Kapitel 4-5 Jäger und Gejagte

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Der Frachtraum erstrahlte dieses Mal in vollem Glanz. Ein gleichmäßiges Brummen kam vom Shuttle, während metallische Schritte durch die Halle hallten. Kaleria trug ihre schwarz-rote Uniform, komplettiert mit passenden Rüstungsplatten und einem Helm. Magazine hingen von den Brusthalterungen des Munitionsgurts, eine antianische Version der Magazintasche. Stielgranaten waren am Gürtel befestigt. Ansonsten trug sie nur noch ihr Gewehr – leichte Ausrüstung, tödliche Wirkung. Liotok hingegen trug nur einen leicht gepanzerten Overall. Sein Auftrag war das Fliegen des Shuttles, und er bevorzugte leichte Kleidung, die seine Gliedmaßen beweglich ließen. Trotzdem lagerten zwei vollautomatische Pistolen im Holster an seinem Gürtel, inklusive Schnellladevorrichtung für die Pistolen und Rauchgranaten am Rücken. Niemals unbewaffnet in ein feindliches Gebiet eindringen – das war die Devise.
Mary selbst war vorbereitet. Zumindest fühlte sie sich so. Sie trug die Standardausrüstung der irdischen Spezialkräfte: Panzerplatten, Multifunktionshelm, Handgelenksgranatwerfer und andere Spielzeuge der Armee. Alles kalibriert auf das im Helm eingebaute Visier. Mary empfand es immer noch als unglaublich, was das HUD ihr alles an Informationen mitteilen konnte: Freund-Feind-Erkennung, Entfernung, übrige Kugeln im Magazin, sogar ein Fadenkreuz. Tief im Inneren war sie stolz darauf, das System alleine kalibriert zu haben, doch hoffte sie auch, dass alle Parameter richtig eingestellt waren.
In der Mitte zwischen den beiden Landeplätzen angekommen, war ein Surren zu vernehmen. Eine Luke im Boden öffnete sich und gab eine metallische Pyramide preis. Ohne zu zögern, tippte Mary auf ihrem ACom herum, und aus der Spitze des Gerätes schoss ein rot pulsierendes 3D-Modell empor. Eigentlich dazu gedacht, Gästen Informationen über das Schiff zu geben, wurde es nun für die Einsatzbesprechung missbraucht. Die drei Soldaten versammelten sich um das Modell einer Plattform. Eine Animation zeigte ein Shuttle, das immer wieder auf einer Struktur landete. Dabei versuchte Mary bewusst zu ignorieren, dass das Fahrzeug halb in der Landeplattform verschwand beim Landen und der Flug eher aussah, als würde es durch einen Orkan gehen.
„Gut, fangen wir an. Die Mission ist simpel. Einsteigen, runterfliegen, Zielperson und Gäste abholen, wieder hochfliegen, abhauen. Wir werden auf dieser hochgelegenen gorelianischen Landeplattform landen." Mary zeigte mit dem Finger auf die Decke der projizierten Rampe.
„Antianische Landeplattform, wenn ich bitten darf", korrigierte Kaleria.
Mary schaute Kaleria mit leicht zusammengekniffenen Augen an, und Kaleria zog daraufhin kurz den Kopf ein.
„Also, wir landen auf der Rampe. Die Größe beträgt 200 Quadratmeter, also genug für unser Fahrzeug und reichlich Luft zum Atmen. Die Zielperson sollte bereits vor Ort sein, in Begleitung von ungefähr zwanzig Gorelianern." Mary begann mit ihren Fingern die Erklärungen zu unterstützen. „Die Struktur besitzt nur eine Treppe nach oben, aber die Verzweigungen der Stahlstreben ermöglichen einem geschickten Wesen auch dort hochzuklettern." Mit einem kurzen Wischer erschien das nächste Modell, diesmal zwei verschiedene Gorelianer in Lebensgröße. „Auf der rechten Seite befinden sich unsere Verbündeten. Zu erkennen an der leichten Kleidung und dem Barrett. Auf der anderen Seite, Mitglieder der normalen Armee. Wir erwarten keinen Kampf, aber falls es dazu kommt, schießt auf die Richtigen." Wieder berührte ihr Finger den Bildschirm. Der rote Schein verschwand aus den Gesichtern der Anwesenden. „Die Zielperson ist ein männlicher Antianer. Sollte da unten nur einen von der Sorte geben. Der Planet selbst hat milde Temperaturen und eine leicht erhöhte Schwerkraft, selbst für Antianer, also nirgends runterspringen. Fragen?"
„Wann soll ich eingreifen, wenn es die Situation erfordert?", fragte Liotok, dessen schnelle, fließende Schwanzbewegungen eine beruhigende Wirkung auf Mary hatten.
„Du hältst dich an mich oder an Kaleria. Ich vertraue ihr genug, um diese Entscheidung mit ihr zu teilen. Wenn wir rufen, kommst du", antwortete Mary und tauschte Blicke mit den beiden anderen aus. Liotok schien diese Antwort zu genügen, während Kaleria nur einmal bestätigend mit dem Kiefer klapperte.
Ein schneller Blick auf das ACom zeigte Mary die lokale Uhrzeit an. Zum Glück passte sich das Gerät automatisch an, sonst würde sie es sicherlich vergessen. Es waren noch 27 lokale Minuten bis zum Treffen; der Flug dauerte zwanzig. „Also gut, legen wir los!"
Liotok sprang regelrecht los und war bereits im Pilotensessel, als Kaleria und Mary hinterherkamen. Mary nahm den Sitz rechts hinter Liotok ein, Kaleria den linken. Zwischen ihnen lag Liotoks Schweif, der in einer Vorrichtung eingespannt war, die früher mal einen weiteren Sitz dargestellt hatte.
„Rot Eins an Spearhead. Erbitte Starterlaubnis."
Ohne eine Möglichkeit, zuzuhören, reichte Mary auch die Antwort durch die Öffnung der Rampe. Sie erwartete einen Sog, doch dieser blieb aus.
Kaleria schien ihren verwunderten Blick zu erkennen. „Schilde schützen den Einlass und damit den Hangar, vor dem Vakuum."
Mary nickte bestätigend und beobachtete weiter Liotok, wie er das Shuttle präzise durch die kleine Öffnung der Seitenrampe manövrierte. Nachdem sie im kalten Vakuum angekommen waren, zeigte das elektronische Sichtfenster nur noch den grün-gelb-grauen Planeten. Es war faszinierend, wie genau man die Umweltzerstörung von hier oben ausmachen konnte. Währenddessen befanden sie sich auf dem Kurs Richtung Oberfläche, und die Haltung von Liotok entspannte sich ein wenig.
„Sag mal, Liotok, worin befindet sich dein Schwanz?", fragte Mary und zeigte auf den ehemaligen Sitzsockel, in dem sich der Schwanz immer leicht bewegte.
„Oh, wir Kalarianer sind super Piloten. Das liegt daran, dass wir ein zusätzliches Glied zum Steuern haben."
Mary beobachtete eine zackige Bewegung des Schwanzes und direkt darauf eine Veränderung in der Flugbahn des Shuttles. Sie war entzückt, verschiedene Technologien zu sehen, die Aliens ihrer eigenen Anatomie angepasst hatten. Sie bemerkte einen Zug an dem Rohr ihres Sturmgewehrs. Kaleria zog es an sich ran, beugte sich so weit vor, wie es der Gurt erlaubte, und hielt das Ende des Laufs gegen ihre Stirn.
„Okay. Schalte dein HUD ein."
Mary war verwundert, aber sie folgte der Anweisung.
„Befindet sich das Fadenkreuz genau auf meiner Stirn?"
„Ja, tut es."
„Gut, nun schalte das Kampfprotokoll an. Aber Stufe Gelb."
Mary durchflog die Menüs im ACom und schaltete alles ein, was sie für nötig hielt – dieselben Einstellungen, die sie später ohnehin anschalten musste.
„Okay, drück ab."
„Was?!"
„Zier dich nicht, drück ab!"
Der Finger von Mary verharrte weiterhin oberhalb des Abzugschutzes, ohne nur die Absicht zu zeigen, ihn zu betätigen. Kaleria dagegen klapperte kurz genervt mit dem Kiefer, griff von der anderen Seite zum Abzug und betätigte ihn. Doch der erwartete Schuss blieb aus.
„So testen Antianer, ob man die Freund-Feind-Kennung richtig kalibriert hat. Gut gemacht! Du hast anscheinend alles richtig eingestellt."
Marys Herz pochte ihr im Hals, vielleicht sogar noch höher. Dieses Mädel und ihre Kultur sind komplett Banane, dachte sie nur, aber keine Beschwerde kam über ihre Lippen. Kaleria hatte sie gelobt und auch bestimmt alles unter Kontrolle gehabt ... hoffte sie zumindest. „Bitte warne mich das nächste Mal ... okay?"
Kaleria ließ den Lauf pfeifend los und setzte sich wieder halbwegs bequem in den Sitz.
„Seid bitte jetzt alle ruhig", befahl Liotok, der sich sichtlich zurückhielt, seinen Schwanz nicht zum Ausdruck seiner Nervosität zu bewegen.
Wie ins Gedächtnis gerufen, begann Mary ihr ACom zu verbinden – eine Lektion, die Liotok ihr hier im Cockpit selbst gegeben hatte. Ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig dieses Stück Elektronik war.
„...verbotszone des Königreich der Gor'Lex. Entweder du gibst uns einen guten Grund oder wir ficken dich aus dem Himmel. Verstanden?!"
Der Nacken von Liotok knackte einmal leise, als er den Kopf langsam hin und her drehte – vielleicht eine kalarianische Entspannungstechnik, mutmaßte Mary.
„Oberleutnant Krraka hier. Mein Grund ist diesen verfickten Antianer abzuholen. Also geh du Schweiflecker mit nicht auf den Sack. Ich gehör zum ersten Luft-Landedivision, also klärs mit dem König."
Mit einem Grinsen auf den Lippen versuchte Mary, das Gefühl des Lachens zu unterdrücken. Es war fast schon komödiantisch, wie unangenehm es Liotok schien, so zu reden.
„Verstanden. Landeplattform. Die Knochenfresse sollte bald hier ankommen."
Wenige Sekunden nach der Antwort atmete Liotok leicht aus. Anscheinend angesteckt von dem Lachen von Mary und dem Pfeifen von Kaleria, konnte er nicht anders, als selbst die Zähne amüsiert zu flechten.
„Zum Glück sind in allen antianischen Shuttles Stimmimitatoren verbaut. Denkt immer daran, nicht alle Gorelianer haben Übersetzer. Aber sie haben auch nicht die Technologie zu erkennen, dass gerade eine falsche Echse zu ihnen gesprochen hat", erklärte Liotok, mit noch immer geflechten Zähnen.
Mary war erstaunt über die gute Laune im Schiff, aber sie hatte nichts dagegen einzuwenden. Wie ihr Ausbilder so gerne sagte: Lachen verdrängt Nervosität. Ohne Nervosität konnte man sich fokussieren. Erst fokussieren, dann agieren

2091: Die CryosoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt