Es wurde bereits Abend, die Sonne berührte den Horizont, der aus einem riesigen Gebirge bestand. Eiskalter Wind wehte durch die Täler, während entfernt Tiere riefen. Niemand wusste genau, wo sie sich befanden, nur dass es ein Gebirge mit viel Schnee und unberührtem Wald war. Im Kontrast dazu befand sich unter dem Berg ein Labyrinth aus Räumen, Aufzügen und militärischen Einrichtungen. Doch für Mary war der Mittelpunkt der Welt gerade in der gewaltigen Betonhalle, die man als Lobby bezeichnen konnte. Es war ein großes rechteckiges Areal mitten im Berg, ursprünglich ein Frachteingang, der zu einer Festhalle umgebaut wurde. Dutzende Bänke und Tische waren aufgestellt worden, die Flaggen aller beteiligten Nationen hingen an den Wänden, und der Geruch eines großen und ungesunden Buffets lag in der Luft. Jeder Besucher hatte mindestens ein Gericht aus seinem Land gefunden, ganz zu schweigen von der Auswahl an alkoholischen Getränken. Auf der Bühne spielte die Militärband gerade den Wunsch von Mary und ihren russischen Freunden: "Ruhm denjenigen, die nach vorne schauen" von Alexandra Pakhmutova. Natürlich sangen sie und ihre Kameraden so laut mit, wie sie konnten. Es war nicht nur ein schönes Lied, sondern es passte auch zur Situation, in der sie sich befanden. Was sollten sie sonst tun, als nach vorne zu schauen, wenn sie freiwillig gezwungen waren, sich einer experimentellen Cryobehandlung zu unterziehen. Ein kratzendes Gefühl breitete sich in ihrem Hals aus, also beschloss sie, sich mit einem Glas Wodka weiter hinten zurückzuziehen, da nun der Musikwunsch der japanischen Delegation an der Reihe war. Sie setzte sich an einen leeren Tisch abseits der anderen Feiernden. Das Klirren von Orden ertönte von ihrer Brust - eine Menge Metall für jemanden im zarten Alter von 29 Jahren. Die rechte Seite ihrer NVA-Ausgehuniform war fast vollständig mit Orden aus verschiedenen Ländern bedeckt. Damit konnte sie mit manchem sowjetischen Protzgeneral konkurrieren. Trotz ihres schicken Auftretens trug sie immer noch ein pinkes Haarband in ihren schwarzen Haaren - ein Markenzeichen.
Sie versuchte, nicht an eine ungewisse Zukunft zu denken – das wollte keiner. Das war unter anderem der Grund für die Großzügigkeit ihrer Vorgesetzten. Musik, Alkohol, Essen, Gesellschaft – all das lenkt ab, und genau das brauchten sie auch. Jedes Mitglied der UN-Sondereinsatztruppe durfte seine engsten und wichtigsten Vertrauten einladen, solange man ihnen vertraute. Für sie waren es ihre Eltern, eine Wahl, die kein Problem darstellte, schließlich war ihr Vater ein hochdekorierter Luftwaffenoffizier bei der Bundeswehr. Sie hob das Glas an den Mund, nur um den scharfen Geschmack von Wodka erneut im Hals zu spüren. Dann griff sie nach einer Zigarette aus ihrer Uniformjacke und suchte vergeblich nach einem Feuerzeug in ihren Taschen.
„Darf ich bitten, Fräulein?", erklang eine Stimme neben ihr in gebrochenem Deutsch. Sofort tauchte ein bereits angezündetes Feuerzeug unter ihrer Zigarette auf. Als sie den Rauch in ihre Lunge aufnahm, trat die Gestalt in ihr Blickfeld. Ein Hüne mit einer Statur und einem Gesicht, die ihm eine Anstellung als KGB-Schläger eingebracht hätten. Viktor Rezkowitch – kräftig, gefährlich, intelligent und ihr bester Freund. Seine athletische Körperbau wurde durch die klassische sowjetische Uniform noch betont.
„Diese Freundlichkeit wird dich auch nicht aus der Hölle retten", antwortete sie ihm in akzentfreiem Russisch. Eine Sprache, die sie zwangsweise lernen musste, um überhaupt in die NVA eintreten zu dürfen. Deutsch war ihre Muttersprache, Englisch hatte ihr Vater ihr beigebracht und Französisch ihre Mutter. Dazu kamen noch die Sprachfetzen, die sie während ihrer Auslandseinsätze gelernt hatte. Mary empfand es schon immer als schön, sich mit anderen Menschen unterhalten, diskutieren oder singen zu können.
„Pfff, da kommst du auch rein, rechne da mal nicht falsch, da kommen wir alle rein!" Er lachte und zeigte auf alle Anwesenden im Raum, selbst die Kinder. Humor war sein Steckenpferd. Es passte nicht zu seinem Äußeren, aber das machte seinen Charakter nur noch humorvoller.
„Weißt du, dieser Haufen vor uns ist wirklich etwas Besonderes", sagte Mary nachdenklich und inhalierte den Rauch frisch in ihre Lungen. Viktor wusste, welches Thema nun aufkommen würde – ein Standardthema bei jedem Treffen der gesamten Truppe.
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2091: Die Cryosoldatin
Science FictionMaria 'Mary' Schneider, eine hochdekorierte Soldatin, aus der Vergangenheit, muss sich nicht nur neuen Herausforderungen stellen, sondern auch einem neuen Leben. Das Jahr 1979, Kommandosoldaten einer geheimen Eingreiftruppe der UN werden von weitrei...