„So, Schätzchen. Schön brav sein und ganz still verhalten, dann geschieht dir nichts"
Für einen Moment fühlte Merhibam noch die kalte Klinge des Messers an ihrem Hals. Sie war unfähig, etwas zu erwidern, obgleich sie eigentlich sehr gut Garethi sprach.
„So ist's recht, ich seh' schon - du bist ein kluges Mädchen..." Die rauhe Stimme entfernte sich von ihrem Ohr, die Messerklinge verschwand. Sie hörte Schritte, eine Tür, einen Riegel, der vorgeschoben wurde. Sie lag ganz still auf dem Bett, wo man sie hingeworfen hatte. Durch die Tür vernahm sie immer noch Geräusche des Kampfes, wenngleich deutlich gedämpft. Für den Augenblick konnte sie nicht mehr empfinden als Dankbarkeit, dass die harten, groben Hände sie losgelassen hatten, dass keiner an ihr herumzerrte, dass die heisere Stimme an ihrem Ohr verschwunden war.
... Dass man ihr noch nichts angetan hatte... Noch nicht.
Sie bemühte sich, die Gewalt über ihre zitternden Glieder zurück zu erlangen und sich aufzurichten.
„Dazu wird es nicht kommen...," sagte sie sich. Hektisch sah sie sich um. Wenn in diesem Raum irgendwo eine Waffe war, ein Dolch, selbst ein Brieföffner würde ihr genügen. Sie befand sich in einer Schiffskabine, die recht groß und relativ luxuriös war. Nicht gerade geschmackvoll, aber üppig. Viele Holzteile waren mit Blattgold überzogen, eine Art Schreibtisch, ein Stuhl, dieses Bett, mit üppigen Stoffen bezogen, Wandschränke...
Sie stolperte aus dem Bett, riss an den Griffen der Schränke... verschlossen .... nein, einer ließ sich öffnen, dahinter eine Schüssel aus Gold (oder Messing?), und ein Spiegel aus poliertem Silber, an der Wand befestigt. Unbrauchbar! Der Schreibtisch! Dort befand sich ein Astrolabium, ein ganzer Haufen Seekarten. In ihrer Hast fegte sie sie zu Boden. Ein kleiner Griff in der Schreibtischplatte - eine Einlegearbeit aus Perlmutt ließ sich beiseite schieben. Darunter ein Tintenfass, mehrere Federhalter - konnte man sich mit einem Federhalter erstechen? - Die Schubladen wiederum abgeschlossen. Kleine, zierliche Schlösser für kleine zierliche Schlüsselchen.... Die Knie zitterten ihr und sie sank auf den Stuhl nieder. Gleich ist es zu spät! Rauschte es in ihrem Kopf, in ihren Ohren.
Die Zeit verging. Viele Schritte draußen. Stimmen. Befehle wurden gebrüllt. Ob noch mehr Menschen von ihrem Schiff gefangen worden waren? Ob man alle getötet hatte? Oder hatten die Piraten es nur auf sie abgesehen? Sie wusste es nicht, denn niemand betrat die Kabine. Dann änderten sich die Bewegungen des Schiffes, sie spürte, dass man die Segel in den Wind gedreht hatte. Ob sie durch das Fenster einen Blick auf ihr Schiff erhaschen, winken, um Hilfe rufen konnte? Vergeblich. Durch das dicke gelbe Glas war nichts auszumachen, das einem Schiff ähnelte. Vielleicht war es schon gesunken...(konnten Schiffe so rasch sinken?)
Finsterste Verzweiflung überfiel sie. Aber dann suchte sie ihren Stolz zusammen. Diese Menschen sollten sie nicht so sehen. Die Al-Wachabi waren eine stolze Familie. Sie versuchte, ruhig und bewusst zu atmen, sich aufzurichten und beherrscht auszusehen.
So starrte sie auf die Tür, während quälend langsam die Zeit verging.
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Perlenmeer Teil 1: Rahja
AventuraDas Schwarze Auge - eine Welt, die hunderttausend Geschichten schreibt. Manche ähneln einander, andere sind ganz eigen oder auch eigenartig. Einige Erzählungen sind phantastisch, einige komisch, alle jedoch sehr abenteuerlich. Das Besondere daran: E...