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Den Abend verbrachten sie fast harmonisch und zunächst ohne jeden Streit mit Essen und einer Unterhaltung über die Bücher, wobei ihn ihre Meinung zu dem nordischen Bornlandbuch am meisten zu interessieren schien. Anschließend begannen sie erneut ein Spiel, welches jedoch im Gleichstand endete, da er sie bat, noch etwas auf der Laute zu spielen.

Sie war leicht verwundert, da sie nicht unbedingt den Eindruck gehabt hatte, es habe ihm beim ersten Mal gefallen. Trotzdem griff sie nach dem Instrument und spielte mehrere kleine Weisen, während er schweigend zuhörte.

Als sie schließlich geendet hatte, sah er sie nachdenklich an.

„Merhibam — es war ein Fehler, nur 15.000 Goldstücke für euch zu verlangen, das sehe ich jetzt..."

„Was sagt ihr da?" Sie schwankte zwischen Empörung und Entsetzen.

„Ich hätte eine Million verlangen sollen... Meint ihr, dass euer Vater eine Million bezahlen könnte?"

„Das kann nicht euer Ernst sein! Ihr erwartet von mir, dass ich euch rate, wie ihr möglichst viel aus meinem Vater herauspressen könnt?!"

Er lächelte versonnen. „Oh nein, darum geht es gar nicht. Ihr sollt mir raten, wieviel euer Vater unmöglich bezahlen würde...oder könnte....!"

„Dann bekommt ihr doch gar nichts."

In seinen Augen stand ein seltsames Glitzern. „Falsch! Dann bekomme ich alles. Merhibam — seid ihr sicher, dass euer Vater euch verdient hat?"

„Aber ihr! — ihr habt mich verdient?" fragte sie direkt.

„Nein. Ihr habt recht. Ich habe euch nicht verdient." Er lachte spöttisch. „Vergesst was ich sagte. Ich rede Unsinn. Ihr gehört natürlich nach Khunchom... in eueren Palast. Und dort werdet ihr bald wieder sein. Glaubt mir. Es wird übrigens nicht mehr lange dauern. Bald könnt ihr euer normales Leben weiterleben."

„Aus eurem Munde klingt das fast wie eine Drohung."

Er sah sie mit schmalen Augen an: „Mir ist gerade nicht nach Scherzen zumute."

„Also — hat mein Vater gezahlt...?"

„Noch nicht. Wir haben die Geldübergabe vereinbart."

„Dann habt ihr ja, was ihr wolltet." Es klang ein wenig schnippisch, wie ihr selbst auffiel.

Er griff plötzlich nach ihrer Hand und hielt sie fest. Sein Blick war mit schmerzlicher Intensität auf sie gerichtet. „Merhibam! Es gibt keinen Weg zurück. Wer einmal so weit gegangen ist, wie ich, kann nicht mehr zurück. Nur immer vorwärts."

Sie entzog ihm ihre Hand. „Hört auf, euch selbst zu bemitleiden. Es gibt immer einen anderen Weg."

„Nicht, wenn man die Verantwortung für einen Haufen von Männern hat."

„Verantwortung?! Ihr redet von Verantwortung?!"

Er erhob sich, und begann erregt im Raum auf und ab zu gehen. „Verantwortung, ja. Ihr mögt mich ja für völlig gewissenlos halten, aber die Männer hier an Bord haben gewisse Erwartungen an mich..."

„...die ihr natürlich stets erfüllen müsst," unterbrach sie ihn herausfordernd. „Was seid ihr denn? Ich dachte, ihr seid frei wie ein Vogel, niemandem Rechenschaft schuldig, ein freier Pirat mit freiem Willen..."

Er wandte sich zu ihr um: „Der freie Wille ist doch nur eine Illusion." sagte er heftig. „Könnt ihr immer das tun, was ihr wirklich wollt? Wisst ihr überhaupt, was ihr wirklich wollt?"

„Was nützt es mir, wenn ich das weiß? Natürlich kann ich nicht tun, was ich will, ihr haltet mich ja gefangen, wie ihr bisweilen zu vergessen scheint."

In seinem Gesicht lag eine wilde Unbeherrschtheit, die sie bislang nicht an ihm erlebt hatte.

„Ja," rief er, „ich vergesse es. Ich will es vergessen. Nun gut. Ihr seid meine Gefangene. Aber bald, wenn ich euch den Händen eures Vaters übergeben habe, seid ihr frei. Glaubt ihr das?"

Sie hatte nun fast ein wenig Angst vor ihm und bemühte sich dennoch, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Freier als jetzt doch wohl," erwiderte sie kühn. „Frei im Rahmen unserer Sitten und Bräuche. Und der Naturgesetze."

„Das ist dann aber nur relative Freiheit." Sein Ausdruck mäßigte sich und er fuhr mit ruhigerer, beherrschterer Stimme fort:  „Aber ich will nicht mit euch streiten. Ihr wollt frei sein von mir, und das werdet ihr erreichen. Bald."

„Ja."

Er setzte sich wider und betrachtete nachdenklich einen silbernen Serviettenring. „Eigentlich wollte ich euch etwas ganz anderes erzählen."

„Was?"

„Ich wollte euch einen Vorschlag machen. Nicht weit von hier ist eine Insel, auf der sich ein kleines Haus befindet. Früher wohnte dort ein Eremit, jetzt steht es leer." Er blickte auf: „Ihr könntet euch dort aufhalten, bis..." — ein Abglanz seines üblichen, spöttischen Lächelns — „bis zur Übergabe. Natürlich würden wir es zu eurer Bequemlichkeit einrichten. Die ganze Insel wäre euer. Das ist das Maximum an Freiheit, dass ich euch bieten kann... und ihr habt sogar die Freiheit, ja oder nein zu sagen...."

Sie war überrascht und leicht verwirrt. „Ich... ich weiß nicht. Wäre ich ganz alleine dort?"

Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Das geht nicht. Einen Bewacher müsste ich schon bei euch lassen. Aber wenn ihr wollt, wird er eure Hütte nicht betreten."

Sie erschrak: „Ihr wollt mich mit einem eurer Männer auf einer einsamen Insel lassen?!"

Er stieß ein kleines, nervöses Lachen aus. „Nun... ich... könnte selbst eure Bewachung übernehmen. Ihr traut mir doch? Wenn ich euch hätte anrühren wollen, hätte ich es längst getan..." Er lehnte sich lässig zurück und spielte mit dem Serviettenring.

Sie war irritiert, unsicher, fühlte, dass er eine Entscheidung erwartete und wusste nicht, was sie entgegnen sollte. „Ich dachte, ihr könntet eure Männer nicht allein lassen?"

Er verzog leicht den Mund „Wir müssen ohnehin warten. Ich gebe ihnen zwei Tage frei. Das werden sie mit Vergnügen akzeptieren, schließlich..." Er zuckte mit den Schultern. „Nun ja... der Rest kann euch gleichgültig sein. Das ist meine Sache. Nun? Was sagt ihr?"

Sie zögerte. Sie wollte nichts lieber, als das Schiff verlassen. Aber andererseits war hier alles bekannt, berechenbar, die neue Situation hingegen barg Risiken, die sie sich nicht vorstellen mochte. So war sie selbst erstaunt, sich sagen zu hören: „Ich bin einverstanden."

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Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt