Es tat ihm leid, sie abends verlassen zu müssen, aber er tröstete sich mit dem herrlich leichtsinnigen Gedanken, wie es wäre, mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Ja, mit einem Mal erschien ihm das nicht mehr abwegig oder verrückt, sondern geradezu greifbar nahe. War er nicht selbst seines Glückes Schmied? Hatte er nicht immer schon zugegriffen, wenn er etwas hatte haben wollen? Sollte er da nicht auch jetzt, wo er dieses Mädchen, dieses neue Leben wollte, zugreifen, statt sich wie eine Memme mit dummem Bedenken herumzuschlagen?
Nicht für die anderen werde ich morgen das Geld holen, sagte er sich, sondern für uns! Ihm war natürlich klar, dass er sehr vorsichtig sein musste. Nicht nur für sich, sondern damit sie nicht seinen Leuten in die Hände fiel, falls ihm etwas zustieß. Aber in seiner jetzigen Stimmung konnte er es sich nicht vorstellen, dass ihn sein Glück gerade Morgen verlassen würde. Sie aber hätte ihn am liebsten zurückgehalten. Es kam ihr widersinnig vor, die Nacht so nah und doch getrennt zu verbringen. Aber noch schmerzlicher wäre es ihr erschienen, wenn sie gewusst hätte, dass dies ihr letzter Abend gewesen war.
Am morgen wartete sie vergeblich, dass er noch einmal kam, und wartete den Vormittag und auch die Mittagszeit umsonst. Man vergaß sogar, ihr ihre Mahlzeit zu bringen - es war ihr gleichgültig. Sie wanderte in dem Raum auf und ab, tastete immer wieder nach dem Dolch, den sie unter den Falten ihres Gewandes verborgen hatte und betete darum, dass sie ihn nicht brauchen würde.
Tatsächlich aber schien Phex über ihn zu wachen, oder vielleicht wollte auch Merhibams Vater ihr Leben nicht riskieren, sondern hielt sich streng an die vereinbarten Regeln. Zweihundert kleine Beutel, ein jeder gefüllt mit der unglaublichen Summe von 75 Marawedi in Gold, das selbst eingeschmolzen gut 100 Dukaten wert war, bei den Geldwechslern möglicherweise noch viel mehr. Einen Augenblick spürte Arved etwas von dem alten Rausch, als er die Münzen über seine Hand fließen ließ. Drei ganze Truhen füllten die Beutel. Sie waren reich, reich. Sogar die Männer und Frauen rund um ihn herum waren einen Moment fast feierlich still und starrten andächtig auf das blinkende Gold.
Dann setzte lauter Jubel ein. Premer Feuer floss in Strömen und jeder der Männer bekam einen der Säcke zugeteilt, bevor der Kapitän zwei der Truhen verschloss und in den Laderaum schaffen ließ. Dann ließ er Segel setzten, und während ihr Schiff an der Küste entlang segelte, feierte er mit der Mannschaft. Denn dies hatten sie sich verdient. Die Freude, die sie zeigten konnte er verstehen und nachempfinden. Sie alle hatten mit ihrem Blut dafür gefochten.
Hinter ihrer Kabinentür wurde ihr bereits durch den lauten Jubel klar, dass er heil zurückgekehrt war. „Komm zu mir, bitte, komm doch!" rief sie ihn stumm im Geiste, aber er ließ lange auf sich warten. Anscheinend hatten sowohl die Notwendigkeit, den Liegeplatz zu wechseln, als auch die Erwartung der Mannschaft, er werde mit ihnen den gelungenen Coup feiern, Vorrang.
„Lass es dir genügen. Es besteht keine Gefahr mehr..." sagte sie zu sich selbst.
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Perlenmeer Teil 1: Rahja
AdventureDas Schwarze Auge - eine Welt, die hunderttausend Geschichten schreibt. Manche ähneln einander, andere sind ganz eigen oder auch eigenartig. Einige Erzählungen sind phantastisch, einige komisch, alle jedoch sehr abenteuerlich. Das Besondere daran: E...