschränkte sich dieses Phänomen zwar erst einmal nur auf Elisabeth, aber trotzdem war es ein ziemlich großer Fortschritt - vor allem für mich, die stets distanziert nach außen hin war.
Ich schrieb Elisabeth zurück.

»Okay, mach' dir keinen Stress ;)«
- 15:32 Uhr

War der Smiley zu viel? Darüber wollte ich mir eigentlich keine Gedanken machen. Stattdessen packte ich meine Bücher, die offen auf meinem Wohnzimmertisch herumlagen, samt Lesezeichen zurück in das Regal gegenüber vom Sofa und ging nach oben in mein Schlafzimmer. Vermutlich sah ich nicht ordentlich genug für ein Treffen mit Elisabeth aus, dachte ich und als ich oben ankam, bewahrheitete sich dies. Mein Gesicht war in Ordnung, aber meine Haare standen ein wenig ab und eine Wäsche hatten sie eindeutig auch mal wieder nötig. Hastig ging ich zuerst zu meinem Kleiderschrank, um mir einen guten Pullover rauszusuchen, der nicht so unauffällig und dreckig war, wie der dunkelblaue Schlafpullover, den ich in diesem Moment trug. Dann rannte ich gefühlt zu meinem Badezimmer oben, wo ich versuchte, meine Haare zu richten. Schließlich band ich sie einfach zu einem hohen Zopf zusammen. So sah es in Ordnung aus - trotzdem schon perfekt genug für Elisabeth. Ich dachte ständig daran, dass sie hohe Ansprüche an mich hatte. Sie war zwar eindeutig in mich verliebt, das verriet alles an ihr, aber sie hatte mit keinem Wort gesagt, dass sie von einer potenziellen Partnerperson viel erwartete. Und ich ging auch nicht davon aus, dass sie so dachte. Trotzdem betrachtete ich mich kritisch im Spiegel. Meine Haare waren ordentlich zusammengebunden, standen nirgendwo ab. Mein Gesicht sah vernünftig aus, meine Wangen waren sogar wunderschön rosig, worüber ich sehr glücklich war, da ich sonst häufig blass aussah. Der bunte Pullover in den hellen Lilatönen sah tatsächlich ziemlich gut an mir aus. Ich sah mich selbst an, dann riss mich die Klingel meiner Haustür aus meinen Gedanken.
Ich ging die Treppe nach unten. Es war kurz vor 16 Uhr, also war ich mir relativ sicher, dass es sich bei der Person vor meiner Tür um Elisabeth handelte. Ich atmete tief durch und versuchte, mein heftig schlagendes Herz zu beruhigen. Dann öffnete ich die schwere hölzerne Haustür und lächelte automatisch.
-"Hey", begrüßte mich Elisabeth, die draußen stand und mich nervös ansah.
"Hey, komm rein", meinte ich und langsam ging sie durch die Tür, die ich kurz darauf hinter unseren beiden Rücken schloss.
Draußen schien es ziemlich kalt zu sein, denn Elisabeth trug eine dicke Daunenjacke und sowohl ihre Finger, als auch ihre Wangen waren deutlich gerötet - sie sah unwahrscheinlich niedlich aus, aber auch, als würde sie wirklich frieren.
Ich nahm ihr ihre kurze braune Daunenjacke ab und hängte sie über einen der goldenen Kleiderhaken, während Elisabeth sich in meinem Flur umsah. Eine Sekunde lang beobachtete ich sie dabei, bevor sie mich ansprach.
-"Und... Wie geht's dir?", fragte sie und sah mich an. Zwischen uns war nur etwa ein Meter Abstand und mein Blick richtete sich direkt auf Elisabeths blaue Augen. Ich nickte, riss mich zusammen, um bei meiner Aussage bloß nicht zu stottern.
"Gut... Und dir?". Glücklicherweise klang meine Stimme ziemlich ruhig, wenn auch ein bisschen besorgt.
-"Das Lernen ist stressig... Aber sonst ist alles gut... Ich hatte eben einen guten Kaffee zusammen mit meinen zwei besten Freunden", erzählte sie, sah mich dabei nicht an und ich musste irgendwie lächeln. Ich fand es süß und unwahrscheinlich interessant, wie sie redete. Sie hatte sich mit Freunden getroffen - das wusste ich schon, aber dass sie nun auch aktiv davon erzählte, fand ich gut.
"Was das Lernen betrifft, weißt du, dass du mich immer fragen kannst", redete ich ein wenig leiser und irgendetwas, ich wusste nicht, was es war, brachte mich dazu, Elisabeth einen Schritt näherzukommen. Ich sah an ihrem Hals, dass sie schlucken musste, dann aber nickte und ein leichtes Lächeln ihre Lippen zierte, bevor sie wieder ernst wurde.
"Du wolltest mit mir über etwas reden", meinte Elisabeth und strich sich eine ihrer mittlerweile nur noch zur Hälfte blonden Strähnen aus dem Gesicht. Ich nickte und meinte dann: "Wir können uns dafür ins Wohnzimmer setzen, wir müssen das Ganze nicht hier auf dem Flur besprechen...". Elisabeth atmete mehrmals tief durch und sah mich dabei an, dann nickte sie und wir machten uns auf den Weg zum Wohnzimmer.
Auf dem Sofa saßen wir direkt nebeneinander. Nur wenige Zentimeter und unsere Beine hätten sich berührt.
-"U-Um was geht es denn... Du bist so still, Masha", zitterte Elisabeth plötzlich und ich sah sie an. Ich gab mir Mühe, besonders viel Vertrauen und Beruhigung in meinen Blick zu legen, schließlich wollte ich nicht, dass Elisabeth Angst hatte, denn eigentlich wollte ich mit diesem Gespräch genau das Gegenteil erreichen. Zumindest war mein Plan, ihr auf eine sanfte Art und Weise zu zeigen, dass sie mir vertrauen konnte. Verdammt, warum wollte ich plötzlich sanft sein? Ich ermahnte mich selbst in Gedanken. Was war nur mit mir los? Verliebtsein tat mir irgendwie nicht gut, obwohl ich es in diesem Fall so sehr mochte.
"Es ist alles in Ordnung, Elisabeth", sagte ich einfach nur, weil mir in diesem Augenblick tatsächlich nichts Besseres einfiel. Ich musste tief durchatmen und mich für eine Sekunde sammeln, bevor ich mich entschied, den eigentlichen Grund für das Treffen anzusprechen. Elisabeth sah mich unwahrscheinlich nervös und ängstlich an. In ihren Augen konnte ich Panik erkennen. Verdammt, das wollte ich nicht. Und nachdem sie ihre beiden Hände nervös auf ihr Herz gelegt hatte, begann ich zu sprechen, wie ein Wasserfall.
"Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass du mir jederzeit alles anvertrauen kannst und wir, wenn du magst, auch gerne darüber reden können, was am Freitagabend passiert ist und warum... Ich habe gesehen, dass du Panik hattest... Und weil ich selbst weiß, wie sehr einen so etwas mitreißen kann, wenn man sich nicht darum kümmert, will ich dir hiermit anbieten, dass du jederzeit zu mir kommen und jederzeit mit mir reden kannst, wenn du es brauchst, Elisabeth". Danach war es unwahrscheinlich still. Ich sah in die Augen der jungen Frau links neben mir und plötzlich bemerkte ich die Tränen, die sie in diesen wunderschönen blauen Ozeanen gebildet hatten. Elisabeth weinte und ich fühlte in diesem Moment ein schweres Gefühl in meinem Herzen. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
-"Danke Masha... Noch niemand hat so etwas Liebes zu mir gesagt, noch niemals hat mir jemand so ein Angebot gemacht, nicht einmal meine Freunde", wimmerte die junge Frau dankbar. Ich atmete tief durch und musste dann lächeln. Auch für mich war es etwas komplett Neues - vor allem, dass mir Dankbarkeit entgegengebracht wurde.

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