- Kapitel 24 - Der Ruf eines Drachen

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Das Seil war recht stramm, oder Zenon ging einfach zu schnell. Esa kam nur im eiligen Schritt hinterher und war schon nach einer halben Stunde komplett außer Atem. Aber was wunderte es sie, Zenon war, so weit sie wusste, ein ziemlich großer Mann der ebenso große Schritte machen konnte. Sie war kleiner, Esa musste folglich mehr Schritte machen um die gleiche Strecke zurückzulegen. Trotzdem sie jedoch so zügig ging, zog und spannte das etwa ein Meter lange Band, das ihr Handgelenk mit seinem verband. Er hatte gemeint, dass er sie nicht die ganze Zeit bei der Hand führen wollte und sie schneller wären, wenn er sie einfach auf diese Weise hinter sich her führte. Hinter sich her zog, wohl eher. Esa konnte sich nicht erinnern je so lang, so eilig gegangen zu sein. Mal durch das Dorf, aber diese Strecke hatten sie bestimmt mittlerweile verdoppelt, nein vervierfachte, oder... ach... Es brachte ja auch eh nichts, dachte Esa missmutig und stolperte einmal mehr über ein Gestrüpp in Bodenhöhe.
„Bei den Ahnen, diese dämlichen Dornen!", fluchte sie leise murmelnd, als das zu große Kleid sich erneut verfing und sie es ruppig versuchte zu befreien. Da machte es auf einmal ratschhh und ein großer Fetzen des morschen Saums hing noch in den Dornen, während Esa nach vorn stolpert. Mit der Stirn voran prallte sie gegen Zenons Rücken und merkte er jetzt das er stehen geblieben war. Sie nahm schnell wieder Abstand und schluckte, perplex das Kleid haltend. „Oh nein... das... wollte ich nicht.", sagte sie reuevoll und wagte nicht den Kopf zu heben. Zenon war so freundlich gewesen ihr ein Kleid zu geben und sie machte es jetzt auch noch kaputt. Esa schämte sich. Wie ging sie nur mit den Sachen anderer Leute um? „Bitte verzeih mir, ich werde meinen Vater bitten es dir zu entschädigen, sobald wir ihn erreichen." Er schnaubte, ob aus Wut über ihr Ungeschick oder aus Mäßigung, konnte sie nicht sagen.

„Wir sind langsamer als ich dachte. Lass mich also meine Aussage von gestern korrigieren. Es wird nicht zwei sondern vier Tage dauern, bis wir das nächste Dorf erreichen. Vielleicht noch mehr, wenn du dich nicht beeilst." Er klang gereizt. Esa ließ die Schultern hängen. „Aber ich beeil mich doch schon! Könnte ich so große Schritte machen wie du es kannst, dann wäre ich auch so schnell. Ich versuche doch schon so schnell zu gehen, wie es mir möglich ist. Ansonsten müsste ich rennen und das halte ich nicht lange durch. Bitte, ich will dir wirklich keine Last sein, aber ich kann nicht schneller!", versuchte sie sich irgendwie zu verteidigen und hoffte, das es ihn nicht wütender machte. Es folgte ein Moment Stille, die sie besorgt das Kleid in ihren Händen kneten ließ. Was würde nun geschehen? Was dachte er? Sicherlich war er genervt und verärgert. Anscheinend konnte sie nur alles falsch machen, das musste er denken. Die Röte stieg Esa ins Gesicht. Schließlich schnaubte er wieder, wie zuvor. „Na gut, dann brauchen wir eben länger. Es ist dein Schaden.", antwortete Zenon schulterzuckend, wandte sich wieder um und ging weiter. Nicht, das er in irgendeiner Weise langsamer gegangen wäre. Er hielt sein Tempo eisern ein, zog Esa wie einen Esel hinter sich her und sie stolperte und stauchelte ihm unbeholfen nach. Schaden, ja? Esa schluckte besorgt. Hatte er nicht gesagt, er wolle ihr nicht schaden? Hatte er das vergessen oder war es von Anfang an eine Lüge gewesen? Es war ihr Schaden...
Nein, oh nein... Die Brust verengte sich Esa einmal mehr. Klang, als hätte sie ihren Handel mit dem Unheil in Person, mit dem Unglück gemacht. Sie hatte sich verkauft, zur Sklavin gemacht. Und dieser Stein schien nun in ihrem Kopf zu fallen. Sie hatte sich sogar freiwillig ein Seil anlegen lassen wie ein treudoofer Hund. Esa biss sich auf die Wange und versuchte tief durchzuatmen.

Und dann hörte sie einen Drachen in der Ferne brüllen. Das gab ihr den Rest. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, nur, um dann umso schneller zu schlagen und wie bei einem ängstlichen Kaninchen davon zu jagen. Mit einem Satz hatte sie Zenon eingeholt und klammerte sich verängstigt an ihn, sodass er stehen blieb. „Oh, Ahnen! Hast du das gehört? Das war bestimmt der Drache von gestern! Jetzt kommt er wieder, um uns zu holen! Er hat bemerkt das wir nicht mehr da sind. Wir müssen uns verstecken, wir müssen... wir müssen...", haspelte Esa starr vor Schreck und vollkommen kopflos. Sie atmete hysterisch ein und aus, immer schneller. Zenon schien ruhig. Er gab nur ein Brummen von sich, was sie zunächst als ein mürrischen Laut interpretierte, aber als er es mehrere Male wiederholte, erkannte sie darin ein düsteres Kichern. „Nein", sagte er in aller Seelenruhe beinahe schon so etwas wie amüsiert. „Das ist nicht das Drache von gestern." Esa schüttelte den Kopf.
„Woher willst du das wissen? Für mich klingt das wie das Monster, das mich fast gefressen oder begraben hätte.", fragte Esa und versuchte Zenon dazu du drängen sich wieder zu bewegen und mit ihr ein Versteck zu suchen. Aber er bewegte sich kein Stück. Genauso gut hätte sie an einem Felsen schieben können.
„Für mich klingt es nach dem überbrodelnden Ego eines rangniedrigen Jungdrachen, der nicht weiß wo seine Grenzen sind.", meinte Zenon nun ernsthaft kichernd. Esa hob verwirrt den Kopf zu seinem Gesicht. Das hatte er gehört? Oder verarschte er sie gerade und brachte seine Scherze in denkbar unpassenden Momenten und sie nahm alles für bahre Münze? „Zenon! Wir müssen. Uns. Verstecken!  Ich versteh nicht, wie dir jetzt nach Witzen sein kann. Verstehst du denn nicht? Das ist ein Drache! Wenn der uns findet, frisst der uns bei lebendigem Leibe, oder verbrennt uns zu Asche, oder... Kennst du denn gar keine Geschichten? Hat das Dorf aus dem du kommst nie einen Angriff erlebt? Brennende Häuser, schmelzende Waffen, tote Menschen?! Frauen die entführt und getötet werden und Männer die sterben, weil sie mit allem kämpfen was sie haben? Weißt du denn überhaupt nicht was ein Drache ist?!" Esa war nun in Rage. Vor Angst, vor Wut, wegen einfach allem. Konnte es das geben? Einen Menschen der Späße über Drachen machte? Diese uralte Bestien, die Dämonen, die von den Ahnen geschickt die Menschen heimsuchten? Es war das größte Grauen. Keine Mutter wurde je müde ihre Kindern zu warnen und zu lehren mit der Grausamkeit und dem Schrecken, den Drachen bringen. Esa selbst hatte die Geschichten so oft gehört, sie konnte es nicht mehr zählen. Mittlerweile waren sie ihr in Fleisch und Blut übergegangen und waren wie eine eigen gemachte Erinnerung.

Zenon war verstummt, das Kichern war ihm aus dem Gesicht gewischt. Etwas zu grob löste er sie von sich und strich ihr dann mit dem Daumen über die bebende Unterlippe.
Sein Ton, als er schließlich sprach, war erstaunt, beinahe ungläubig, als er seine Erkenntnis laut aussprach: „Du hast keine Ahnung, was ich bin."

Dynastie der Drachen - Die Augen der BeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt