Esa schwieg mit gesenktem Kopf. Natürlich, das hatte sie schon geahnt, aber es nahm nichts von der Hoffnungslosigkeit es jetzt laut zu hören. Sie fühlte sich kraftlos, zu schwach auch nur einen weiteren Schritt zu gehen.
„Wie weit ist das nächste Dorf entfernt?", fragte sie mit heiserer leiser Stimme. Zenon runzelte die Stirn und blickte irgendwo in die Ferne. „Weit... Aber das Problem daran ist nicht die Entfernung an sich. Unser Clangebiet endet kurz hinter diesem Dorf, das ist unser südlichster Punkt. Dahinter beginnt das Gebiet eines anderen Clans und dahinter... ist es ungewiss. Weiterzugehen wird gefährlich werden, denn ab jetzt müssen wir fremde Gebiete durchqueren. Und auch ich kenne die Wälder jenseits dieser Grenze nicht. Ich kann dir nicht sagen, was genau uns dort erwartet oder wie lange wir unterwegs sein werden." Es war ernüchternd, Esa fühlte die Asche und die vergangene Glut auf ihrem Gesicht und sann über seine Worte nach. Aber die Tränen wollten nicht kommen. Im Gegenteil, sie fühlte sie fern von alledem, dumpf und matt. „Willst du denn weiter gehen?", fragte Zenon in einem seltsamen Ton. Esa atmete tief ein und wandte ihm dann langsam den Kopf zu. Wollte er das sie aufgab? Rechnete er nun, da er sie in dieses Dorf gebracht hatte, damit das sie einfach resignierte und sich ihm voll und ganz ergab? Esa schüttelte es. „Natürlich will ich weiter! Vater ist nicht hier und vielleicht war er das auch nie! Es ist mir egal wie weit ich gehen muss bis ich ihn finde, zur Not bis ans Ende von Sarima, bis ans Nordmeer oder darüber hinaus. Ich werde ihn finden! Ich MUSS ihn finden...", ereiferte sie sich demonstrativ und verschränkte stur die Arme vor der Brust.Esa ging einige Schritte in dieses ihr fremde Skelett eines Dorfes, wo noch vor wenigen Tagen das Leben geblüht hatte. Nun war die Stille um sie herum erdrückend und wog schwer wie der Tod selbst, der die Knochen unter ihrem Gewicht zu Staub verwandelte. Traurigkeit lag in diesem Ort wie ein Nebel, erfüllte jeden Atemzug und jedes Geräusch und vermischte sich mit einem eigenartigen Geruch, der Esa unwillkürlich in Unruhe versetzte. Was war das nur? Es roch nach Feuer, aber auch nach etwas anderem was ihr in den Lungen stach. „Wie sieht es hier aus?", fragte sie kleinlaut. Zenon schien überrascht von ihrer Frage, jedenfalls antwortete er nicht sofort. Als er es dann tat, war seine Stimme rau und seine Antwort knapp: „Wie ein ausgebranntes Dorf." Unzufrieden damit drehte Esa sich zu Zenon um. „Das ist mir klar, aber ich will wissen was du siehst! Wie sieht die Welt um mich herum aus? Wie sieht es aus, wenn Drachen über Menschen gesiegt und sie ausgelöscht haben? Bitte... Wenn es das ist, was Drachen wollen, dann will ich es auch sehen.", verdeutlichte sie noch einmal und konnte einen bitteren Tonfall nicht verbergen. Zenon zog die Augenbrauen zusammen und atmete tief ein und wieder aus. Kurz überlegte er nicht zu antworten, dann jedoch hob er seinen der verteilten Tierschädel vom Boden auf und betrachtete ihn nachdenklich. „Die Welt um dich herum...", wiederholte er grollend. „Die Welt stirbt, sie ist aus dem Gleichgewicht geraten. Wir sterben. Ob Mensch oder Drache, das ist nicht die Welt die wir uns wünschen. Auch wir sehnen uns nach grünem Gras, nicht nach Asche, nach Frieden und nicht nach Feuer und Hass. Aber es ist belanglos was wir uns wünschen, was wir wollen, wonach wir verlangen.
Die Welt um dich herum ist - an dieser Stelle- vorallem eines... tot. Die Erde unter deinen Füßen ist grau und tot, die Reste der Wohnstätten um dich herum sind verlassen und dieses Schaf hier...", er sah den Schädel verurteilend an. „... das ist ebenfalls tot. Verbrannt. Der ganze Ort hier stinkt danach." Er spuckte aus, konnte den Geruch sogar mittlerweile bitter auf seiner Zunge fühlen. Esa biss sich auf die Unterlippe, denn sie wusste nichts zu sagen. Zenon schnaubte und drückte Esa den Tierschädel in die Hände, die ihn erstarrend und angeekelt von sich weg hielt. „Iiih!", quietschte sie auf ohne ihn mehr als nötig anzufassen und ließ ihn fallen. „Warum hast du mir das gegeben?!" Zenon musste wegen ihrer Reaktion nun doch leicht schmunzeln. „Damit du siehst... das hast du doch gewollt. Und ich habe dir den Tod gezeigt, dass, was ich sehe, dass, was um dich herum ist. Das hast du verlangt.", antwortete er scheinbar unschuldig und seufzte dann. Sie wischte sich mit steifen Fingern die Hände an ihrem Kleid ab. „Ja, aber doch nicht so!", kiekste sie noch immer aufgeregt.Sie wollte noch mehr sagen, als sich die ganze Situation von jetzt auf gleich veränderte. Erst begann es ohrenbetäubend zu Krachen. Eines der verkohlten Häuser fiel wie ein Kartenhaus zusammen und ließ eine Staubwolke in den Himmel schießen. Doch damit endete es nicht. Das Brüllen eines Drachen war zu hören, es übertönte sogar das Getöse und war so markerschütternd, dass es in Esas Knochen widerzuhallen schien. Sie schnappte ängstlich nach Luft und wollte sich die Ohren zuhalten, da wurde sie schon heftig bei Seite geworfen und rollte einige Meter über die Boden. Der Schlag der sie getroffen hatte raubte ihr einen Moment den Atem.
Was war geschehn? Der Boden bebte, ein weiteres Brüllen erklang gefolgt von einem wütenden Knurren. Zenons Knurren, sie erkannte es wieder. Aber das Brüllen und nun auch Knurren des anderen Drachen, denn nichts anderes konnte solche einen Laut ausstoßen, erkannte sie nicht. Es klang anders, höher, furchterregend. Da schlug etwas großes und schweres auf den Boden auf, Esa und alles um sich herum wurden geschüttelt wie von einem Erdbeben. Sie robbte ziellos davon weg und stieß schließlich auf den harten Rest einer Hausmauer. Das Knurren und Krachen hielt an, weitere Häuser wurde endgültig dem Erdboden gleichgemacht, als die beiden Drachen ernsthaft zu kämpfen begannen. Mehrere Male musste Esa wimmernd innehalten, und die schlimmsten Erschütterungen abwarten, ehe sie sich weiter robbte. Sie hatte keine Ahnung war hier gerade passierte, sie hoffte nur, dass sie nicht zwischen den Drachen mitsamt des Hauses zermatscht wurde, an dem sie gerade entlang kroch.
Als sich plötzlich links von ihr eine Nische in der Wand auftat, zwängte sie sich gedankenverloren zwischen die Schuttreste und kauerte sich ganz klein zusammen. Da war sie nun also wieder. Sie und ihre Angst, die sie in letzter Zeit viel zu oft besucht hatte. Aber auch jetzt wollten keine Tränen kommen. Esa zitterte zwar, aber irgendwo tief in ihrem Inneren war sie ruhig fokussiert. Viel zu ruhig für eine Situation wie diese. Ja, sie wunderte sich selbst darüber was jetzt los war. Das kam ihr nicht richtig vor, so ruhig zu sein, während sie jederzeit getötet werden könnte. Erschrocken musste sie sich sogar gestehen, dass ihr der Gedanke gar nicht so viel ausmachte. Es ängstigte sie nicht mehr zu sterben. Ob es jetzt gleich geschah oder morgen oder wann auch immer. Es geschah ja sowieso. Warum also Angst davor haben? Was genau hielt sie denn überhaupt noch am Leben? Das Dorf betrachtete sie doch wie ein Stück Fleisch, dass man den Männern zum Fraß vorwarf um die eigene Haut zu retten. Ihre Eltern sahen dabei auch noch zu und ihre Heimat war zu einem Gefängnis geworden. Nun war sie die Sklavin eines Drachen, der sie sich hielt wie ein Spielzeug, an dem er irgendwann das Interesse verlieren würde. Dann würde er sie sowieso beseitigen. Es lief also alles darauf hinaus. Früher oder später. Und diese Erkenntnis beunruhigte sie nun tatsächlich. Warum es also mit aller Kraft noch um ein paar Tage hinauszögern?
Doch gerade, als sie wieder aus der Nische hinauskriechen wollte um sich den Drachen auszuliefern, packte sie eine Hand an der Schulter. „Psh, keine Angst. Das da ist ein roter Drache. Seit Jahrzehnten hat keiner mehr einen gesehen, geschweige denn gefangen. Aber die roten Drachenhäute in den Tavernen von Knoxley haben für sich gesprochen. Unverwüstlich, selbst bei direktem Kontakt mit Feuer, Wasser abweisend und von einem unvergänglichen Glanz. Zum Glück meiden sie Menschen, deshalb denke ich, dass er es nicht auf dich, sondern auf den anderen Drachen abgesehen hat.", flüsterte ihr da eine weibliche Stimme ins Ohr, die so gar nicht beunruhigt klang. Esa wandte sich halb zu der Frau um. „Komm mit, dann können wir uns unterhalten.", flüsterte sie weiter nahm Esa bei der Hand und führte sie durch einen schmalen Gang als Schutt, fort von den kämpfenden Drachen.
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Dynastie der Drachen - Die Augen der Beute
FantasyEsa lebt in einem Dorf weit abseits aller Städte, wo die Gefahr durch Drachen zu einer allgegenwärtigen Gefahr geworden ist. Ungeahnt dessen, dass der Kongress für die Sicherheit der Menschen sich in der Hauptstadt versammelt hat, um Alarm zu schlag...