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Am nächsten Morgen erwachte sie, als ein frischer Luftzug ihr Gesicht berührte. Sie fuhr auf. Vor ihr stand der Kapitän, frisch umgekleidet, die Haare vom Wind leicht zerzaust, ein in braunes Papier eingeschlagenes Paket unter dem Arm.

„Guten Morgen, Merhibam. Ich bedauere außerordentlich, euch geweckt zu haben..." weiter kam er nicht, denn nun brach es aus ihr heraus.

„So. Ihr bedauert. Und wo wart ihr gestern?" Sie sprang auf und stellte sich ihm entgegen. „Ihr habt mich allein gelassen mit eueren Leuten, den ganzen Tag lang..."

Seine Augen wurden schmal und glitzerten gefährlich: „Was ist geschehen? Hat euch irgend jemand angerührt?"

„Nein... nein das nicht..."

„Und euch sonst etwas getan?"

„Nein. Auch nicht." Sie starrte ihn verwirrt und zornig an.

Sein Gesicht entspannte sich, wurde wieder gelassen. „Seht ihr, ihr braucht euch nicht zu beunruhigen..." Aber weiter kam er nicht.

„Nicht beunruhigen? Ich soll mich nicht beunruhigen?! Ihr überlasst mich diesen Menschen, und ich soll mich nicht beunruhigen?" Sie hob die Hand, als wollte sie ihn schlagen, dann aber, als habe die Kraft sie verlassen, sank ihr Arm herab und ihr Kopf lehnte sich einen kurzen Moment nach vorne gegen seine Brust.

Sie spürte, wie er einen Arm um sie legte, sie kurz ganz leicht an sich drückte, wie ein Kind, ihr mit der Hand behutsam, fast ein wenig unbeholfen über das Haar strich. Dann schob er sie sanft an beiden Schultern von sich.

„Ihr werdet euch frisch machen wollen, Madame. In etwa einer Stunde komme ich, dann können wir gemeinsam essen. Das hier lege ich euch auf den Tisch, ihr könnt es euch ansehen, wenn ihr wollt."

Ehe sie sich darüber klar wurde, was passiert war, hatte er den Raum verlassen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie sich wieder auf ihr Bett sinken ließ. Warum hatte sie das eben getan? Warum hatte sie sich so gehen lassen? Dieser Mensch war ein Verbrecher, der sie hier gefangen hielt. Er war der Grund für ihren Kummer und ihre Ängste. Und sie hatte sich von ihm umarmen lassen, ja ihn vielleicht sogar ermuntert... Voller Scham schlug sie die Hände vors Gesicht.

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Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt