Jeremy #11

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"Komm schon! Nur einer!", jammerte Marco und seine Augen glitzerten im Dämmerlicht. Zwar nervten sie mich schon nach zehn Minuten bei ihnen sitzen, aber was hatte ich für Alternativen? "Eine kann mir den Kopf kosten.", entgegnete ich kühl, aber nicht ohne das Lächeln zu vergessen. Diese Typen waren um einiges unberechenbarer als es mir lieb war. Und nicht einmal klug oder charmant. Eigentlich konnten sie einem Leid tun, aber die meiste Zeit wollte ich sie einfach bloß schlagen. "Sonst warst du doch auch nie so eine Pussy.", beschwerte sich Marco weiter. "Wenn Lehrer direkt daneben stehen riskiere ich so etwas nicht." Ich hätte mich in den Schatten eines Baumes setzen und lesen sollen. Oder bei Jérôme bleiben... Er hatte mich überrascht, als er mich umarmt hatte. Ich hätte ihn nicht für den Kuschelmenschen gehalten. "Jetzt sei nicht so ein Spielverderber!", mischte sich auch Kevin ein. "Wenn ich deswegen Ärger bekomme ist das auch nicht mehr lustig." Ich vermisste, auch wenn es mich überraschte, dass ich so etwas auch bloß dachte, Kyle. "Und wenigstens Alkohol, wenn du uns schon kein Gras gibst?", hauchte Gina in mein Ohr. Ihr Arm lag auf meiner Schulter und ich spürte ihre Lipglosslippen zu nah an meinem Ohr. Ich schüttelte sie ab. "Vielleicht später." Sie setzte sich schmollend neben Marco und sie hielten Händchen. Sie waren eins dieser Pärchen, von denen alle sagen, wie süß sie doch waren. "Du bist wie diese Kindergärtner, die die Süßigkeiten unter Verschluss halten.", lachte Pierre, stand auf und ging wohin auch immer. Ja. Wie im Kindergarten kam ich mir auch vor, bloß dass man dort nicht mit Drogen, sondern Center Shocker dealte. Ich wollte ehrlich gesagt nicht bloß kein Risiko eingehen, sondern ich hatte auch gar kein Gras dabei. Alleine schon wegen der Tatsache, dass ich selbst nicht viel von Kiffen hielt, die Auswirkungen davon, waren noch ekelhafter als bei Zigaretten, ich mochte einfach den kleinen Kick den es einem gab, wenn man direkt vor der Nase von Herr Schamm und anderen Lehrern, die dachten alles unter Kontrolle zu haben, alleine wegen der Tatsache, dass sie sich angeblich den Respekt der Schüler verdient hatten, das Zeug zu verticken. Es war leichter, als ich jemals erwartet hatte. "Ist es eigentlich arg schlimm mit diesem Jungen?" Allen reckte sich um über meine Schulter zu Jérôme sehen zu können, der im Schatten einer Eiche saß und etwas in ein kleines Buch kritzelte. Ich zuckte bloß die Schultern. Ich konnte ihnen ja schlecht sagen, dass ich ihn ihnen sogar vorziehen würde. Vielleicht auch gerade aus dem Grund, dass er stur, undurchsichtig und widerspenstig war. Sie begannen irgendein Gespräch über ein bevor stehendes Konzert und besprechen, wer fuhr und nicht so viel trinken durfte. Niemand war wild auf den Job. Am liebsten wär ich aufgestanden und wieder in den Wald abgehauen. "Hey?" Jemand fuchtelte vor meinen Augen rum. "Dein Handy klingelt." Erst jetzt hörte ich den Ton, den ich für Nachrichten eingestellt hatte. Schnell kramte ich das Handy aus dem Rucksack. 14:12 Uhr; Schatz: Dein Vater war gerade da. Frag nicht weshalb. Ich weiß es nicht. Aber er hat etwas zu essen mitgebracht. Happy Birthday. "Deine Freundin?" Kevin grinste verschwörerisch und versuchte über meine Schulter in mein Handy zu sehen. In meiner Brust spürte ich ein feines Stecken, als er so unbekümmert "Freundin" sagte, aber ich ignorierte es. Ich musste wirklich so schnell wie möglich den Namen unter dem ich ihn eingespeichert hatte ändern. Mal wieder nicht aus dem Haus gekommen?, tippte ich zurück, bedacht darauf niemanden in mein Handy sehen zu lassen. 14:24 Uhr; Schatz: Mein Guthaben ist alle. Ciao. Ich grinste. Typisch er. Sobald es unangenehm wurde, aus der Schussbahn verschwinden.Ich ließ mein Handy wieder im Rucksack verschwinden und versuchte erst gar nicht Teil der Gespräche zu werden. Am Ende wurde ich noch auf eine Party eingeladen. Aber wieso war mein Vater vorbei gekommen? Er wusste doch, dass ich nicht da war. Ich seufzte und stand auf. "Wohin gehst du?" Ich brauchte ein wenig Freiraum und hatte Angst mein Gehirn würde sich verflüssigen, wenn ich weiter bei ihren Gesprächen zuhörte. Ich antwortete Kevin nicht und riss mich los. Die Äste knackten unter meinen Füßen als ich zwischen den Bäumen verschwand. Frau Schamm und Herr Rieber bemerkten es nicht, da sie noch über etwas diskutierten. Herr Rieber wirkte ziemlich genervt und fuchtelte in die Richtung von Jérôme, der mir hinterher sah. Vielleicht diskutierten unsere Lehrer darüber, ob sie uns bestrafen sollten oder nicht. Ich erwiderte Jérômes Blick bis ein Baumstamm sich dazwischen schob. Hoffentlich konnte er keine Gedanken lesen und war unempfänglich für Telepathischewellen war. Es war schön ein wenig alleine sein zu können. Die Blätter raschelten leise unter meinen Schritten und ich wäre am liebsten ewig weiter gelaufen. Aber alleine der wütende Blick von Herr Rieber hielt mich davon ab. Die Lehrer waren schon schlecht genug auf mich zu sprechen und die Tage konnten wenn ich es mir noch mehr mit ihnen versaute noch schlimmer werden. Es war schon schlimm genug auf Jérôme sitzen zu müssen. Ich ließ mich an einem kleinen Teich in dem das Licht glitzerte auf den Boden sinken und legte mich hin. Mein Rücken entspannte sich das erste Mal seitdem wir in den unbequemen Bus gestiegen waren. Ich legte meinen Arm über meine Augen und ließ bloß noch ganz wenig von dem goldfarbenen Licht, das durch die Blätter sickerte, bis zu meinen Augenlidern vordringen. Man hörte kaum noch die Geräusche der Klasse, die hier nicht rein passten. Stattdessen mischten sie sich mit Blätterrascheln, Bienensummen, Vogelgesang und so vielem anderen, dass es völlig untergeht. Eine Ruhe durchströmte meinen Körper, wie ich mich schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Es ist befreiend, als gäbe es für einen Moment keine Sorgen mehr oder als würden sie zumindest genug schrumpfen, um die tatsächliche Nichtigkeit zu sehen. Am liebsten würde ich für immer hier liegen bleiben. Bis ich selbst zu Staub zerfiel und schlussendlich zu Erde, wie die ganzen Blätter und toten Tiere. Ich musste lächeln, wenn ich mir vorstellte, wie jemand, der eine Einstellung wie meine Mutter hatte, über meinen bleichen Schädel stolperte. Denn ich wusste, dass sie meinen Wunsch nach Ruhe als Antriebslosigkeit und Egoismus deuten würde, außerdem bekäme sie einen hysterischen Anfall im Wald menschliche Knochen zu finden, wenn man es überhaupt irgendwie einmal hinbekommen sollte, sie in den Wald zu locken. Ich bemerke es nicht, als sich jemand neben meinem Kopf ins Laub fallen lässt. Vielleicht war ich auch kurz weggenickt, ich hatte letzte Nacht nicht gut geschlafen. "Du weißt, dass sie wieder sauer sein werden, wenn wir wieder weg sind?", fragt er mit ruhiger Stimme und ich muss unter meinem Arm hindurch lugen, um zu begreifen, dass tatsächlich er es waf. Er hatte seine Knie an die Brust gezogen und die Arme darum geschlungen. Seine Finger zeichneten auf dem Stoff seiner Hose unsichtbare Muster und seine Stimme hatte so viel ernster und nachdenklicher geklungen, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Das erste Mal, seitdem wir zusammen sein mussten nervte er mich nicht mit seiner Anwesenheit und beinahe hätte ich meinen Kopf einfach auf seinen Schoß gelegt und mit meinen Fingern Muster hinzugefügt. "Ich hab deinen Rucksack.", sagte er ruhig, seine Augen immer noch auf di Oberfläche des vor Kaulquappen schwarzen Sees geheftet. Ich wusste nicht, ob ich ihm danken sollte und setzte mich bloß auf. "Denkst du oft über die Vergangenheit nach?" Es überraschte mich, dass er so unvermittelt so etwas fragte. "Ich denke, an alles was ich anders hätte machen sollen." Stille. Es war das erste Mal, dass es mich nicht störte, dass er Fragen stellte. Aber es würde wahrscheinlich auch das letzte Mal sein. "Du?" Das Wort schien wie ein hinunter segelndes Blatt auf der Oberfläche des Teiches zu landen. Sein Blick hing immer noch unverwandt am Wasser. "Ich vermeide es meistens." Vielleicht konnte er nicht viel ändern. Irgendwie war es merkwürdig. Der Moment, die Atmosphäre. Als stehe die Zeit still, während wir hier saßen und beide nicht wussten, ob wir weiter fragen durften. Und doch genoss ich es. Ich schloss meine Augen und lehnte mich auf meine Arme gestützt zurück. Die Sonne schien wie ein goldener Finger auf diesen Jungen zu zeigen und auch wenn ich nicht abergläubisch war, hatte der Moment etwas magisches an sich.

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt