* 11 *

45 9 0
                                    

Als er nach einer Stunde wiederkam, saß sie sehr aufrecht am Tisch, umgezogen, das Haar streng zurückgebunden. Sie blickte ihn so kühl und beherrscht an, wie sie es vermochte. Er schien es gar nicht zu bemerken, begrüßte sie lächelnd, setzte sich an den Tisch, anscheinend bester Laune. Nach dem Essen forderte er sie auf, doch endlich das braune Päckchen zu öffnen.

Unsicher griff sie danach. Es war überraschend schwer. Als sie das Papier auseinanderschlug, rutschten ihr drei Bücher entgegen. Zwei in tulamidischer Schrift, eines in Garethi. Überrascht blickte sie auf. „Bücher?! Woher habt ihr sie?"

Er zwinkerte ihr gut gelaunt zu. „Ja, ehrlich gesagt habe ich auch nicht damit gerechnet, aber es ist mir doch tatsächlich gelungen, in ... ähm ... einer eurer Hafenstädte einen Händler aufzutreiben. Ein sehr ungewohntes Vergnügen für mich." Er lachte sein kleines, spöttisches Lachen. „Und - gefallen euch die Bücher? Die Auswahl war nicht sehr groß, müsst ihr wissen."

Sie besah sich die Titel. Bücher waren auch im Großfürstentum Khunchom sehr teuer. Er musste auf jeden Fall einiges dafür ausgegeben haben, falls... falls er sie nicht gestohlen hatte. Es handelte sich um einen Band mit tulamidischen Geschichten, ein Klassiker, den sie kannte. Das zweite Buch enthielt eine Sammlung von Gedichten. Das dritte war ein Reisebericht aus dem Bornland, einer Landschaft weit oben im Norden. Sie hatte eine eher vage Vorstellung von der Lage dieses Landes.

„Ja, danke, sehr gut." sagte sie höflich. Hatte er sie jetzt gestohlen, oder nicht? „Und, hat man euch beraten?" fragte sie vorsichtig.

Er stöhnte gequält. „Oh ja, und wie. Eine volle Stunde lang habe ich mir Vorträge über die Vorzüge tulamidischer Klassik anhören müssen. Schauerlich!"

„Es gibt sehr schöne Werke tulamidischer Klassik," widersprach sie.

„Oh, gewiss," gab er zu. „Das mag schon so sein. Aber ihr habt den Vortrag dieser Frau nicht gehört. Wahrhaft von Nandus beseelt, aber leider gar nicht für einen rohen Menschen wie mich geeignet."

„Es wird euch nicht geschadet haben," meinte sie keck.

„Nein," lachte er. „Ihr müsst mir heute abend erzählen, was darinnen steht, um meine Ignoranz ein wenig zu mindern."

„Meint ihr, dass das noch einen Sinn hat?"

„Man darf die Hoffnung nie aufgeben, nicht wahr?" Mit einem mutwilligen Grinsen auf den Lippen verbeugte er sich und ließ sie allein.

Als er wieder an Deck, bei seiner Mannschaft war, gab er sich schweigsamer als sonst, hatte wenig Lust mit seinen Männern zu reden. Ihre ganze Art zu sprechen und sich zu geben ging ihm plötzlich furchtbar auf die Nerven. Er starrte missgelaunt auf die See hinaus, fuhr einen seiner Leute grundlos an und ärgerte sich über sich selbst, dass er so reizbar geworden war.

Da kam ihm ein Gedanke, der viel zu reizvoll war, um ihn wieder zu verdrängen. Es war ein Risiko - vor allem seiner Mannschaft gegenüber. Auf der anderen Seite kam es nur darauf an, wie er es ihnen verkaufte. Auch für das Mädchen musste dies besser sein, als die derzeitige Lösung. Ja, zunehmend war er sich sicher: Dies war genau die richtige Art, wie er die letzten Tage ihrer Gefangenschaft gestalten wollte. Vergnügt pfiff er durch die Zähne, und feilte an einer Strategie, wie er die Männer von seinem Vorhaben überzeugen könnte.

* * *

Perlenmeer Teil 1: RahjaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt