V i e r z e h n | J a y c e

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Nervös tigerte ich vor dem Arbeitszimmer meines Vaters auf und ab, während ich darauf wartete, dass mir sein Privatsekretär die Türen öffnete.
Ich hatte den König von Navar um ein Gespräch bezüglich meiner Hochzeit mit Gwendolyn gebeten und die Tatsache, dass er mich bereits seit mehr als zwanzig Minuten vor seiner geschlossenen Tür warten ließ, hatte mich bereits drei Fingernägel gekostet. Jen würde mich umbringen.

"Eure Hoheit?" Die monotone Stimme des Angestellten, den ich bereits seit meiner Kindheit kannte, riss mich aus meiner routinierten Bewegung und ich erstarrte augenblicklich. "Ihre Majestät hat nun Zeit für Sie."
Der Sekretär hielt mir die Tür auf, deutete eine leichte Verbeugung an, als ich ihn passierte und ließ mich auch schon mit meinem Vater alleine im Raum zurück.
Ich zwang mir ein zuversichtliches Lächeln auf die Lippen und wartete, bis König Cedrik von seinen Unterlagen aufsah, um sich meinem Anliegen zu widmen.

Das Arbeitszimmer meines Vaters hatte mir schon immer einen gewissen Druck aufgelastet. Ich wusste nicht, ob es an dem autoritären, fast schon mittelalterlichen, Flair lag, der den Raum beherrschte oder das Wissen, dass eines Tages ich derjenige sein würde, der hier über Rechnungen und anderen Dokumenten brüten wird.
Keine besonders rosige Aussicht, wenn ich die tiefen Furchen auf der Stirn meines Vaters genauer betrachtete.

König Cedrik hatte, trotz seiner hohen Stellung, ein doch recht freundliches Gesicht, wie ich befand. Ich kannte die strengen Züge meines Onkels und den eisigen Blick meiner Mutter, doch der Herrscher Navars trug stets ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen, als gäbe es immer etwas, das ihn begeistern könnte.
Selbst jetzt bogen sich seine Mundwinkel nach oben, während aus seinen Augen die pure Verzweiflung schrie.

"Kann ich dir helfen, Vater?", fragte ich aus einem puren Reflex heraus, doch glücklicherweise winkte der König ab und hob endlich den Blick.
"Ich denke doch, dass ich dir helfen kann. Was liegt dir auf dem Herzen, mein Junge?" Mein Vater legte den Füller, den er zuvor noch krampfhaft umklammert hatte, zur Seite, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mich abwartend an.
Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das kurz davor war, seiner Nanny zu erzählen, welche meiner Schwestern ihre kleinen, schmierigen Finger in den Kuchen gesteckt hatte.

Ich atmete nochmal tief durch. Eigentlich hatte ich mir ganz genau zurechtgelegt, was ich meinem Vater mitteilen wollte und wie ich es tat. Aber jetzt, wo ich vor ihm stand und er mich mit diesem ungeduldigen Blick durchbohrte, weil er eigentlich tausend andere Dinge zu erledigen hätte, war mein Kopf wie leergefegt und ich musste improvisieren, um ihn überzeugen zu können.
"Es geht um meine Verlobung mit Miss Montgomery", begann ich langsam und warf ihm einen kurzen Blick zu. Ich wusste nicht, ob sein Privatsekretär ihn über mein Anliegen unterrichtet hatte, doch sein Gesicht zeigte keine Regung, die mir darauf eine Antwort geliefert hätte. "Ich denke nicht, dass sie dafür geeignet ist, Navar als Königin zu repräsentieren."

Ich war wirklich stolz auf meine Formulierung. Es klang, als würde ich mir ernsthafte Sorgen um mein Land und nicht etwa um meinen Geisteszustand machen, sollte ich Gwendolyn tatsächlich zur Frau nehmen.
Ein kleines Lächeln ließ meine besorgte Fassade bröckeln, bevor ich wieder Herr über meine Mimik wurde und bedauernd den Kopf schüttelte. "Zudem habe ich den Verdacht, dass sich zwischen ihr und einem unserer Stallburschen eine Beziehung anbahnt, wenn nicht schon längst eine besteht."

Mein Vater runzelte die Stirn und schob ein paar Unterlagen zur Seite, ehe er ein leeres Stück Papier von einem Stapel fischte und anfing, sich zu unserem Gespräch Notizen zu machen. Wäre ich es nicht schon gewohnt, dass er jede Unterhaltung, die er je in seinem Leben geführt hat und führen wird, mit einer pedantischen Sorgfalt dokumentierte, wäre ich über dieses Verhalten jetzt vermutlich irritiert. So aber nahm ich seine nervtötende Angewohnheit nur mit einem lautlosen Seufzen zur Kenntnis und wartete, bis er mit seiner Auflistung fertig war, ehe ich fortfuhr. "Ich denke, eine edle Dame aus dem höheren Adelsstand wäre als Ehefrau angebrachter. Wie wäre es mit Herzogin Lacey?"
Dunkel konnte ich mich daran erinnern, dass die Nichte des Königs von Tel' Anoor noch nach einem Gemahl an ihrer Seite suchte. Und schlecht sah sie auch nicht aus. "Oder Prinzessin Sar-."

Mein Vater unterbrach meine Überlegungen, indem er die Hand hob. "Das genügt. Ich verstehe deine Bedenken, aber du wirst Miss Montgomery trotzdem zur Frau nehmen."
Der mahnende Finger des Königs blieb oben, während er sich vorbeugte, um den Verlauf unseres Gesprächs schriftlich festzuhalten, bevor er weitersprach. "Und bezüglich des Stallburschen musst du mir schon einen Namen nennen, damit ich uns dieses Problem vom Hals schaffen kann."
Mir stand der Mund offen. Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

Ich erzählte ihm hier gerade, dass Gwendolyn, ein lautes, ungehobeltes Stadtmädchen, das nicht einen einzigen Tropfen von blauen Blut in sich trug, mich möglicherweise bereits hinterging, obwohl unsere Ehe noch nicht einmal begonnen hatte und es war ihm egal? Es war ihm egal?
Wäre dieser Pferdeapfel eine ranghohe Prinzessin, die ihren Stand und ihr Geld mit in die Ehe bringen würde, könnte ich die Entscheidung meines Vaters nachvollziehen. Aber so?
Warum nur war er so versessen darauf, dass ich diesen Niemand zur Frau nahm?

"Diese Frau wird unser Königreich in den Ruin stürzen, Vater!", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, in der Hoffnung, so irgendwie seinen Verstand erreichen zu können. "Sie wird unsere gesamte Familiengeschichte beschmutzen! Das kann doch unmöglich in deinem Interesse sein!" Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme etwas lauter wurde. Die pure Verzweiflung schrie aus mir heraus und versuchte, den König wachzurütteln. Ihm die Augen zu öffnen für das, was unmittelbar vor ihm sein Unwesen trieb.
Ich wollte gerade eine weitere Befürchtung aussprechen, um meinem Vater den Ernst der Lage zu erklären, als er erneut die Hand hob und mit einer unerträglichen Ruhe seine Notizen aktualisierte, bevor er mir endlich antwortete.
"Du wirst diese Frau heiraten. Ende der Diskussion", war das Einzige, was er zu sagen hatte.

Fassungslos starrte ich ihn an. Ende der Diskussion? Welche Diskussion denn? Er redete doch überhaupt nicht mit mir!
Er wischte all meine Bedenken mit einer einzigen Handbewegung zur Seite und befahl mir, dieses wildfremde Mädchen ohne jeglicher Abstammung zur Frau zu nehmen, ohne mir einen erklärenden Grund dafür zu bieten.
Er wollte es, also hatte ich es zu tun. Fertig. So lief es in unserer Familie eben ab und ich war kurz davor, mich erneut seinem Willen und dem einhergehenden Druck zu beugen, so wie ich es immer tat. Doch irgendetwas hielt mich zurück.
Die drängende Frage, für was ich eigentlich eine Zukunft aufgab, in der ich hätte glücklich werden können. Eine Zukunft ohne Gwendolyn.

"Warum muss es sie sein?"

Als er mir antwortete, war ich im ersten Moment versucht, in lautes Gelächter auszubrechen, dermaßen absurd war dieses Szenario. Doch die ernste Miene meines Vaters ließ mich die Laute hinunterschlucken und stattdessen einen Kloß in meinen Hals wachsen.
Der König hatte nicht spontan einen dunklen Sinn für Humor gefunden. Er spaßte auch nicht. Es war bittere Realität.

Ich würde Gwendolyn heiraten müssen, daran führte kein Weg vorbei.

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Irgendwo zwischen Wahrheiten und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt