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Obwohl sie darauf gewartet hatte, zuckte sie doch erschrocken zusammen, als der Riegel knirschte. Rasch fuhr sie auf von ihrem Stuhl. Sie wollte ihren Feind im Stehen erwarten. Die Tür flog auf und herein kam ein Mann, etwas mehr als mittelgroß, schlank, braune halblange Haare, bis auf ein helles Hemd unter einer Lederweste ganz in Schwarz gekleidet.... Ein Bild zuckte durch ihre Erinnerung, die gleiche Kleidung, dazu ein erhobener Säbel, die Schneide voll Blut, eine kalte, geschäftsmäßige Stimme. „Schafft das Mädchen da an Bord, in meine Kabine...". Da hatte er zusätzlich ein schwarzes Tuch um den Kopf getragen. Sie war sich sicher, es war der gleiche Mann, vor wenigen Stunden, als man die Tür zu der Kabine aufriss in die sie sich geflüchtet hatte... Seine Stimme unterbrach ihre Gedanken:

„Meine Verehrung, Madame!"

Der Mann in der Tür verbeugte sich nach Art der Höflinge mit einer manierierten Handbewegung. Er sprach Tulamidya, wenngleich mit einem grauenhaften Akzent. Ihre Augen jedoch waren wie festgenagelt auf ein paar dunkelroten Spritzern an den weiten Ärmeln seines Hemdes. Sie konnte nicht wegsehen, obgleich ihr ein Schauder über den Rücken lief.

Er musterte gelassen seine Beute: Sie war jung, vielleicht 17 oder 18 Götterläufe und hübscher, als er erwartet hatte. Eigentlich sogar schön, wenn einem der tulamidische Typ mit blassbrauner Haut und dunklem Haar gefiel. Ihr feinknochiges Gesicht war von zarter Ebenmäßigkeit, und die kleine gerade Nase mit den leicht gewölbten Flügeln, der Schwung der weichen Lippen, die klaren, dunklen Augen hätten jedem Rahja-Tempel zur Ehre gereicht. Was für eine positive Überraschung, befand er.

„Ich spreche Garethi" unterbrach sie seine Überlegungen, den Blick immer noch auf seinen Ärmel geheftet.

„Um so besser," gestand er freimütig. „Offen gestanden, mein Tulamidya ist nicht gerade hervorragend." Lässig schlenderte er in die Kabine. In der Tür blieben zwei seiner Männer stehen, grinsend den Blick auf das Mädchen gerichtet.

Endlich gelang es ihr, den Blick von den Flecken zu lösen, und ihm ins Gesicht zu sehen, ruhig und stolz, wie sie es sich vorgenommen hatte. Seine wilden braunen Locken hatte er hinter die Ohren gestrichen, auf seiner Stirn klebte ein dünner Film aus Schweiß und Staub. Mit einer unverschämt besitzergreifenden Gebärde setzte er sich auf die Ecke des Schreibtisches, sein eines Bein schaukelte lässig in der Luft. Auch auf dem Stiefel bemerkte sie Spritzer.

„Nehmt doch bitte Platz, Madame," sagte er generös. „ich sitze so ungern, wenn eine Dame steht."

Seine Arroganz und Unverfrorenheit machten sie sprachlos. Schweigend setzte sie sich auf den Stuhl, wodurch sie gezwungen wurde, von unten zu ihm aufzuschauen.

„Wie es aussieht, werdet ihr für einige Zeit mein Gast sein," fuhr er fort. „Damit ihr es nicht zu unbequem habt, hat Rorke etwas von euren Sachen zusammengesucht. Komm Rorke, sei nicht so schüchtern, ich bin sicher, die Dame beißt nicht. Leg die Sachen einfach dort aufs Bett."

Einer der Männer schleppte zwei große Bündel herein und ließ sie aufs Bett fallen.

„Ihr seid also der... der..." ihr Hals war trocken und sie suchte vergeblich nach den richtigen Worten in Garethi, „ ... der Oberpirat?"

Er lachte. „Ich bin der Kapitän hier an Bord. Aber wenn ihr meine berufliche Seite mehr betonen möchtet, so nennt mich doch einfach Schwarzer Korsar. So nennt man mich, glaube ich in den Städten am Rand des Perlenmeeres. Es würde mich übrigens freuen, Madame, wenn ihr mir heute abend die Ehre erweisen würdet, mit mir zu speisen," fügte er hinzu, ganz so, als seien sie sich irgendwo auf einer Teegesellschaft begegnet.

Sie sah ihn groß an. Langsam wuchs ihr Zorn immer mehr, und begann, ihre Angst zu übersteigen.

„Habe ich eine Wahl?"

Er schüttelte scheinbar bekümmert den Kopf. „Ihr wollt mich doch sicherlich nicht enttäuschen, indem ihr meine kleine Einladung zurückweist. Vermutlich wollt ihr euch zuvor ein wenig frisch machen und euch umziehen, nicht wahr? Ich denke, heute kommt ihr ausnahmsweise einmal ohne eure Kammerfrau zurecht."

Er rutsche vom Tisch und wandte sich zur Tür. Dort blickte er sich noch einmal um. „Wäre euch in etwa einer Stunde recht? " Er verbeugte sich erneut, ohne eine Antwort abzuwarten. „Habe die Ehre, Madame." Damit schloss sich die Tür hinter ihm, und der Riegel wurde erneut vorgeschoben.

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Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt