Als er am nächsten Tag erschien, lehnte er einen Moment im Türrahmen, die Hände hinter dem Rücken. Sein Gesicht drückte eine gewisse Erwartung aus. „Meine Verehrung, Madame. Wie geht es euch? Langweilt ihr euch noch?"
Sie zuckte mit den Achseln. „Wie könnte es anders sein?"
Er lächelte. „Nun, so habe ich eine Überraschung für euch. Er trat ein, und in den Händen hielt er ein Instrument - eine alte, nordische Laute. Sie war etwas zerkratzt und die Saiten hingen herab.
Die Überraschung war ihm gelungen. „Oh... Woher habt ihr sie?"
Er lachte leise. „Das wollt ihr nicht wirklich wissen. Nur soviel: Sie liegt schon seit Monaten im Lagerraum. Gestern abend fiel es mit wieder ein." Er sah sie an, und seine Augen strahlten. Er sah mit einem Mal viel jünger aus. „Vielleicht kann ich sie für euch stimmen?"
Erstaunt sah sie zu, wie er sich auf das Bett setzte und begann, an den Wirbeln zu drehen und leise die Saiten anzuzupfen.
„Ihr... ihr könnt Laute spielen?", fragte sie befremdet.
Er erstarrte. Das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. „Nein. Nein, nicht mehr. Das ist lange vorbei. Hier, versucht ihr es." Er hielt ihr die Laute hin.
Sie nahm das Instrument entgegen, immer noch fassungslos, und schüttelte den Kopf. „Wo... wo habt ihr das gelernt?"
Er zuckte geringschätzig mit den Schultern. „Habe als Kind eben ein wenig Unterricht gehabt. Es war nicht der Rede wert."
Sie zögerte, und sah ihn forschend an. „Als Kind... wo... waren eure Eltern denn... Gaukler?"
Dies schien ihn plötzlich in ungeahnte Heiterkeit zu versetzen. Er begann, laut zu lachen. „Gaukler!" Er brauchte eine Zeit, bis er sich beruhigt hatte.
„Nein, nein, Gaukler waren sie nicht, gewiss nicht."
„Aber wie...". Sein plötzlich sehr verschlossener Gesichtsausdruck ließ sie verstummen.
Nachdem die Stille einige Momente lang unbehaglich im Raum gehangen hatte, fuhr sie fort:
„Entschuldigt, ich wollte nicht neugierig sein."
„Ihr seid nicht neugierig." Er sah kurz zu ihr auf und blickte dann erneut ins Leere. „Ich..." Er sprang auf und ging ans Fenster. „Ich bin natürlich nicht als Pirat geboren. Meine Eltern hatten sich mein Leben anders vorgestellt, ganz anders. Daher ließen sie mich Dinge lernen... nun, Dinge, wie eben das Laute spielen."
„Eure Eltern... sind sie..." Sie sprach den Satz nicht zuende.
„Was meint ihr? Tot? Nein, nein, vermutlich leben sie immer noch." Er drehte sich um zu ihr, und hatte wieder sein spöttisches, fast zynisches Lächeln auf dem Gesicht. „Falls ihr jetzt eine traurige Geschichte erwartet, von Schicksalsschlägen und grausamer Kindheit, so muss ich euch enttäuschen. Im Gegenteil, manch einer hätte mich wohl um meine Kindheit beneidet." Er lachte freudlos. „Wie ihr seht, kann ich mit Sentimentalitäten nicht dienen. Aber jetzt muss ich mich um das Schiff kümmern. Gehabt euch wohl, und unterhaltet euch gut mit der Laute."
Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um und ging aus dem Raum. Sie sah ihm konsterniert nach.
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Perlenmeer Teil 1: Rahja
AdventureDas Schwarze Auge - eine Welt, die hunderttausend Geschichten schreibt. Manche ähneln einander, andere sind ganz eigen oder auch eigenartig. Einige Erzählungen sind phantastisch, einige komisch, alle jedoch sehr abenteuerlich. Das Besondere daran: E...