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Das könnte ihm so passen! Dass ich mich für ihn auch noch herausputze, wie ein Opfertier, dass zur Schlachtbank geführt wird! Sie schwankte zwischen Angst vor dem, was sie am Abend erwartete und Wut über diese unerträgliche Mischung aus Überheblichkeit und Geckentum. Zunächst hatte sie hastig die Gepäckstücke durchwühlt, aber selbstverständlich nichts darin gefunden, was sie als Waffe hätte gebrauchen können.

Einmal war zwischendurch die Tür aufgegangen - war etwa eine Stunde schon um? -, aber sie hatte umsonst eine stolz-kalte Miene aufgesetzt. Die Männer waren hereingekommen, und hatten den Schreibtisch abgeräumt, die Papiere vom Boden aufgesammelt und einen Teil der Schränke ausgeräumt, deren offenstehende Türen sie jetzt auffordernd anstarrten. Aber sie dachte nicht daran, ihre Sachen hineinzustellen. Jede Form der Kooperation schien ihr einem Einverständnis gleichzukommen und sie war weit davon entfernt, zu kapitulieren, auch wenn ihr keine Möglichkeit eines erfolgreichen Widerstands in den Sinn kommen wollte, so fieberhaft sie auch überlegte.

Endlich hörte sie erneut das nun schon fast vertraute Geräusch des Riegels. Misstrauisch beobachtete sie, wie mehrere Männer eine Decke, Teller und Besteck, Schüsseln, Gläser, Krüge und einen schweren Kandelaber hereintrugen und damit den Tisch deckten. Ein letzter kam mit einem weiteren Stuhl, bevor der schwarze Korsar die Kabine betrat wie ein Schauspieler eine Bühne. Mit einer kleinen, winkenden Handbewegung schickte er die neugierig starrenden Mannschaftsangehörigen heraus und wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte. Offenbar wünschte er keine Zuschauer bei seinem Vorhaben. Dann verbeugte er sich erneut nach Art eines Höflings:

„Entschuldigt bitte die Umstände, Madame, leider können wir euch nicht ganz die Bequemlichkeiten bieten, die ihr gewohnt seid, aber ich muss euch bitten, mit unserer bescheidenen Mahlzeit vorlieb zu nehmen. Darf ich bitten?" Er bot ihr mit einer galanten Geste den Arm.

Sie ignorierte dies, warf ihm einen hasserfüllten Blick zu und erhob sich allein. Stumm ging sie hinüber zum Tisch und setzte sich.

Erfolgte ihr scheinbar ungerührt und nahm ebenfalls Platz. „Ein wenig Rotwein, vielleicht, zu Beginn? Ein Goldfelser, wirklich, kein schlechtes Tröpfchen. Wir sollten damit auf das Gelingen unserer Unternehmung anstoßen, denn das dürfte ja sicherlich auch in euerem Interesse sein. Nicht? Keinen Wein? Nun vielleicht ja dann etwas später, beim Essen. Gestattet bitte, dass ich euch einschenke. Und etwas Wasser ebenfalls."

Sie bemühte sich, weiterhin ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, und blickte kurz auf. Dabei stellte sie fest, dass er sich gewaschen und umgezogen hatte. Er trug ein prächtiges, silbergraues Hemd - ohne Blutspritzer - und seine feuchten, braunen Locken waren ordentlich nach hinten gekämmt. Doch diese Feststellung war nicht dazu angetan, sie zu beruhigen. Ihr Herz schlug heftig und hart in ihrer Brust, ihre Gedanken kreisten um die eine Frage: „Was hat er mit mir vor?"

Er lächelte sie an, entspannt, freundlich. Sein schmales, gebräuntes Gesicht zeigte den Ausdruck höflicher Aufmerksamkeit: Sie verabscheute ihn!

„Reizend seht ihr aus, Madame, es ist mir wahrhaftig ein Vergnügen, den Abend mit einer so hübschen jungen Dame verbringen zu dürfen..."

Sie machte eine hastige Bewegung mit der Hand, und warf dabei ihr Weinglas um. Wie Blut fraß sich der rote Fleck in das weiße Tischtuch. Sie beachtete es nicht. Sie starrte ihm ins Gesicht.

„Warum hört ihr nicht endlich auf mit dem Getue?", brach es aus ihr heraus.

Für einen Moment wurde sein Gesichtsausdruck hart, die gute Laune schwand aus seinen Zügen und die braunen Augen bekamen einen kalten Schimmer. „Ich dachte, ein bisschen Höflichkeit würde die Situation erleichtern" sagte er gefährlich leise.

Ihr aber war jetzt alles gleichgültig: „Höflichkeit?! Ich nenne das Heuchelei! Wo ihr mir doch ohnehin Gewalt antun werdet!"

In seinen Augen blitzte es auf, seine Stimme blieb jedoch leise. „Heuchelei. Ich hielt das für den gebräuchlichen Umgangston in euren Kreisen. Nun, vielleicht habe ich mich getäuscht."

Er beugte sich vor, der harte Ausdruck verschwand und er blickte sie ernst an: „Ich werde euch nicht anrühren, und auch sonst niemand auf diesem Schiff. Ihr mögt mich gerne für ein Ungeheuer halten, aber mir liegt wirklich nichts daran, euch mehr Unbequemlichkeiten zu bereiten, als nun einmal unumgänglich ist."

Sie musste erst einmal tief einatmen, bevor sie ihm antworteten konnte. Ihre Stimme zitterte leicht. „Ich hoffe, ihr erwartet nicht, dass ich mich dafür bedanke."

Seine Mundwinkel zuckten leicht. „Keinesfalls, verehrte Dame." Er lehnte sich im Sessel zurück und griff nach der Flasche Wein. „Vielleicht solltet ihr nun doch den Goldfelser kosten." Er griff nach ihrem Glas, stellte es erneut auf und schenkte ihr nach. „So schlecht, wie ihr zu glauben scheint, ist er gar nicht. Im übrigen wäre es sehr entgegenkommend, wenn ihr euch bereit finden würdet, eine kurze Nachricht an euren Vater zu schreiben, damit er sich nicht allzu große Sorgen macht. Ihr dürft übrigens gerne hinzufügen, was für ein Scheusal ich bin." Er lachte amüsiert, wie über einen guten Scherz..

„Ich soll euch also dabei helfen, meinen Vater zu erpressen!"

„Wie klug ihr seid, meine Anerkennung, Madame. Aber bitte, seht es doch einmal so: Ein jeder hätte gewisse Vorteile von eurem Brief: Dieser für euch offenbar nicht sehr angenehme Zustand wäre baldmöglichst beendet und euer Vater wäre zumindest von der Sorge um euer Leben befreit. Gestattet, dass ich euch Pergament und Tinte bringen lasse."

Er läutete mit einer kleinen Glocke, worauf einer der Piraten das Zimmer betrat und das Gewünschte hereintrug.

Sie biss die Zähne zusammen. In einem Punkt hatte er recht. Es hatte wenig Sinn, sich in dieser Sache zu widersetzen. Ohne eine Lösegeldzahlung würde sie gewiss nicht freikommen, also war es besser, den geforderten Brief zu schreiben. Aber wenn er jetzt dachte, sie würde einen flehenden Bettelbrief verfassen, so hatte er sich geirrt.

Sie warf ein paar sachliche Zeilen auf das Pergament, höflich und distanziert, wie sie es gewohnt war, mit ihrem Vater zu sprechen. Dann blickte sie auf. „Das reicht".

Er lächelte höflich. „Ganz wie euch beliebt." Er löschte die Tinte mit ein wenig Sand und warf einen flüchtigen Blick auf ihre Schrift, dann gab er das Pergament dem wartenden Mann. Ob er tulamidisch lesen konnte? Sehr unwahrscheinlich, befand sie.

Als der Pirat mitsamt dem Brief die Kabine verlassen hatte, wandte er sich wieder zu ihr um und lächelte verbindlich. „Jetzt können wir zum informellen Teil des Abends übergehen."

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Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt