Es war dunkel.
Der Geruch nach unzähligen Kerzen erfüllte den dunstigen Raum. In der Mitte des Raumes saß eine ältere Frau, die dem Mädchen nun die Hände entgegen streckte. Die Mutter des Mädchens legte ihre Hände in die der älteren Frau und zog sich dann in den nebeligen Schatten zurück.Es war still, obwohl man bei genauerem Hinsehen erst eines, dann zwei und dann die vielen Gesichter der Dorfbewohner in den Rauchschwaden ausmachen konnte. Sie alle waren hier versammelt. Keiner wollte verpassen, was jetzt geschah. Esa hielt den Blick gesenkt und ließ sich zu der Frau auf das Wolfsfell sinken. Ihre Hände waren warm und rau von der vielen Feldarbeit und gaben Esa sofort ein vertrautes Gefühl.
Dann setzte das Summen ein.
Summen unzähliger Stimmen, noch leise, kaum zu hören, wie ein Rauschen im Hintergrund.
„Wie alt bist du nun, Tochter des Schmieds?", fragte die Ältere ihr gegenüber mit ruhiger, klarer Stimme. Esa atmete tief durch auf drückte den Rücken durch.
„Siebzehn, oh alte Weise." Ihre Stimme war leise in ihren Ohren. Das Summen wurde etwas bemerkbarer. Nun erkannte man den Bass der Männer, den Sopran der Jungen und den Alt der Frauen, deren Gesichter sich im Nebel abwechselnd abwandten und einen anblickten.
„Warum bist du heute hier, Tochter des Schmieds?", fragte die alte Weise weiter.
„Um zu heiraten, oh alte Weise.", antwortete Esa ohne zu zögern. Sie wusste was sie zu sagen hatte. Das hier, war ihre Bestimmung, ihr Schicksal, der Weg, den die Ahnen für sie vorgesehen hatten.
„Und an wen wünscht du dein Leben zu binden, junge Tochter?" Esa kannte die Antwort, denn es gab nur die eine. Ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust. Erneut wurde das Summen lauter. Es füllte nun den Raum wie der Nebel den Raum für die Sehenden füllte.
„An alle. Die Alten und die Jungen. Die Gesunden und die Kranken. Jedem Mann und jeder ungebundenen Frau will ich Ehefrau und Weib sein.", antworte Esa, was sie immer gelernt hatte zu sagen, was ihr so viele Tage und Stunden im Geist herumgelaufen war. Nun war es endlich gesagt.
„So wie die Ahnen es wollen." Die alte Weise legte ihre Hände auf Esa Knie ab und begann dann eine kleine Holzschale mit roter Farbe anzuheben. „So soll es auch geschehen. Nach all den Jahren der Angst und der Verzweiflung ist nun eine neue Ära angebrochen." Warme schwielige Finger malten eine rote Linie von ihrem Scheitel hinab zu ihrer Nasenspitze, über ihre Lippen zu ihrem Kinn. Es fühlte sich gut an, es war auch richtig, aber mit einem Mal setzte eine leise Sorge in Esa ein. Es war nicht wirklich Angst, immerhin kannte sie die Leute des Dorfes schon ihr ganzes Leben lang und auch ihre Aufgabe war ihr schon lange bekannt und hatte ihr nie viel Bedenken eingejagt. Und doch war da, irgendwo ganz tief in ihr eine kleine Flamme der Sorge.
„Sprich mir nun nach, Tochter des Schmieds!", forderte die Alte Weise sie nun auf.
„Ich binde mich hier und jetzt und aus freien Stücken...", sprach die Alte vor.
„Ich binde mich hier und jetzt und aus freien Stücken..."
„An alle Männer dieses Dorfes und an alle Frauen, die es wünschen..."
Esa wiederholte das gesagte rasch. Das Summen wurde nun laut, an der Grenze zum unangenehmen.
„Die Ahnen sollen Zeuge sein und vor ihnen verspreche ich dem Dorf treu zu sein und niemals fort zu gehen, reichlich Nachkommen zu zeugen und stets zurückhaltend und freundlich und hilfsbereit zu sein.", schloss die Ältere und wartete bis auch Esa das Gesagte nachgesprochen hatte. Ihre Stimme zitterte nicht, aber ihr Herz pochte vor Aufregung ganz laut, lauter als das Summen, das beinahe ihre Stimme verschluckte. Und dann brach es plötzlich ab und es wurde wieder still.
„Trink nun aus und besiegel das Versprechen." Die Frau hob eine weitere Schale an. Als Esa die Flüssigkeit an ihren Lippen schmeckte wusste sie das es Honigwein war. Es schmeckte süß und warm und angenehm als sie die Schale mit ihre eigenen Händen haltend in einigen Schlucken austrank. Es erstickte die Sorge wieder in ihr und ließ sie gut fühlen.
„Gebt nun eurem Weib einen Kuss, wie die Ahnen es bei einer Trauung verlangen und geht.", sagte die Ältere und nach einem kurzen Moment lösten sich aus der Dunkelheit nach und nach Leute, beugten sich kurz herunter, gaben Esa einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwanden. Es fühlte sich seltsam an, Esa versuchte zu erahnen wer es gerade war, wer grob und wer vorsichtig war. Aber sie erkannte keinen der Männer oder der Frauen. Sie verlor auch irgendwann den Überblick, wie viele es eigentlich waren. Sie konnte ja nur bis zehn zählen. Und da sie blind war, konnte sie die Gesichter der Menschen nicht sehen, die weder lächelten, noch Freude zeigten sondern das Mädchen in einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Bitterkeit ansahen. Sie wussten was hier passierte. Sie kannten das Schicksal des Dorfes, das sie zu diesem Mittel zwang.Und als alle fertig waren und Esa erleichtert aufatmete, da ergriff die alte Weise wieder ihre Hände. Mit schwachem Druck hielt sie ihre Hände einen Moment in denen Esa ein Stück ein sich zusammen sank, als wäre eine Last nun von ihren Schultern genommen.
„Nun bist du in den Kreis der Frauen aufgenommen. Du bist nun nicht länger ein Kind und kannst dein rituelles Bad mit dem wertvollen Öl der Heilkräuter einnehmen. Wasche dich ab jetzt nach jedem Blut und bleibe rein.
Lege dich nun zu Bett, Kind. Es dunkelt bereits und die Nacht ist eine unheilvolle Zeit." Die alte Weise endete nicht ohne einen beunruhigten Ton in ihrer Stimme. Die Nacht war böse, weil es dann dunkel war und man nichts sehen konnte. Jedenfalls hatte man Esa das so erklärt. Aber, das hatte sie sich bisher nur gedacht, für sie war es immer Nacht. War es dann immer gefährlich und böse für sie? Aber das hatte sie nie gewagt zu fragen, ihre Mutter sich ohnehin immer zu viele Sorgen um sie gemacht. Außerdem hatte sie nie etwas Gefährliches wahrgenommen, deshalb fühlte sie sich in dem Dorf sicher, egal ob es Nacht oder Tag war. Es war schließlich ihre Heimat. Sie kannte hier jeden Stein, jedes Haus, jeden Baum.
„Natürlich, alte Weise. Ich werde die Nacht immer meiden.", sagte Esa brav, wie es erwartet wurde und fühlte bereits die Hand ihrer Mutter auf ihrer Schulter. Esa neigte respektvoll den Kopf vor der Alten und stand dann auf. Ihre Mutter führte sie sicher hinaus. So wie immer.
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Dynastie der Drachen - Die Augen der Beute
FantasiEsa lebt in einem Dorf weit abseits aller Städte, wo die Gefahr durch Drachen zu einer allgegenwärtigen Gefahr geworden ist. Ungeahnt dessen, dass der Kongress für die Sicherheit der Menschen sich in der Hauptstadt versammelt hat, um Alarm zu schlag...