𝟏𝟏 | 𝐆𝐞𝐟𝐮̈𝐡𝐥𝐬𝐚𝐜𝐡𝐭𝐞𝐫𝐛𝐚𝐡𝐧.

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´´´´´´´´´´ Madrid, Spanien. Staatliche Banknotendruckerei. ´´´´´´´´´´
´´´´´´´´´´ Samstag, 14. Oktober 2017. 7.03 am   ´´´´´´´´´´


Gereizt folgte ich Moskau zu den Geiseln.

Berlin hätte ihm ausrichten lassen, dass er meine Unterstützung dort bräuchte.
Seine Unterstützung hätte ich ebenfalls gerne einmal.
Immerhin war ich diejenige, die seit Beginn des Überfalls keine einzige Minute geschlafen und die Kontrolle von allem übernommen hatte.

„Was gibt es?“, begrüßte ich Andrés daher kurz darauf recht ruppig.

Verwundert hob er seine Brauen, ließ es aber für den Moment unkommentiert und nickte zu unseren Schützlingen.
„Ich möchte, dass du ihnen klarmachst, dass wir ihnen nichts Böses wollen“.

„DAS ist deine Begründung dafür, dass ich hungrig und müde quer durch die Bank rennen musste?!“, fuhr ich ihn stärker als geplant an.
Eigentlich hatte gerade endlich meine Pause angefangen und da wollte ich nicht den vermittelnden Teil übernehmen. Nicht einmal für ihn.

„Du bist vom Beruf Darstellerin, du kannst das am überzeugendsten“, hieß in anderen Worten einfach, er hatte selbst keine Lust.

„Ich bitte dich“, sarkastisch lachte ich auf.
„Wir wissen beide, dass du ein Künstler der Inszenierung bist. Warum machst du es nicht selbst?“

„Venecia…“, in Andrés‘ Augen spiegelten sich gleichermaßen Ungeduld wie auch Schalk. „Ich hatte Sehnsucht nach dir“.

„Dann hättest du unsere Schichten anders legen müssen“, gab ich trocken zurück, mein Herz allerdings machte bei diesem Satz einen freudigen Sprung.
„Bilde dir bloß nichts darauf ein“, damit spazierte ich ein Stück weit vor zu den Geiseln, strich ihm im Vorbeigehen noch wie beiläufig sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken.

Señoritas y Señores – guten Morgen“, überraschenderweise hatte mein Freund mit seiner Aufforderung, ich sollte das Reden übernehmen, genau den richtigen Riecher gehabt. Als ich nämlich nun wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, waren mein Reflex zu gähnen und die schlechte Laune wie weggefegt, und ich setzte ein gewinnendes Lächeln auf.

„Ich hoffe, Sie alle haben gut geschlafen und es hat Ihnen an nichts gefehlt. Wir möchten, dass Sie wissen: Es ist uns bewusst, dass Sie sich ein deutlich schöneres Wochenende vorstellen könnten, als hier mit uns zu verkehren. Leider können wir Ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen, doch sollten wir Ihnen anderweitig etwas Gutes tun können, scheuen Sie sich nicht, es uns zu sagen“, ruhig ließ ich meinen Blick über die verängstigten Menschen schweifen, verzog ‚mitleidig‘ mein Gesicht, da aus manchen Ecken ein leises Jammern ertönte.

„Ich glaube, ein wenig an Beruhigungsmittel wäre sinnvoll… bitte seien Sie ehrlich mit uns. Wenn Sie weitere Medikamente benötigen, werden wir uns um diese kümmern. Sehen Sie… für den Zeitraum, in dem wir uns gezwungenermaßen gemeinsam in dieser Lage befinden, sind wir etwas wie eine große Familie. Und in einer Familie kümmert man sich umeinander und hilft sich gegenseitig. Ich verspreche Ihnen, wir werden alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass Sie in Sicherheit sind, dass es Ihnen an nichts mangelt – es sei denn, jemand-“, speziell Arturito sah ich an dieser Stelle streng an, „sollte meinen, uns in unserer Mission gefährden zu müssen. Ein Fluchtversuch, ein bisschen Getuschel zu viel, eine Verräteraktion und ¡adiós! Wie in einer Familie: Macht jemand einen Fehler, wird er für diesen geradestehen. Ansonsten wollen wir natürlich nicht, dass Sie sich für die Tage, in denen Sie unsere Bekanntschaft machen dürfen, langweilen… daher haben wir einige Aufgaben, in denen Sie uns unterstützen können“, auffordernd nickte ich Andrés und Nairobi zu, die unsere Arbeiter für den angeblichen Fluchttunnel aussuchen würden, und stellte mich zufrieden neben Rio.

„Was hast du nochmal gemacht, bevor du kriminell wurdest? Politik?“, murmelte er mir grinsend zu und ich schubste ihn scherzhaft zur Seite.

„Hey! Das ist eine Beleidigung meiner Fähigkeiten!“
Belustigt beobachteten wir in unserer Nähe, wie ‚Berlin‘ einen der Eliteschüler fragte, ob er denn sportlich wäre – und lachten lauthals auf, da dieser eingeschüchtert etwas von der Leichtathletikmannschaft faselte.

„Gut, dann tritt mal nach vorn, du Sportskanone“, Andrés‘ Ernsthaftigkeit war unübertrefflich! Lediglich das Zucken um seine Mundwinkel herum verriet, dass auch ihn diese beeindruckende Antwort amüsierte.
Nach und nach fanden wir unsere fleißigen Helfer, die allerdings nicht ganz begeistert wirkten. Enttäuschend. Ein wenig mehr Dankbarkeit für die Ablenkung hätte wohl kaum geschadet.

„Na los, Sportskanone“, gerade unser Olympiasieger von morgen schien nicht viel von unserem Jobangebot zu halten, sodass Nairobi ihn extra ermutigen musste… belustigt grinsend schüttelte ich meinen Kopf, lief schnell zum Überprüfen bei den Druckermaschinen vorbei und schmiss mich kurz darauf mit einem Kaffee auf einen Sessel in einem der abgelegeneren Büros – in meiner Pause wollte ich nicht gestört werden und die Chance, dass genau das in unserem eigentlichen Besprechungs-Wohn-und-Schlafbereich passieren würde, war recht hoch.

Irgendwann musste ich eingenickt sein, denn der laute Knall einer Hand auf meinem Schreibtisch ließ mich mit einem Herzrasen hochfahren.

Denver.

Aufwühlung stand ihm ins Gesicht geschrieben und scheinbar hatte er es eilig, mir etwas mitteilen zu wollen.
Daher ließ ich mir extra viel Zeit. Ein wenig Genugtuung für den Schreck musste schließlich sein!
„Was kann ich für dich tun?“, fragte ich ruhig, nachdem ich mich eine Minute lang in alle Richtungen gestreckt und gedehnt hatte.

„Du musst mir helfen!“

Skeptisch sah ich meinen Komplizen an. Wenn es so wichtig war, sollte er sich gefälligst nicht alles aus der Nase ziehen lassen. Warum fiel es manchen Menschen dermaßen schwer, sich eindeutig auszudrücken?

„Aha. Und mit was? Ein paar Informationen mehr würden sicherlich nicht schaden“, entgegnete ich ziemlich lustlos.
Eigentlich war Denver nämlich ein erwachsener Mann, kannte den Plan und seine Stellung darin.

„Du musst eine Geisel umbringen“.

„Ich muss eine Geisel umbringen. Wenn es weiter nichts ist…“, seufzend stand ich auf, schnappte mir meine Pistole aus dem Overall und ging zur Tür.
„Welche denn?“

Fassungslos starrte er mich an – und ich starrte zurück.
Konnte er ja nicht wissen, dass ich innerlich nur am Lachen war und keinen Finger rühren würde.

„Denver, kommst du bitte einmal auf den Punkt? Ist es Arturito? Kein Wunder, der geht mir auch gewaltig auf die Nerven und sicherlich allen anderen hier drinnen genauso – die Welt von ihm zu befreien, wäre eine Wohltat“.

„Du… du bist doch voll durchgeknallt“, flüsterte er heiser und blieb noch immer wie festgefroren an seinem Platz stehen.

Seufzend steckte ich meine Waffe wieder zurück in ihre Halterung und hob resigniert meine Hände.
„Gut, also nicht. Habe ich noch keine Leichen im Keller“.
Wann würde er wohl darauf kommen, dass jedes Wort komplett ironisch gemeint war?

„Du verarschst mich doch“, kam es platt aus ihm heraus und ich nickte langsam. Endlich dämmerte es ihm.
„Du verarschst mich bloß“, wiederholte er sich selbst erleichtert; der Groschen war gefallen.

„Natürlich. Was ist passiert, dass du mich mit der Bitte eines Mordes aufwecken musst?“, hakte ich ernst nach… das alles kam mir doch sehr realitätsfern vor.

„Eine Geisel hat irgendwie Rios Identität aufgedeckt, Mónica Gaztambide hatte ein Handy und Berlin ist ausgerastet. Er hat mir befohlen, sie umzubringen, weil sie den Plan gefährdet“, bei ‚Berlin‘ schaltete mein Kopf auf Durchzug.

Ich wollte und konnte mir nicht vorstellen, dass Andrés nur wegen seiner überheblichen Inszenierung die Regeln seines Bruders ein weiteres Mal völlig über Bord warf – vor allem auf diese Weise.
Ein Todesfall war eine komplett andere Welt als eine Beziehung!

„Du musst mir helfen!“, schrie Denver erneut, mitten hinein in mein Gedankenkarussell.
„Du musst mir helfen, zu vertuschen, dass ich sie am Leben lasse“.

„Nein“.

𝐕𝐄𝐍𝐄𝐂𝐈𝐀 | Lᴀ ᴄᴀsᴀ ᴅᴇ ᴘᴀᴘᴇʟ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt