Jérôme #9

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Er steckte die Flasche weg und irgendwie fühlte sich plötzlich alles ganz flauschig an. Auch wenn irgendwo in meinem Hinterkopf etwas an meinem Gewissen nagte. Ich sollte nicht trinken und daran hatte ich mich bis ich diesen doofen Typen kennen gelernt habe, auch gehalten. Er war kein guter Einfluss auf mich! Und er machte mich wütend. Das war nicht gut. Ich sah ihn wütend an und wenn er meinen Blick bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. In seinen Augen mischten sich Gleich- und Hochmut. Beides war mir unsympathisch. "Weißt du? Du wirkst arrogant.", platzte es aus mir heraus, was ich dachte. Er schenkte mir einen kurzen, abschätzigen Blick, schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen den Stamm in seinem Rücken. Ich kämpfte mich auf meine Knie. "Sieh mich gefälligst an, wenn ich mich über dich aufrege!" Er öffnete seine Augen einen Spalt breit und seine Schieferaugen glänzten matt. Wie konnte man in seinen Blick nur so viel Desinteresse legen? "Du bist betrunken.", stellte er bloß fest. Ich bekam er irgendwie hin aufzuspringen und mich vor ihn zu stellen. "Bin ich..." Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorne. Meine Hände lagen auf seinen Oberschenkeln und ich sah, dass seine Augen gar nicht ausschließlich grau waren. Um die Iris herum lag ein Ring wie aus schwarzen Strahlen. Und seine Lippen waren so schön und sahen so weich und flauschig aus... Ob sie sich wohl auch so anfühlten? Und bevor mein Gehirn es realisierte lagen meine Lippen auf seinen. Die waren noch weicher als ich es mir vorgestellt hatte und unsere alkoholschwangeren Atem trafen sich. Ich schloss meine Augen und legte ihm eine Hand in den Nacken. Es war schön ihn zu küssen. Schöner als ich mir meinen ersten Kuss jemals vorgestellt hatte. Und dabei war er doch ein Junge... Aber der Alkohol ließ die Gedanken miteinander verschwimmen. Ein Kribbeln explodierte in meinem Körper und überschwemmte ihn. Es war als würde er mich aus einem Traum reißen als er mir eine scheuerte. Er sprang auf, vergrub seine Finger in meinen Haaren und schleifte mich hinter sich her. Mein Gehirn arbeitete nicht schnell genug, um zu begreifen, was er da tat, als er meinen Kopf in den Bach tunkte. Das Wasser riss an meinen Haaren und meiner Kopfhaut begann vor Kälte zu kribbeln. Er riss meinen Kopf wieder aus dem Wasser, richtete sich auf und sah zu mir herunter. "Besser?" Seine eine Augenbraue war hochgezogen, sein Gesicht verschlossen. "Du bist betrunken schrecklich.", stellte er fest, als sei es etwas Alltägliches jemanden an den Haaren ins Wasser zu tauchen. Ich stand noch etwas wackelig auf den Beinen auf und sah ihn wütend an. Am liebsten wäre ich davon gestampft, hätte ich nicht gewusst, dass ich mich verlaufen würde. Er legte den Kopf schief und musterte mein Gesicht mit diesen schrecklich kalten Augen. "Bist du schwul?" "Nein!", erwiderte ich aus Reflex, aber eine kleine Stimme in meinem Kopf rief: Du hattest noch nie Interesse an Mädchen. Ich biss mir auf die Lippe und schob den Gedanken beseite. Ich hatte mich noch nie wirklich damit auseinander gesetzt, aber selbst, wenn ich schwul sein sollte, wäre ich bestimmt nicht so bescheuert mich in ihn zu verlieben! "Dann küss mich auch nicht oder mach mich anders komisch an." Damit schnappte er sich seinen Rucksack, schwang ihn sich über die Schulter und stapfte den Bachlauf hoch. Ich musste beinahe rennen, um ihn wieder einzuholen. Es war schrecklich so abhängig von ihm zu sein. "Unsere Klasse, wollte zu dem Wasserfall. Auf der Karte war bloß ein Bach eingezeichnet. Wenn wir dem hier also folgen, finden wir sie." Ich nickte stumm. Meine Gedanken waren schon längst woanders. Er sollte mal schön unsere Route planen. Natürlich hätte ich alles auf den Alkohol schieben können, aber trotzdem ging mir die Frage, wieso ich ihn geküsst hatte nicht mehr aus dem Kopf. Außerdem war es auch der einzige Gedanke, der sich irgendwie in den Nebelschwaden, des restlichen Alkohols verfangen hatte. Wieso gerade er? Und wieso hier? Und wieso überhaupt ein Junge? Mit der Aktion heute Morgen hatte ich ihn provozieren, was ja auch super geklappt hatte, aber das gerade war etwas anderes gewesen... Auch wenn ich nicht sagen konnte was genau und das machte mich fertig. Ich stapfte neben ihm her und die Schatten die das Sonnenlicht durch die Blätter warf, spielte über den Boden und uns. Ich konnte ihn doch verdammt nochmal nicht ausstehen, also wieso und wie kam ich auf den Gedanken ausprobieren zu wollen, wie sich seine Lippen anrühlten? Er hatte mich fast ertränkt und davor mich fast wegen einer Kleinigkeit zusammen geschlagen. Also was war schief mit mir? Er behandelte mich wie Abschaum und so sollte ich mich auch ihm gegenüber verhalten. Vor dem gestrigen tag hatten wir uns gegenseitig nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Wir hatten in zwei Welten gelebt. Wieso war das so plötzlich alles über den Haufen geworfen worden? Er hatte sein Leben gelebt, ich meins. Und durch eine Nacht im selben Zimmer und ein paar gewechselte Sätze veränderte sich alles. Wie konnte das so schnell gehen? Oder bildete ich mir das bloß ein? Wäre es nach dieser Woche wie davor? Sobald wieder der Schulalltag begann... Eine Nervosität schlich sich in meine Brust und ich stellte mir die Frage, woran das lag. Wollte ich gar nicht, dass es wieder wie früher wurde? Wollte ich nicht mehr die Distanz? Und wenn es so war wieso? Was war überhaupt... Ich stolperte über eine Wurzel und viel zu schnell kam der Waldboden näher. Aber statt zu reagieren, fragte sich mein träges Gehirn bloß, ob das Laub wohl meinen Sturz abfedern würde... Zwei Arme fingen mich auf. "Du musst aufpassen! Und dass du besoffen bist ist nicht für alles eine Ausrede!", fuhr er miuch an und ich hatte Lust ihm etwas schnappsiges zu erwidern, aber mir fiel nichts ein. der Nebel waberte immer noch in meinem Kopf und verhinderte jeden Gedanken, der nichts mit Aufstehen zu tun hatte. Mit der Hilfe seiner Hände bekam ich es wieder einigermaßen hin, auf die Beine zu kommen. Ich wusste, dass ich heute keine antworten auf die Fragen mehr bekommen würde, auch wenn ich nicht wusste, ob das an dem Alkohol oder an der Angst vor den Antworten lag.

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