Jérôme #2

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Wie alt war der Junge? Und woher hatte er das ganze Geld, um seinen ganzen Körper volltätowieren zu lassen? Sein Oberkörper war ein einziger Tintenteppich. Die Tattoos flossen ineinander über. Wie viele Stunden er dafür wohl hatte investieren müssen? Seine Beine hatten auch ein paar Tattoos abbekommen, aber sie waren nicht so großflächig. Eigentlich waren es bloß vier ovale Elemente. Auf jedem Oberschenkel und Schienbein eins.

Auf der Seifenablage neben dem Waschbecken, lagen die ganzen Ringe und Piercings, die der Junge aus seinem Gesicht genommen hatte. An seinem Körper hatte es gar nicht nach so vielen ausgesehen.

Seine weiß, grünen Boxershorts waren klatschnass und klebten an ihm, wie eine zweite Haut. Alles drückte sich unter ihnen ab. Ich versuchte zu lesen, aber er zog meinen Blick magisch an. Wie seine Muskeln unter den Tattoos und der Haut spielten, wenn er nach einem Shampoo griff oder dem Duschkopf. Wie sich sein Arsch unter der dünnen, karierten Stoffschicht abzeichneten. Mir wurde heiß. Ich versuchte meine Augen auf dem Buch zu behalten. Ich hatte einmal gehört, dass P. D. James wirklich gut schriebe. Nachdem ich den ersten Satz drei Mal gelesen hatte und kein einziges Wort in meinem Kopf angekommen war, gab ich auf. Ich benutzte das Buch bloß noch als Alibi. Er sang das Lied mit, das gerade lief. Penny Lane. Eins meiner lieblings Lieder von the Beatles. Ich hörte von seiner Version bloß Bruchstücke oder wenn er das Wasser für einen Moment ausschaltete. Aber ich konnte ab dem ersten Ton sagen, dass ich seine Stimme liebte. Ich gab es nicht gerne zu, aber seine Tattoos, seine Stimme, sein Körper und sein Aussehen waren beneidenswert. Und bei seinem Gehabe wusste er das auch ganz genau. Die Mädchen flogen wahrscheinlich allesamt auf ihn. Zumindest die, die auf dominante Emos standen.

Er ließ das Wasser auf seine Brust prasseln und hatte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken gelegt. Ich verstand ein paar Fetzen von seinem geträllerten "Penny Lane is in my ears and in my eyes. Wet beneath the blue suburban skies I sit and meanwhile back in". Er konnte wirklich das gesamte Lied auswendig! Ich konnte mir ja nicht einmal meine Handynummer merken! "Schalt mal weiter bis Don't stop me now von Queen kommt.", rief er in seiner super netten, ganz und gar nicht arroganten Art, die ich so an ihm schätze. !Sarkasmus! Ich zappte durch die Liste bis das Lied kam und er Freddie Mercury Konkurrenz bot. Sein 'gute Laune'-Ich hatte einen wirklich guten Geschmack. Die Playliste bestand aus Queen, the Beatles, Cat Stevens und Michael Jackson. Alles Bands und Sänger, die ich jahrelang am Stück rauf und runter hören könnte.

Ich zuckte fast zusammen, als er plötzlich das Wasser ausstellte, als schon längst wieder ein anderes Lied lief und mir jetzt erst auffiel, dass ich ihn in meinem Gedankengang unentwegt angestarrt und beobachtet hatte. Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss und ich verschanzte mich schnell wieder hinter den ersten paar Seiten des Buches, bei denen ich alle Hoffnung aufgegeben hatte, über sie hinaus zukommen. Ich hörte wie etwas mit einem feuchten Klatschen auf den Fließen landete. Wahrscheinlich seine Boxershorts. Ich lugte über den Rand des Buches. Er hatte sich ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, es mit einer Haarspange, die er weiß der Himmel woher hatte fixiert und strubbelte sich mit einem kleineren Handtuch seine schwarzen Haare trocken.

Was der Sinn daran war, dass er mich mit ins Bad gezerrt hatte und gezwungen hatte, die ganzen zwanzig Minuten, die er unter der Dusche verbracht hatte, auf dem Klodeckel zu sitzen, der reichlich unbequem war, hatte ich jetzt auch nicht ganz verstanden. Er legte sich das Handtuch, mit dem er seine Haare getrocknet hatte, in seinen Nacken und warf sich einen prüfenden Blick im Spiegel zu. Dann sah er mich an. Ich versuchte nicht so zu tun, als habe ich ihm gerade nicht zugesehen. Das hätte alles nur noch peinlicher gemacht, wenn das überhaupt ging.

Während er seine Augen in meine bohrte und ich krampfhaft versuchte nicht wegzusehen und ihn auch nicht merken zu lassen, welche Überwindung es mich kostete seinen Blick zu erwidern, nahm er total gelassen ein Haarband von seinem Handgelenk und sorgte damit dafür, dass keine Strähnen mehr in sein Gesicht fielen. Nach ein paar unendlich langen Momenten, schnalzte er verärgert mit der Zunge und brach den Blickkontakt ab. Hatte ich jetzt gewonnen? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich hatte er bloß testen wollen, wie lange ich standhielt. Er widmete sich der Aufgabe die Piercings in seinem Gesicht zu verteilen. Ich bemerkte, dass seine Finger bebten. Ich beobachtete ihn bei jeder Bewegung, die er tat. Und er wusste das. Da war ich mir ganz sicher.

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt