N e u n z e h n | G w e n d o l y n

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Drei Tage nach dem krypthonischen Ball war ich immer noch verwirrt.

Nicht nur das Tagebuch warf Fragen auf, auch der Blondkopf hatte es geschafft, mittlerweile immer häufiger in meiner Gedankenwelt seinen Platz zu finden.
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm.

Bei meinem Einzug in den Elverstone Palace war noch alles perfekt gewesen. Ich konnte ihn nicht leiden und er mich nicht. Unsere Beziehung war vielleicht schwierig und alles andere als harmonisch gewesen, aber wir hatten uns auf einer Wellenlänge befunden. Wir waren uns bezüglich unserer Gefühle zueinander einig gewesen und das hatte sich auch in unserem Verhalten widergespiegelt.
Er hatte mich beleidigt und ich ihn. Er hatte mich mit Verachtung gestraft und ich ihn mit meiner Handfläche in seinem Gesicht. Simpel und einfach.

Aber jetzt? Er lud meine Freunde auf das Anwesen seiner Familie ein und küsste auf irgendwelchen Veranstaltungen einfach meine Wangen? Was war denn bloß los mit ihm? Vielleicht würde ihn ein gehöriger Schlag auf den Hinterkopf wieder zur Vernunft bringen.

Doch die Reaktion meines Körpers war wohl der größte Verrat in der Weltgeschichte gewesen. Anstatt meinem ersten Instinkt zu folgen und ihm für diese unerlaubte Berührung eine saftige Ohrfeige zu verpassen, waren meine Finger lediglich einem kurzen Impuls gefolgt, ehe sie ruhig unter Jayces Handfläche zu liegen gekommen waren und sich stattdessen ein angenehmer Hitzeball in meinem Bauch geformt hatte, der ein merkwürdiges Kribbeln mit sich brachte.
Allein bei der Erinnerung an Jayces Lippen auf meiner Haut wurde mir wieder ganz warm und ich spürte, wie sich meine verräterischen Lippen zu einem kleinen Lächeln formten.

Bei Teufelsnamen! Böser Körper! Aus! Pfui! Nein!

Genervt rollte ich mit den Augen und stütze meine Ellbogen auf der Tischplatte auf, um meinen Kopf in meinen Handflächen zu betten. Gerade als ich mich in einem weiteren Tagtraum verlieren wollte, riss mich Lady Bylon mit einem schrillen "Miss Montgomery!" aus den wirren Gedanken.
Ich unterdrückte ein lautes Aufstöhnen und warf der Frau einen verärgerten Blick zu. Ich hatte gerade wahrlich größere Probleme, als die fragwürdige Politik unseres Landes. "Ja?"

"Sie hören mir ja schon wieder überhaupt nicht zu!" Erbost stemmte Lady Bylon die fülligen Arme in die Hüften und kniff frustriert die Augen zusammen. Ihre Finger tasteten nach den tiefen Furchen an ihrer Stirn, während sie seufzend den Kopf schüttelte, als würde meine Unaufmerksamkeit ihr Kopfschmerzen bereiten.
Mein Blick zuckte zu der kleinen, beweglichen Tafel neben der Privatlehrerin, wo sich in ihrer schnörkeligen Handschrift irgendwelche Stichwörter bezüglich Navars Politik reihten.
Ich kniff die Lippen zusammen und zuckte etwas ratlos mit den Schultern. "Tschuldigung."

"Sie meinen wohl Entschuldigung!", korrigierte mich Lady Bylon auch prompt und hob mahnend eine Augenbraue, weshalb ich lediglich kurz die Augen verdrehte und anschließend artig nickte. "Ja, klar."
"Ja, was?"
"Ja, Entschuldigung, Lady Bylon", wiederholte ich genervt und bemühte mich darum, mir meine Gereiztheit nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Lady Bylon bedachte mich noch einen kurzen Moment mit einem strengen Blick, ehe sie sich seufzend abwandte und mit einer fahrigen Handbewegung ihre Notizen von der Tafel löschte. "Da ich davon ausgehe, dass Sie keine weiteren Fragen haben, können Sie gehen."
Ich sprang sofort auf die Beine und war gerade dabei, den Raum zu verlassen, als mir noch eine Frage aufkam. Ich verharrte in der Bewegung und hielt mich am Türrahmen fest, während ich mich zu Lady Bylon herumdrehte. "Ehrlich gesagt wäre da noch etwas. Sagt Ihnen der Nachname Warrington etwas?"
"Natürlich sagt er mir etwas und würden Sie mehr Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit in den Unterricht investieren, müssten Sie mich das auch gar nicht fragen. Die Königsfamilie von Charviel hatten wir bereits vor zwei Wochen durchgenommen."

Irgendwo zwischen Wahrheiten und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt