Zenon war wütend. Wütend, das er es zuließ das diese kleine Menschenfrau sich schlotternd an ihn drückte...und es ihm gefiel. Es gefiel ihm, wie der Geruch der Angst sich - erneut - allmählich in seiner Gegenwart veränderte, als sie ruhiger wurde, er sie mit seiner Wärme und Kraft erfüllte. Er gefiel ihm, dass sie ihn gerührte, ihr Gesicht auf seiner Brust lag und er, aus Angst diesen Moment zu stören, nicht einmal zu tief einatmen wollte. Eigentlich hatte er tatsächlich vorgehabt zu gehen. Sie hier einfach am Fluss zurückzulassen und wieder seiner Wege zu gehen. Denn so unglaubwürdig es klang, Menschenfrauen retten hatte heute morgen nicht auf seiner To-Do-Liste gestanden. Eigentlich wollte er nicht mal zum Dorf gehen, aber irgendwas hatte seine Schritte bei der Patrouille auf Umwege gelenkt. Die anderen beiden Wächter seines Clans, die heute eigentlich mit ihm die Grenzen absicherten würden sich bald fragen wo er war. Er hatte also nicht mehr viel Zeit. Und doch... es fiel ihm schwer, diese Frau nun von sich zu schieben.
Er wollte sich wieder sagen, dass sie schon irgendwie zurecht kommen würde, das taten die Menschen doch immer. Sie waren sehr erfinderisch und fanden gute Lösungen für ihre Probleme, auch wenn sie schwach und klein und wehrlos waren. Menschen überlebten.
Aber diese kleine Menschenfrau schien das irgendwie nicht zu können. Sie konnte nicht sehen, das war ihm klar, aber sobald er sie losließ wurde sie zusätzlich ängstlich, starr und war nicht mehr in der Lage logisch zu denken. Sie kämpfte gegen etwas, aber Zenon verstand nicht, was es war. Aber eines war ihm klar, irgendwas musste die Menschen im Dorf getan haben, irgendwas musste passiert sein, dass die Frau nun Zenon den ihren vorzog. Ja, offenbar panische Angst vor diesen Leute entwickelt hatte. Und das war tatsächlich erstaunlich. In all den 41 Jahren seines Lebens hatte Zenon noch nie einen Menschen getroffen, der sich vor seinen eigenen Leuten fürchtete. Tiere fürchteten Menschen, und tatsächlich, auch einige wenige Drachen fürchteten Menschen, aber untereinander unterstützten sie sich. Oder? Esa widersprach allem in ihm, was er geglaubt hatte über die Menschen zu wissen. Was in der Tat nicht allzu viel war, wie man ihm wohl eingestehen musste.
Nein, er wusste nicht, warum die anderen Menschen sie geängstigt und vertrieben hatten. Außer dem Schaden an ihren Augen war sie gesund... und schön. Erst eben hatte er dies gedacht, als er seinen Blick nicht von ihr lösen konnte wie sie am Ufer gestanden hatte, das Überkleid fortgeworfen und nur noch mit einem weißen und absolut durchscheinenden Unterkleid bekleidet. Er konnte sie sehen. Alles an ihr, von ihrem rehbraunen Haar, über ihre eleganten Schlüsselbeine zu den runden, kleinen Brüsten und den sanften Kurven ihrer Hüften. Und er belog sich selbst, wenn er sich einredete, das es ihn nicht reizte. Zenon schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden und löste die Frau von sich.
„Wo ist dein Kleid?", fragte er bewusst schroff, was sie sofort etwas einzuschüchtern schien. „Es war so schwer. Ich wollte es nicht mehr an mir haben. Es schien mich runter zu ziehen und da ich doch nicht gut schwimme, zog ich es aus.", antwortete sie leise und schlang wieder die dünnen Arme um sich, als würde es helfen um sie zu wärmen. Zenon schnaubte gereizt. „Doch nun frierst du. Deine Lippen sind bereits blau und deine Beine rot vor Kälte. Die Neujahrssonne ist noch nicht stark genug, um dich zu wärmen. Du wirst erfrieren, wenn wir weitergehen.", stellte er nüchtern fest und ließ den Blick abermals über ihren zitternden Leib schweifen. Sie blinzelte verstehend und zog die Schultern halb fröstelnd, halb vor Scheu hoch. Fast so, als wäre es ihr peinlich, dass er ihr die Kälte ansehen konnte. „Das ist schon in Ordnung. Mir ist gar nicht kalt. Ich halte sicher aus.", flüsterte sie kaum hörbar zur Seite blickend. Er zog die Brauen mürrisch zusammen. Was war denn mit ihr los? Wollte sie ihm auch jetzt trotzen? Sich beweisen, wie sie es auch in der Nacht versucht hatte? Wofür denn?! Dem Tod ließ sich nichts beweisen, er war ein unbeeindruckter Richter. Außerdem widersprach es dem Überlebensinstinkt, von dem er nun absolut sicher war, das sie ihn nicht besaß. Knurrend nahm er sich den silber-grauen Wolfspelz von den Schultern und legte ihn ihr um. Er bedeckte ihren Oberkörper und würde ihr Wärme geben, oder jedenfalls, würde er das Auskühlen ihres Körpers verlangsamen. Sie zuckte überrascht zurück und betastete den Pelz mit ihren Händen.
Ohne auf ihre Reaktion zu achten ergriff Zenon wieder ihre Hand und nahm sie mit sich, diesmal fort vom Fluss, hinein in den Wald. In das dunkle dichte Grün des hier beginnenden Nadelwaldes. Er war sich nicht mal sicher, wohin er mit ihr gehen wollte. Aber so viel war ihm klar: Er würde sie nicht zum Clan bringen. Dort würde sie ihm weggenommen und dem Rest des Clans zur „Verfügung" gestellt werden. Er selbst sollte sich an ihr nicht den Geschmack verderben, wie sein Alpha und dessen Beta, Zenons Erzeuger, es zu sagen pflegten. Zenon war also von Beta-Blut, er hatte Anspruch auf mehr als nur Menschen. Doch er hatte sich längst mit dem ausprobiert, was ihm zur Verfügung stand. Wenn es auch meist ein viel zu kurzes Vergnügen war, da die Gesellschaft von Menschen ihn rasch langweilte. Sein Verhalten ärgerte den Alpha, und ließ Zenon in seiner Gunst sinken, was ihn dazu bestrebte, ihn sich mit allen möglichen Aufgaben möglichst aus den Augen zu halten. Bei den Ahnen, wie Zenon sie alle hasste. Den Alpha, und den ganzen verdammten Clan, aber am allermeisten seinen Erzeuger selbst. Als ob er mit ihren hübschen Worten von Anspruch und Verdienst Drachenfrauen herbeizaubern konnte! Und dann ließ er Zenon für etwas bestrafen, was er selbst mit inflationärem Verbrauch tat.
Nein, der Clan war keine Option. Diese Idioten würden den Wert dieser Menschenfrau nicht erkennen, sondern sie, wie all die anderen Frauen, in einen Käfig sperren und bei Laune herausholen. Und wenn es ihn zuvor nie gestört hatte, so wollte er die Menschenfrau an seiner Hand doch - erstmal - davor bewahren. Sie war so mutig, so unerschrocken, so... widersprüchlich, das Zenon sie gerne noch etwas länger für sich haben wollte, bevor er sie mit dem Clan teilte. Er wollte mehr über sie herausfinden und sie verstehen lernen.
Aber dafür brauchte er ein geeignetes Versteck für sie. Irgendeine Höhle, einen Unterschlupf, vielleicht eine Felsritze in die er sie schieben konnte, wenn Gefahr drohte.
„Wo gehen wir hin? Zu deinem Dorf?", fragte sie hinter ihm, ungeahnt seiner dunklen Gedanken. Nicht Furcht, sondern vorsichtige Neugier sprach aus ihrer Stimme. Sie war nicht beunruhigt. Zenon schnaubte nachdenklich. „An einen sicheren Ort.", antwortete er knapp und er hatte auch diesmal damit gerechnet, dass sie Angst bekommen würde, mehr wissen wollte, doch sie gab sich mit diesen wenigen Worten zufrieden und schwieg. Sie jammerte nicht und sie klagte nicht, wie es die anderen Menschenfrauen taten, die er kannte. Wirklich, sie wäre an den anderen Idioten des Clans verschwendet gewesen.
DU LIEST GERADE
Dynastie der Drachen - Die Augen der Beute
FantasíaEsa lebt in einem Dorf weit abseits aller Städte, wo die Gefahr durch Drachen zu einer allgegenwärtigen Gefahr geworden ist. Ungeahnt dessen, dass der Kongress für die Sicherheit der Menschen sich in der Hauptstadt versammelt hat, um Alarm zu schlag...