Jeremy #25

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Er schwieg die Fahrt über und ich war mir nicht sicher, ob es daran lag, dass er nervös, überwältigt oder sauer war. Er hatte den ganzen Vormittag bereits angespannt gewirkt und auch, wenn ich ihn aus seinem Schweigen reißen wollte fiel mir nichts ein, das ich sagen könnte. Meine eigene Nervosität schnürte mir die Brust ab. Schon als kleines Kind war ich auf solchen Veranstaltungen gewesen, doch noch heute konnte ich sie nicht ausstehen und wollte sie schnellst möglichst hinter mich bringen.

Seine Anwesenheit beruhigte mich bis zu einem gewissen Grad, doch löste auch eine neue Art von Unbehagen in mir aus. Ihn in einem Anzug zu sehen schien ihn Teil dieser Welt zu machen, die ich so verabscheute. Es war ein merkwürdiges, zwiespältiges Gefühl, das ich nicht einordnen konnte.

Einmal hatte ich auch Kyle mit zu einem Gartenfest genommen und er hatte sich zu meiner Verwunderung eingefügt, als gehöre er schon immer zu diesen Menschen, die Geld aus Spaß aus dem Fenster warfen. Ich hatte ihn kaum wiedererkannt, wie er lachend und gesprächig zwischen den Menschen gestanden hatte über die er sich für gewöhnlich so gerne lustig machte.

Umso mehr Zeit verstrich und desto näher wie unserem Ziel kamen, desto erdrückender fühlte sich das Schweigen an. Er sah aus dem Fenster und sein Bein wippte nervös, während ich am liebsten so schnell wie möglich gefahren und einfach irgendwohin nur nicht dorthin gefahren wäre.

Stattdessen lächelte ihn an. "Mach dir nicht so viele Gedanken. Du wirst sie im Nu verzaubern." Er erwiderte es leicht. Der Anzug schien sogar sein Gesicht zu verändern. Noch seine Haare zurückgelen und er sähe aus wie jeder x-beliebige Bankangestellte, nur dass sein Anzug das zehnfache kostete.

Ich bog von dem Feldweg den wir entlang gefahren waren und der links und rechts von Villen und Anwesen inmitten von Parkanlagen gesäumt war, auf den Kies der Einfahrt, die durch ein mit Kameras überwachtes Tor auf eine weiße, neoklassizistische Villa zuführte. Es fühlte sich an, wie eine andere Welt. Ich stieg aus, Jérôme tat er mir schnell nach und reichte dem Bediensteten, der mir nicht in die Augen sah den Schlüssel meines Wagens.

Ich hoffte nur, dass es nicht bloß teure Torten und Cupcakes sondern auch Cocktails gab. Er ging angespannt neben mir, als wir auf die Villa zugingen. Die Eingangstüre war gesäumt von Engelstrompeten und als wir eintraten tauchte das Oberlicht die Eingangshalle mit dem mit schwarzen Einlegearbeiten vertierten weißen Steinboden in ein helles Licht, während klassische Musik aus versteckten Lautsprechern klang und Bedienstete mit Tabletts voller Häppchen und Sektglässern, den Neuankömmlingen aufwarteten.

Das Wohnzimmer, das man durchqueren musste um in den Garten zu gelangen war ausgelegt mit einem dicken Perserteppich der unsere Schritte dämpfte. Es war eingerichtet mit schlichten Desigermöbeln und einsam wirkende Landschaftsgemälde zierten die sonst weißen Wände. In Vitrinen standen seltene Bücher, Sammlerstücke und wertvolles Geschirr aus aller Welt. Obwohl alles hell und weiß gehalten war, wirkte es trotz des einschüchternden Reichtums herzlicher als das Haus meiner Kindheit. Dennoch schien er neben mir mit jedem Schritt zu schrumpfen. Ich drückte schnell seine Hand, ohne ihn anzusehen, bevor wir durch die Glasdoppeltüre auf die Terasse hinaustraten.

Das erste, das einem ins Auge fiel, war das Büffet linkerhand, dass sich die zweistufige Terrasse herunterschwang. Darauf standen hohe Etageren, bestückt mit den raffiniertesten Arten von mini Cupcakes, bunten Macarons und ausgefallenen süßen Stückchen, die mit Sahne, Blattgold, kandierten Blüten und Ornamenten verziert waren.
Auf dem pastellgrünen Tischtuch thronten mehrstöckige Torten, in Formen, die ich mir nicht einmal zu erträumen gewagt hätte, verziert mit Schokoladenspiegeln, Früchten und Spiegelglasuren. Dazwischen standen in den ausgefallensten Gläsern Deserts in allen Farben, Formen und Schichten mit Früchten, die ganz bestimmt nicht Saisonal waren. Ich entdeckte sogar Schüsseln aus Schokolade und Teig, Gitter aus Karamell und Dinge, die nicht ansatzweise essbar aussahen.

Das Plätschern des angelegten Baches, der die Terrasse herunterfloss mischte sich mit dem Murmeln von kultivierten Gesprächen, dem Rauschen der herrschaftlichen Bäume des Gartens und Bachs Violinenkonzert 1041. Alle schienen Beige oder Pastelltöne zu tragen und bereits in Rente zu sein. Gab es ein Thema dieses Festes, das ich verpasst hatte?

Ich hatte vergessen wie überwältigend Reichtum immer wieder sein konnte. Vor allem, wenn es dermaßen wortwörtlich auf einem Silbertablett serviert wurde. Und wenn ich mich bereits bei diesem Anblick wappnen musste, wie musste sich dann erst Jérôme fühlen, der so etwas noch nie erlebt hatte?
Ich warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Er wirkte blasser als sonst. Doch bevor ich ihm vorschlagen konnte, dass wir uns einfach unbemerkt davonstahlen und etwas bei McDonald's aßen, um die überwältigenden Eindrücke von hier zu verdrängen eilten klackende Absätze auf uns zu.

"Du kommst, also auch noch.", strahlte mich meine Mutter mit kirschroten Lippen an und klimperte mit ihren künstlich verdichteten Wimpern. Ihr Brust wogte unter ihrem anliegenden, weißen Kleid, als sei sie nicht drei Schritte auf uns zu gelaufen, sondern auf uns zu gerannt. "Hallo, Mutter." Ich zwang meine Gesichtsmuskeln dazu ein Lächeln zu formen und suchte über ihre freien Schultern hinweg, das strenge Gesicht meines Vaters. Sie schien es zu bemerken: "Wenn du hoffst deinen Vater zu finden, suchst du vergeblich." Sie schürzte verächtlich ihre Lippen, bevor ihre silbern geschminkten Augen sich Jérôme zuwandten. "Oh. Wenn hast du denn mitgebracht?" Sie musterte seinen Anzug, bevor sie sein Gesicht zu bemerken schien. "Er ist ein Freund.", erklärte ich schnell, da er überfordert wirkte. Sie nickte kurz, bevor sie wieder mich fixierte. Wie konnte einen seine eigene Mutter solch ein Unbehagen vermitteln?
"Begrüße auch Margarete.", fügte sie hinzu, bevor sie zum Büffet stöckelte und mich mit einem schalen Geschmack im Mund zurückließ.

"Wenn du sie unsympathisch fandest, ist das vollkommen normal. Manchmal glaube ich sie kann ihre eigene Oberflächlichkeit nicht ausstehen.", raunte ich Jérôme zu, der wie zur Salzsäule erstarrt dastand. Ich legte ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn sanft aber bestimmt, auf die Mitte der Terrasse zu.

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So. Nach so un-glaublich langer Zeit endlich ein neues Kapitel. Mir haben selbst meine Charaktere gefehlt, doch leider ist im letzten Jahr so viel in meinem Leben passiert, dass ich nicht einmal mehr Zeit für mich hatte. Doch jetzt geht es hoffentlich wieder halbwegs regelmäßig weiter. Zwar ist das Kapitel etwas kürzer geworden, als ich es euch nach so langer Zeit schreiben wollte, aber ich hoffe dennoch, dass es gut ist. ^^

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