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Elisabeth Karlsson:

In der Zeit, in der ich schlief, träumte ich kaum etwas. Zumindest konnte ich mich nur noch an winzige Bruchstücke und uneindeutige Fetzen von Bildern erinnern, als ich wieder aufwachte. Kurz war ich verwirrt, wo ich mich befand. Doch als ich mich umsah und sowohl die warme Aura des Raumes, als auch die rothaarige Frau, die gegenüber von mir auf einem der Sessel saß und in ein Buch sah, wusste ich es sofort wieder. Ich war bei ihr, bei Masha zu Hause. Und es war alles gut daran, außer, dass ich absolut keine
Ahnung hatte, wie spät es war. Draußen war es stockfinster, so weit ich es durch die Fenster erkennen konnte und mehr oder weniger begann dieser Moment, sich unrealistisch anzufühlen.
Ich beobachtete Masha, wie sie dort auf dem dunkelbraunen Sessel saß, ihre Beine übereinander geschlagen hatte und ruhig in ihrem Buch las. Es hatte einen hellblauen Einband und auf dem Cover stand, soweit ich es erkennen konnte, das Wort 'Nostalgie' in kyrillischen Buchstaben. Einen Moment lang beobachtete ich Masha einfach dabei, wie sie dort saß und ihre Augen langsam über die Zeilen wanderten.
Gerade strich sie sich eine ihrer roten Haarsträhnen aus dem Gesicht und wollt in ihrem Buch eine Seite weiter blättern, als ihr Blick auf mich traf. Ich sah weg und merkte, wie mir wieder ziemlich warm wurde. Ein bisschen war es mir unangenehm, dass ich sie schon mindestens eine Minute lang gemustert hatte, bevor sie dies bemerkte.
-"Elisabeth...", stellte Masha leise fest und ich sah wieder zu ihr. Sie legte das Buch aus ihrer Hand und sah mich an, während sie ihre Ellenbogen auf ihre Knie stütze, ihren Kopf auf ihre Hände. Mein Blick galt ebenfalls wieder ihr. Ihre dunkelbraunen Augen glänzten immer noch leicht und das gedimmte und warme Wohnzimmerlicht spiegelte sich in diesen. Trotzdem wirkten sie müde und in ihrem ganzen Gesicht war eine kleine Spur von Erschöpfung zu erkennen. Es musste schon ziemlich spät sein, da war ich mir sicher.
"W-Wie spät ist es... Weil... Ich... Keine Ahnung...", stotterte ich und Masha lächelte mich nur warm an, bevor sie kurz auf die Uhr über der Tür sah und dann sagte: "Ist kurz nach 22 Uhr... Du hast ganz schön lange geschlafen, Elisabeth...". Dabei galt ihr sorgenvoller, aber warmer Blick ganz allein mir. Dadurch musste ich fast ebenfalls lächeln. Mir kam jedoch auch wieder der Grund in den Kopf, warum ich auf Mashas Sofa lag und sie immer noch relativ besorgt um mich zu sein schien. Mir war eigentlich schon von Anfang an klar gewesen, dass mich Reaktionen wie die, die ich bei unserem Spaziergang gehabt hatte, ziemlich müde und erschöpft machten.
"Wenn ich so... Panikattacken und diese Flashbacks und so habe... Dann bin ich danach immer sehr müde... Tut mir leid...", ratterte ich fast schon monoton runter, während ich Masha anstarrte, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Die rothaarige Frau in dem korallfarbenen Pullover sah mich immer noch an, während ich mich vorsichtig aufsetzte, dabei aber immer noch mit den Beinen in die dunkle Wolldecke eingekuschelt war.
-"Das ist doch normal... Du musst dich auch nicht hierfür entschuldigen...", meinte Masha einfach nur in einer so ruhigen und liebevollen Stimmlage und lächelte mich warm an, während sie sich eine ihrer rostfarbenen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Dann herrschte kurz Stille zwischen uns und ich sah sie an. Sie sah mich an, änderte schnell ihre Sitzposition und wechselte dann das Thema.
-"Hast du Hunger?", fragte sie mich und musterte mich dabei innerhalb von einer Sekunde von oben bis unten, bis ich einfach nur nickte, weil ich in dem Moment wirklich Hunger hatte. "Ja", sagte ich einfach nur kurz und stand von dem Sofa auf, wobei meine Gelenke vor allem im Rücken ziemlich knackten. Aber das ließ sich wohl einzig und allein meiner Anspannung vor ein paar Stunden und meiner komischen Position, in der ich eingeschlafen war, zuschreiben.

Nicht einmal fünf Minuten später befand ich mich in Mashas Küche. Diese hatte ebenfalls eine warme Aura und das gesamte Mobiliar war aus dunkelbraunem Holz. Ich setzte mich müde an den Tisch und sah aus dem Fenster, während Masha den Kühlschrank nach etwas Essbarem zu durchsuchen schien.
Draußen konnte ich nur die Straßenlaternen erkennen und plötzlich war es so still geworden. Zumindest kam mir das in dem Moment so vor. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich müde, hungrig und immer noch ein bisschen verwirrt gleichzeitig war. Dann sah ich wieder zu Masha, die mehrere Tüten mit Mehl, Backpulver und sowas ähnlichem zusammengesammelt hatte. Ich stand vorsichtig von meinem Platz auf, denn ich fühlte mich ein bisschen schlecht und unnütz, wenn ich einfach nur an dem Tisch saß und gedankenverloren vor mich hinstarrte. Schließlich ging ich langsam zu Masha und beobachtete sie dabei ganz genau. Ich wusste nicht, warum, aber irgendwas an dieser gesamten Situation fühlte sich seltsam an. Nicht nur so, als würden Masha und ich uns schon seit Jahren kennen, sondern auch so, als würden wir im selben Haus leben und eine ganz andere Art von Beziehung führen, als wir es im Moment tun. Wenn man überhaupt von irgendwas wie einer seltsamen freundschaftlichen Beziehung reden konnte. Ich wusste nicht, ob mein Gedanke damit darauf anspielte, daran zu denken, wie es wäre, mit ihr zusammen zu sein, oder ob es nur dummes Zeug war, was ich da dachte. Mit meinen Gedanken wieder zurück in der Gegenwart und der Realität schüttelte ich meine letzten Überlegungen schnell ab. Was dachte ich da bloß für einen Kram? Ich kannte Masha seit kaum vier Tagen und dachte schon daran, wie es sein könnte, mit ihr eine Beziehung zu führen. Ich schob diesen Gedanken schnell beiseite und gab dieser Situation, in der wir nebeneinander in der Küche standen und Masha irgendwas zusammenrührte, während ich sie anstarrte, die Schuld.
"Soll ich bei irgendwas helfen?", fragte ich aus reiner Höflichkeit, denn schließlich wurde mein Gewissen von Sekunde zu Sekunde schlechter. Ich hatte mich schon seitdem ich vor etwa zehn Minuten wieder aufgewacht war dafür geschämt, dass Masha mich mit zu sich nach Hause genommen hatte. Schließlich erzählte mir mein schlechtes Gewissen seitdem immer und immer wieder, dass Masha doch sicherlich ihre Ruhe haben wollte und mich nur aus Mitleid mit zu sich genommen hatte. Und ich bildete mir ein, dass ich sie mit meinem aktuellen Dasein störte oder sogar überforderte. Ich wusste nicht, warum und ich konnte mir gut vorstellen, dass diese Einbildung nicht der Wahrheit entsprach, aber irgendwie kam es mir so vor.
-"Nein... Ich krieg' das schon hin, glaube ich", versicherte Masha mir nach ein paar Sekunden, in denen sie konzentriert weiter irgendwas, was aussah, wie Pfannkuchenteig zusammengerührt hatte, lächelnd und ich sah sie immer noch an. Sie hatte, als wir die Küche betreten hatten, ihre Haare schnell mit einem Haarband zusammengebunden, aber trotzdem fielen ihr immer wieder dünne rote Strähnen ins Gesicht.
Zehn Minuten später saß ich wieder an dem Tisch aus dem dunklen Holz und es kam mir ein bisschen so vor, als wäre das, was in den letzten fünfzehn Minuten passiert war, nicht real gewesen. Ich bildete mir ein, dass ich nie von dem Holzstuhl direkt an der Fensterbank aufgestanden war und nie zu Masha gegangen war. Aber auch diese Einbildungen schuldete ich meiner Müdigkeit.
Die Uhr über der Tür im Wohnzimmer zeigte 22:48 Uhr, als ich den großen, warm und einladend wirkenden Raum mit dem Teller, den Masha mit gegeben hatte, betrat. Sie hatte irgendwas gemacht, was aussah wie Pfannkuchen, aber keine waren, weil ich trotz meiner Müdigkeit, die in der Küche bei mir ordentlich reingehauen hatte, mitbekam, dass sie bei der Zubereitung keinen Zucker verwendet hatte. Schließlich setzte ich mich auf einen der dunkelbraunen Sessel und stellte den Teller in die Mitte des kniehohen Wohnzimmertisches. Nach ein paar Sekunden kam Masha hinterher. Sie setzte sich mir gegenüber, dort hin, wo sie schon vor etwa einer halben Stunde gesessen hat, als ich nach meinem etwa dreistündigen Schlaf wieder aufgewacht war. Für einen Moment lang sahen wir uns einfach an. Mein Blick galt vor allem wieder Mashas Augen, die mich ebenfalls fokussierten und in diesem Moment wieder so warm wirkten. Schließlich aber waren es ihre Worte, die mich wieder aus meiner Starre holten.
-"Dann... Guten Appetit...", meinte sie nur leise und ich musste, warum auch immer lächeln.

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