E i n u n d z w a n z i g | G w e n d o l y n

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"Was ist das denn?" Neugierig wühlte ich mich durch die zahlreichen, achtlos durcheinander geworfenen Zettel, die sich auf Joseys Schreibtisch türmten.
Neben eiligst aufgeschriebenen Notizen und fein säuberlichen Hausarbeiten waren es vor allem die sorgfältig gestapelten Briefumschläge, die mein Interesse geweckt hatten.
Doch gerade als ich meine Finger nach dem edlen Papier ausstrecken wollte, um meine Nase in Joseys Privatsphäre zu stecken, hielt mich die Prinzessin zurück. "Streng vertraulich!"

Natürlich hatte sie mit diesen Worten erst Recht mein Interesse geweckt.

Ich hob eine Augenbraue und sah sie einen Moment abwartend an, ehe ich erneut meine Finger nach den Briefen ausstreckte. "Vertraulich, ja? Sind das etwa Liebesbriefe?"
Ein Lächeln zupfte an meinen Lippen, als Josey tatsächlich purpurrot anlief und verlegen den Blick senkte - Nicht, ohne mir vorher auf meine neugierigen Patschhände zu schlagen.

Seit dem Gartenfest eilte ich verzweifelt über das Anwesen der Bairnslams, um Jayce so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ich traute meinen neu gewonnenen Gefühlen ihm Gegenüber nicht über den Weg und da ich dieses feurige Brennen in meinem Bauch nicht weiteranstacheln wollte, wich ich ihm lieber aus, anstatt mich meiner wirren Empfindungen zu stellen.
Leider hatte es nicht lange gedauert, bis der Prinz mein Versteck in den Stallungen aufgespürt hatte und so war ich in den letzten Tagen dazu übergesprungen, Schutz in Joseys Zimmer zu suchen.
Da Jayces Schwester den Großteil ihrer Zeit glücklicherweise damit verbrachte, an ihren schulischen oder musikalischen Fertigkeiten zu arbeiten, konnte sie mir diese Zuflucht meist gewähren.

So wie auch heute.

"Nur ein Blick. Eine Zeile. Vor seiner Familie hat man doch keine Geheimnis", versuchte ich die Prinzessin zu locken und  schob schmollend meine Unterlippe vor.
Josey sah mich zweifelnd an. "Mit dieser Einstellung wirst du die Monarchie nicht überleben."
Sie seufzte tief, ehe sie einen der Briefe von dem Stapel zog und ihn mir schließlich doch überreichte. "Aber verrate keiner Menschenseele etwas, okay? Vor allem nicht Jayce. Wenn das Jemand rausbekommt, ist die Kacke ordentlich am dampfen."

Zufrieden nahm ich den Umschlag an mich und machte mich bereits daran, das Kuvert zu öffnen, noch bevor Josey ihre Tirade beendet hatte.
"Ja, ja, ja. Wem soll ich schon etwas erzählen?", winkte ich lässig ab und zog sogleich das Papier aus dem Umschlag hervor, faltete es eiligst auseinander und begann auch schon zu lesen, bevor es sich Josey doch noch anders überlegte.

Wie beginnt man einen Brief, den man gar nicht schreiben sollte?

Es braucht nur eine vorherbestimmte Zukunft und pedantische Eltern, um solch harmlose Zeilen in eine tickende Zeitbombe zu verwandeln. Niemand würde es gutheißen, wenn sie von unserem Briefverkehr erfahren würden.

Aber ich will dir schreiben. Ich will deine Handschrift sehen und deine Worte lesen. Es beruhigt mich...

Ich stoppte in der Mitte des Briefes - Zum Einen, weil mir die geschriebenen Sätze dermaßen persönlich vorkamen, dass es mir fast schon unangenehm war, sie zu lesen und zum Anderen, weil ich nicht so recht wusste, was ich mit diesen Informationen anfangen sollte.
"Hast du das geschrieben?", rätselte ich und hob den Blick, um der Prinzessin die blauen Augen sehen zu können. Die Handschrift wirkte säuberlich und feminin, weshalb ich davon ausging, dass die Tinte aus Joseys Feder geflossen war.
Doch meine Schwägerin in Spe schüttelte augenblicklich den Kopf. "Nein. Der Brief ist nicht von mir und auch nicht für mich."

Irritiert runzelte ich die Stirn und neigte fast schon automatisch den Kopf. "Was?"
"Die Briefe sind weder von noch für mich", wiederholte Josey geduldig, als würde diese Antwort alles erklären.
"Wem gehören sie dann?"
Josey strich sich eine Strähne hinters Ohr und rutschte unruhig auf ihrer Bettkante herum, während sie auf den Brief zwischen meinen Fingern starrte. Nervös zog sie ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne und begann darauf herum zu kauen. "Kacey. Ich bewahre sie nur auf und schicke sie weiter."

Okay. Das ergab Sinn. Nicht.

Ich zog die Brauen zusammen und überflog die restlichen Zeilen, ehe ich den Brief zurück in den Umschlag stopfte und auf dem Schreibtisch ablegte. Yep, definitiv zu persönlich - Selbst für meine neugierigen Augen.
"Kacey hat einen Freund?", mutmaßte ich und blickte Josey forsch an. "Und ihre Eltern mögen ihn nicht?"
"Er ist nicht ihr Freund. Es ist nur eine harmlose Freundschaft und ich spiele Vermittlerin, damit niemand die Briefe öffnet. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Cousinen einen regen Briefverkehr pflegen."

Ich war immer noch verwirrt und Joseys Worte ließen das Fragezeichen über meinem Kopf nur stetig wachsen.
Die Prinzessin von Großreich Tar hatte also eine heimliche Freundschaft, von der niemand erfahren durfte? Aber warum?

"Beziehungen zwischen dem Adel und dem normalen Volk sind nie gerne gesehen. Egal, auf welcher Ebene sie stattfinden." Josey schien mir meine Ratlosigkeit wohl angesehen zu haben.
Sie zuckte mit den Schultern und faltete ihre Hände im Schoß, bevor sie weitersprach: "Es wird zwar immer von Gleichheit und Toleranz gesprochen, aber selbst die Bevölkerung hat Vorurteile. Das sind einfach zwei verschiedene Welten - Das weißt du doch am Besten."

Da hatte Josey nicht Unrecht. Evelyn und ich sind selbst regelmäßig über die Königsfamilien hergezogen und auch wenn ich mich in vielen Annahmen bestätigt sah, wusste ich, dass es Ausnahmen in den höheren Schichten gab, denen ich mit meiner Voreingenommenheit unrecht getan hatte.
Während Persönlichkeiten wie Lady Eadwine ganz meinen Erwartungen entsprachen, hatte die Prinzessin mir gezeigt, dass es durchaus gutmütige Herzen in den obersten Reihen gab, die, verschlossen hinter den eisernen Regeln der Monarchie, lautlos vor sich hin pochten.

"Wer ist der Glückliche?", fragte ich, ohne auf Joseys Worte einzugehen und vertrieb somit meine düsteren Gedanken. "Kenne ich ihn? War er auf dem Ball in Krypthon? Wie lange geht das schon?"
Noch während ich die Blondine mit meinen Fragen bombardierte, ging ich in meinem Kopf bereits die unzähligen, männlichen Gesichter durch, die ich an dem Abend in Ceves in Kaceys Nähe gesehen hatte.
"Du dürftest ihn ziemlich gut kennen, ja." Josey lachte leise und strich sich erneut die blonde Locke hinters Ohr, welche sich aus ihrer Haltung gelöst hatte und ihr ins Gesicht gefallen war. "Sie schreiben erst seit ein, zwei Wochen. Noch nicht lange."

Ich kenne ihn? Neugierig neigte ich den Kopf und starrte Josey erwartungsvoll an. "Wer ist es?"
Josey jedoch grinste mich nur spöttisch an und legte sich in einer geheimnisvollen Geste den Zeigefinger an die geschlossenen Lippen. "Das ist ein Geheimnis, Gwen. Ich habe dir schon zu viel verraten."

Empört riss ich den Mund auf und wollte gerade lauthals protestieren, als mich ein lautes Klopfen verstummen ließ. Josey und ich drehten gleichzeitig den Kopf in Richtung Tür, die kurz nach dem Geräusch auch schon aufschwang und den Blick auf den Blondkopf freigab, der uns unsicher anlächelte.

Jayce blaue Augen huschten durch den Raum, ehe sie mich fanden und er mich mit einem undefinierbaren Blick fixierte. "Versteckst du dich vor mir?"


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Irgendwo zwischen Wahrheiten und LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt