„Der Polizei bekannt wegen der Verübung zahlreicher Raubüberfälle auf Juwelierläden und Luxusboutiquen. Andrés de Fonollosa werden auch Sexualstraftaten vorgeworfen“, las die Nachrichtensprecherin in dem Moment monoton ab, als Nairobi zusammen mit ‚Berlin‘ zurückkam.
Stirnrunzelnd sah ich vom Fernseher zu ihm und wieder zurück. Nüchtern betrachtet, passte der letzte Vorwurf überhaupt nicht auf ihn – oder aber ich hatte mich tatsächlich über ein Jahrzehnt so sehr in meinem damaligen besten Freund getäuscht, dass mir seine menschenverachtende Seite nie aufgefallen war.
Nairobi allerdings kannte ihn seit fünf Monaten… und dank seiner Inszenierung vor den anderen war es kein Wunder, dass sie der Reporterin jedes einzelne Wort abnahm.
Auch, dass er Mitglied eines Schlepper- und Zuhälterrings wäre.Das war der Moment, in dem ich realisierte: Die Polizei versuchte uns von innen zu zerstören.
Versuchte, durch gezielte Falschinformationen Misstrauen in unseren Reihen und der Bevölkerung, die uns unterstützte, zu streuen und die Mauer der uneinnehmbaren Burg zu Fall zu bringen.Dennoch blieb ich still.
Andrés würde sich aus dieser Angelegenheit eigenständig herausboxen müssen.„Wir sprechen hier von Zwangsprostitution sowie Erpressung Minderjähriger“, wurde die Berichterstattung fortgesetzt, Nairobi wurde immer fassungsloser und er wütender.
Nach außen blieb er ruhig, doch die Weise, in der er minimal seine Körperhaltung veränderte, verriet ihn.„Minderjährige?“, entrüstet lachte meine Freundin auf und schüttelte ihren Kopf.
„Minderjährige, Minderjährige!“Mehr und mehr ließen die Bullen durch ihr Sprachrohr an Dummheiten verbreiten, mehr und mehr regte Nairobi sich auf und provozierte Andrés.
Ich stand weiterhin dekorativ daneben und langweilte mich.
Meine Übelkeit, die anfangs noch hochgestiegen war, hatte sich längst gelegt – seitdem ich bemerkt hatte, dass es einfach ein raffinierter Schachzug unserer Feinde war.Allerdings hatte ich mich zu früh gefreut: Mit einem Ruck packte Berlin unsere Komplizen am Kragen, drückte sie gewaltsam auf den Tisch und würgte sie wie von Sinnen.
Schwach versuchte meine Freundin sich zu wehren, schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, doch es half nichts.
Immer fester drückte er zu und schnürte mir damit beim Zuschauen so sehr den Hals zu, dass ich unfähig war, einzugreifen.„Ich würde nie mit Mädchen handeln. Und noch weniger wäre ich ein Zuhälter. Ich habe einen Ehrenkodex, der mir das verbietet. Aus diesem Grund würde ich auch keinen Kameraden verraten, selbst wenn er ein Spitzel wäre“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und endlich konnte ich mich aus meiner Erstarrung lösen, stellte mich neben die beiden und drehte Andrés‘ Kopf zu mir.
„Sieh mich an. Sieh mich an, Berlin“, redete ich ruhig auf ihn ein, blickte ihm bestimmt in die Augen.
„Es reicht. Lass sie los, sie ist auf unserer Seite“, stumm ließ er von ihr ab und lief an das andere Ende des Zimmers.Besorgt verfolgte ich es, widmete mich dann aber Nairobi, die sich hustend über den Hals rieb, beinahe erstickte.
„Alles gut. Tief ein- und ausatmen. Ja, du machst das super“, gab ich ihr meine Anweisungen, während ich zum Wasserhahn eilte, ihr ein Glas einfüllte und es ihr gleich darauf hinhielt.
„Trink etwas. Schön langsam“.Mit der Zeit wurde es besser, der Hustenreiz nahm ab und sie konnte wieder freier atmen.
Erleichtert lächelte ich sie an, drückte kurz ihre Hand und hinkte zu Andrés, der sich einen Dreck darum scherte, wie es meiner Freundin ging – obwohl es ausschließlich sein Verschulden war –, und nachdenklich Sergios Seat Ibiza auf dem Bildschirm anstarrte.„Ich bin nie in dieses Auto gestiegen“, murmelte er eher zu sich, dann schien ihm ein Licht aufzugehen.
„Aber ich kenne jemanden, der es getan hat… sagt mal, wisst ihr, wo Denver ist?“Kein Wort einer Entschuldigung, dafür jedoch ernsthaft die Erwartung, dass Nairobi ihm nach der Aktion noch weiterhalf?!
Realistisch war das ni- anscheinend schon, denn sie schüttelte immerhin verneinend ihren Kopf.„Venecia?“
Leise lachte ich auf. Mein Rücken hieß das zwar nicht gut, aber ein wenig Häme musste sein.„Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir garantiert nicht sagen. Außerdem kann ich dir leider nicht beim Suchen helfen, denn jemand meinte, mir vorschreiben zu müssen, dass ich alles mit der Ruhe angehen sollte“, schmunzelnd zuckte ich mit meinen Schultern.
„Mhh, das ist schade. Vielleicht kann ich deiner Erinnerung etwas auf die Sprünge helfen“, vorsichtig suchte er mit seiner Hand nach der Verspannung.
Das Ironische war: Ich hatte ehrlich keine Ahnung, wo sich unser Komplize aufhielt.
Seine Massage allerdings tat wirklich gut und ließ den Schmerz zumindest für einen kurzen Zeitraum verschwinden, sodass ich mit meiner Antwort extra auf mich warten ließ.„Tut mir leid, aber ich bin nicht bestechlich“, zwinkernd trat ich einen Schritt nach vorne und er verschwand beleidigt nach draußen, probierte anscheinend in den Gängen ein Echo aus, so laut und langsam, wie er „DEEEENVEEER“ rief.
„Getrennt?“, skeptisch beäugte mich Nairobi, die ich fast vergessen hatte – vor allem hatte ich vergessen, welch eine beeindruckende Menschenkenntnis und Interpretationsgabe sie hatte.
„Ja?“, erwiderte ich deutlich unsicherer, als ich es eigentlich vorgehabt hatte.
Ich konnte noch so viel versuchen, um Abstand zu Andrés zu gewinnen und ihn aus meinen Gedanken zu verbannen, doch solange wir hier drinnen waren, war das nahezu unmöglich.Ein weiteres „DEEEENVEEER“ hallte zu uns und meine Freundin sprang wie vom Blitz getroffen auf.
„Er wird ihm etwas antun. Verdammte Scheiße!“„Nairobi! Er wird nicht – er-“, zu spät.
Schon war sie aus dem Zimmer gerannt und verfolgte ‚Berlin‘ vermutlich durch die gesamte Banknotendruckerei.Eigentlich hatte ich ihr sagen wollen, dass sie sich keine Sorgen zu machen bräuchte: Er hatte es nicht einmal geschafft, eigenständig eine Geisel zu erschießen, da würde er es garantiert nicht bei einem Komplizen hinbekommen – selbst wenn er ihn in den Ruin getrieben hatte.
Andrés war gut ihm Drohen, aber er war sicherlich kein Mörder.
Müsste einer von uns jemanden umbringen, dann wäre das eher ich. Ich vertrat das Prinzip ‚Was getan werden muss, muss getan werden‘ und war es nötig, über Leichen zu gehen, dann würde ich es umsetzen.Im Moment hatte ich allerdings rein gar nichts umzusetzen… schnell war ich wieder kurz davor mich zu langweilen und am Überlegen, ob ich Tokio suchen und unseren Diskussionsbedarf klären sollte, als das Telefon klingelte. Der Professor.
„Ja?“, sprach ich fragend in den Hörer und setzte mich langsam auf einen Stuhl – das Sofa mied ich lieber vorerst.„Was ist bei euch los? Wieso erwürgt Berlin fast Nairobi und weshalb greifst du erst so spät ein? Du bist nicht umsonst sein Backup, Venecia. Ihr sollt für Ordnung sorgen, aber nicht auf diese Weise“, seine Enttäuschung war wie ein Faustschlag in die Magengrube.
„Ich wollte nie seine Stellvertreterin sein“, statt Einsicht zeigte ich lieber meine trotzige Seite.
„Es geht hier um viel mehr als den Willen einzelner Personen. Ich möchte sofort Berlin sprechen. Du wirst ihn holen müssen – und nimm deine M16 mit, deine Komplizen rennen alle bewaffnet durch das Gebäude“, Sergios Stimme ließ keinerlei Widerworte zu, also packte ich mir mein Gewehr und humpelte in der maximalen Geschwindigkeit, die ich aufbringen konnte, durch die Gänge.
Glücklicherweise besaß niemand in unserer Truppe die Fähigkeit, leise zu reden und so erkannte ich schnell, dass sie sich in den Toiletten aufhielten.
Ein skurriles Bild bot sich mir, nachdem ich angekommen war: Andrés, Denver und Nairobi, allesamt die Waffen aufeinander gerichtet, und im Hintergrund eine blonde Geisel mit einem blutigen Verband um ihren Oberschenkel. Mónica Gaztambide, die ich für tot gehalten hatte.Laut räusperte ich mich, deutete verwirrt auf die Sekretärin.
„Na, dann sollten unsere Lebensbeweise kein Problem sein… tut mir leid, euch zu unterbrechen, aber der Professor möchte dich auf der Stelle sprechen, Berlin“.
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𝐕𝐄𝐍𝐄𝐂𝐈𝐀 | Lᴀ ᴄᴀsᴀ ᴅᴇ ᴘᴀᴘᴇʟ
Fiksi PenggemarZwei Menschen, die die Aufmerksamkeit lieben. Zwei Menschen, jahrelang unzertrennlich. Zwei Menschen, auseinandergegangen wegen eines „Verrates". Und nun der größte Überfall, der jemals in die Geschichte eingehen und diese zwei Menschen wieder zuein...