𝟎𝟐 | 𝐀𝐛𝐬𝐜𝐡𝐢𝐞𝐝.

349 21 42
                                    

´´´´´´´´´´ Madrid, Spanien. Bezirk La Latina. ´´´´´´´´´´
´´´´´´´´´´ Mittwoch, 03. Mai 2017. 3.21 pm ´´´´´´´´´´

„Nein“.
Das stand überhaupt nicht zur Debatte!

„Bitte lass mich wenigstens reinkommen“, unruhig schob der Mann vor mir seine Brille ein Stück weit nach oben und besaß die Unverschämtheit, seinen Fuß in die Haustür zu stellen, sodass ich diese nicht einmal zuklatschen konnte.

„Vergiss es. Du bist ja völlig irre!“, schnaubte ich mit verschränkten Armen und machte keinerlei Anstalten, einen Schritt zur Seite zu gehen.

„Laia“, resigniert seufzte er auf und zog endlich seinen Schuh zurück.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mich dazu überreden kannst, die Banknotendruckerei zu überfallen, Sergio? Garantiert nicht! Nicht, wenn er dabei ist“, mit ‚er‘ war sein Bruder gemeint.
Andrés de Fonollosa, auch bekannt als professioneller Herzensbrecher.


´´´´´´´´´´ Madrid, Spanien. Bezirk La Latina. ´´´´´´´´´´
´´´´´´´´´´ Freitag, 12. September 2014. 4.43 pm ´´´´´´´´´´

„Herr, dieser Unglückliche,
der über die weite Ebene des Todes
wandert und nach Euryd'ke ruft,
und den du gerade so
lieblich klagen hörtest,
hat in meinem Herzen so sehr Mitleid geweckt  […]“ (1), verwirrt sah ich auf mein Notenblatt.

„So VIEL! Viel, viel, viel!“
Ich schnaufte frustriert auf. Dieser verdammte Text!
Nicht ein einziges Mal wollte es mir gelingen, meine Rolle der Göttin der Unterwelt, Proserpina, in Monteverdis Oper ‚L’Orfeo‘ fehlerfrei zu singen – vom Ausdruck durfte man gar nicht erst anfangen!

Also nochmal neu.
„Herr, dieser Unglückliche […]“, meine Haustür, die in dem Augenblick ins Schloss fiel, unterbrach mich – ich verabscheute es, in meinem Lernprozess abgelenkt zu werden.
Es gab nur eine einzige Person, die einen Ersatzschlüssel zu meiner Wohnung hatte und auch nur eine einzige Person, bei der ich es duldete, dass sie mich aus meinem Üben riss.

„Mach weiter“, rief er aus meinem Eingangsfoyer und ich stutzte.
Seine Stimme klang so anders.
Nicht ruhig und samtig, sondern vielmehr stockend und schwerfällig.

„‘Mach weiter‘, meinst du echt, das würde ausreichen, um es vor mir zu verbergen?“, besorgt kam ich in den Gang gelaufen und lehnte mich mit verschränkten Armen gegen meine Wand, während ich ihn dabei beobachtete, wie er seinen Mantel auszog.
„Was belastet dich so? Hast du etwa deine erste Abfuhr bekommen?“
Ja. Natürlich merkte ich, dass es ihm schlecht ging, ich hatte es sofort gespürt, als er meine Wohnung betreten hatte, und ich wusste auch, dass es eine deutlich ernstere Ursache haben musste, doch ich wollte ihn nicht direkt überfordern.

„Ach, Laia“, leise seufzte er auf und drehte sich zum ersten Mal so, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte.

„Andrés“, ein scharfer Schmerz zog in mein Herz, da ich nun die tiefen Ringe unter und das Rot in seinen Augen entdeckte.

„Wenn es nur das wäre“, einen Augenblick später fand ich mich in einer festen Umarmung wieder und spürte seinen regelmäßigen Herzschlag an meiner Brust .
Hätte ich gewusst, dass das eine Geste des Abschiedes darstellen sollte, hätte ich meine liebste ‚Urlaubsbekanntschaft‘, meinen zuverlässigsten Komplizen, meinen besten Freund nie losgelassen.

𝐕𝐄𝐍𝐄𝐂𝐈𝐀 | Lᴀ ᴄᴀsᴀ ᴅᴇ ᴘᴀᴘᴇʟ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt