Jeremy #10

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Vielleicht hätte ich mein Handy ausschalten sollen. Zwar hatte es mich gefreut, dass sich Corbin gemeldet hatte, aber es hatte irgendwie eine Unzufriedenheit hinterlassen und ich musste an die Menschen denken, die sich nicht meldeten und mir gratulierten. Eigentlich sollte es mir egal sein, aber das war es mir nicht, was mich bloß noch mehr ärgerte und Jérôme mit seiner ganzen Fragerei machte es auch nicht gerade besser. Vielleicht sollte ich anfangen in meinem Kalender die Tage abzustreichen, die ich ihn noch auf engstem Raum babysitten musste. Ich klappte wieder das Buch auf und spürte immer noch deine neugierigen Augen auf mir. Am liebsten hätte ich ihm einen Knebel verpasst oder ein Stöckchen geworfen, das er holen konnte. "Was ist das für ein Buch?", fragte er, nachdem ich den ersten halben Satz gelesen hatte und riss mich wieder heraus. Am liebsten hätte ich ihn mit dem Buch verhauen. "Ein Teenibuch in dem meine Lieblingsperson stirbt." "Woran stirbt sie?" Ich verdrehte die Augen. "Lies es selbst." "Mir ist langweilig.", meckerte er als wäre es meine Aufgabe etwas dagegen zu unternehmen. "Genieße die Natur." "Tust du doch auch nicht. Du liest." "Ich genieße die Ruhe." Er seufzte und legte sich auf den Boden. "Wie lange haben wir noch in der Herberge?" "Vier Tage." Ich sah ihn nicken und zu dem Blätterdach hoch sehen. Man konnte nicht aus seinem Gesicht lesen, ob er das noch lange oder zu kurz fand. Ich wusste, dass mir diese Tage lange, sehr lang vorkommen würden. "Glaubst du die finden uns noch?" Machte er sich wirklich wegen so einer Nichtigkeit Gedanken? "Selbst wenn nicht." Ich zuckte mit den Schultern. "Meinst du es ist egal, wie lange wir bleiben, weil du ja schließlich eh den Weg kennst?" "Nein. Wenn sie uns nicht finden, bring ich dich um, baue aus deinen Knochen ein Haus und bleibe hier in der Stille." Ich sah ihn die Augen verdrehen. "Wieso bist du immer so mies drauf?" "Weil ich echt nicht viel von den Menschen verlange und sie dennoch versagen." "Dich in Ruhe zu lassen?" Ich nickte. "Genau." Tief im Inneren feixte eine Stimme "Und dir zum Geburtstag gratulieren" aber ich ignorierte sie. Es war nicht ihre Aufgabe wie erbärmlich mein Leben war, da es auch niemand interessierte. Jeder Mensch war nur ein kleines Pünktchen unter Milliarden und es niemand etwas ausmachte wenn man starb. Corbin meinte immer es sei selbstzerstörerisch so zu denken, aber ich wusste, dass er es selbst tat. Man musste etwas erreichen, um weiter leben zu dürfen und selbst dann bloß ein wenig. "Du bist manchmal wirklich gruselig.", riss er mich aus meinen Gedanken. Ich legte den Kopf schief und sah ihn nachsichtig an. "Wieso das?" "Du hast grade nur so geschaut." Ich seufzt. Menschen mussten lernen sich eindeutig auszudrücken. "Wie denn?" "Gruselig." Hatte bloß ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehten und es schlussendlich bloß darauf hinaus lief, dass er mich nervte? "Wie gruselig?" Er grinste provokant. "Sehr." Ich überlegte mir mein Buch nach ihm zu werfen, aber es war mir zu schade dafür. "Deine Augen sehen leer aus." Ich zog eine Augenbraue hoch und schwieg. Wie konnte es sein, dass er so etwas bemerkte und mich darauf ansprach? Andere Leute kannten mich länger und hatten es nie gesagt. Ich wich seinem Blick aus und fragte mich, was er gerade dachte. "Du bist nicht glücklich.", sagte er unvermittelt und ich zuckte beinahe zusammen. Es fühlte sich an, als hätte er mich gerade bloß gestellt und ich spürte die Scham in meiner Brust. Ich zwang mich zu einem Lächeln und sah an seinem Kopf vorbei. "Wer ist das schon?"

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt