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Als sie am nächsten Tag gegen Mittag aus der Kabine geführt wurde, musste sie blinzeln und die Augen beschatten, so hell war das Licht. Seit einer Woche hatte sie die Sonne nur durch die dicken gelben Fensterscheiben der Kabine gesehen. Als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie über der hellblauen, glitzernden Fläche des Meeres dunklen Wald schimmern: Ein Eiland.

Alle benötigten Sachen waren bereits in ein kleines Ruderboot gepackt, das mittschiffs, gesichert durch zwei Trosse, im Wasser dümpelte. Der Kapitän lehnte daneben an der Rehling. Er trug wieder schwarz-weiße Kleidung wie am ersten Tag, um den Kopf hatte er ein schwarzes Tuch gebunden. Er wirkte sehr fremd auf sie. Ringsherum stand die Mannschaft und hielt Maulaffen feil. Er lächelte ihr entgegen, sich der Blicke ringsum nur zu bewusst und fragte in breitem, spöttischen Ton: 

„Seht ihr euch in der Lage, selbst hinunterzuklettern, Madame, oder sollen wir euch tragen?"

Ein rohes Lachen antwortete ihm.

„Danke, das tue ich selbst" Ohne jemandem in die Augen zu sehen, ging sie zur Rehling.

„Halt, nicht so eilig, Madame, hier gebührt der Vortritt dem Kapitän." Wieder Lachen der Mannschaft. Sie umklammerte die Rehling und starrte auf ihre Hände. Wie sie dort vor den Augen dieser Leute heruntersteigen sollte, ohne ihre Würde gänzlich einzubüßen, war ihr ein Rätsel.

Geschmeidig und mit der blinden Sicherheit langer Gewohnheit schwang sich der Kapitän über die Rehling und stand einen Augenblick später im Boot. Grinsend sah er zu ihr empor.

„So, und jetzt ihr, Madame! Rorke, pass ein bisschen auf die Dame auf, dass sie sich nichts abbricht, wir brauchen sie noch."

Während sie versuchte, die groben Hände an ihren Armen zu ignorieren und verbissen mit feuchten Händen und zitternden Knien die Strickleiter hinabzusteigen, wurde ihr bewusst, dass sie in der letzten Woche begonnen hatte, in dem Kapitän so etwas wie einen Verbündeten zu sehen. Sie hatte fast gedacht, er hätte sie irgendwie gern... Was für eine hirnverbrannte Dummheit! Wie hatte sie so naiv sein können?

Schon umschlangen sie kräftige Arme und hoben sie ins Boot. Energisch machte sie sich los, stolperte dabei fast und rettete sich im letzten Moment, indem sie auf einen der Sitze sank. Als sie dem Kapitän einen eisigen Blick schenkte mit aller Verachtung, die sie aufbringen konnte, sah sie gerade noch wie der Mann hinter ihm seinen Nachbarn am Ruder in die Seite puffte und bemerkte:

„Ich dachte, er hätte das Täubchen inzwischen gezähmt! Na, dann viel Spaß den beiden."

Sie sah rasch weg, wollte der Unterhaltung nicht weiter folgen und fixierte den Landstreifen, der nun mit jeder kräftigen Bewegung der Ruder näher kam. Ihr war elend zumute. Am liebsten hätte sie geweint. Aber wie immer blieb ihr nur ihr Stolz, um sich daran fest zu halten. Bevor sie das Land gänzlich erreicht hatten sprangen rechts und links die Männer aus dem Boot, standen knietief im Wasser und der Kapitän trat an sie heran:

„Darf ich bitten, Madame?" Bevor sie noch antworten konnte, griff er bereits unter ihren Arm und packte sie mit festem Griff um den Oberkörper und sein zweiter Arm glitt unter ihre Kniekehlen. Sie zog vor Schreck die Luft ein. Sie konnte sich nicht erinnern, dass jemals in ihrem Leben ein Mann es gewagt hätte, sie so zu berühren. Während er sie aus dem Boot hob, drückte er sie fest an sich, sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange. Ihr Herz klopfte wie wild vor Empörung, vor Zorn, vor Angst?  - Ach sie wusste selbst nicht genau, warum! Dann trug er sie durch das seichte Wasser und stellte sie im trockenen Sand wieder ab.

Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt