Die Anspannung im Saal war beinahe sichtbar, wie sie in elektrischen Wellen gegen die Haut brandete und schließlich einen Schauer auslöste der sich von Nells Wirbelsäule bis zu ihrer Kopfhaut entlud. Die meisten der Anwesenden waren Männer in teuren Anzügen und grauen Haaren. Unsichere Blicke und tiefe Falten verunstalteten ihr Auftreten. Das aufgeregte Gemurmel, das wie ein Schwarm Bienen den Hintergrund füllte war unverständlich bis auf einige etwas zu laute Ausrufe zwischendrin. Schrille Stimme, Luft schnappen und ein Herd der aufkochenden Gefühle. „...eine Katastrophe!" „...Gefahr für unser aller Sicherheit!" „...musste ja irgendwann passieren!" „Bestien!"
Nell atmete tief in der dicken Luft des Hörsaals am Kapitol durch. Bis auf das blendende Licht eines Beamers war es dunkel, draußen war es tiefe Nacht. Wolken verhingen einen blassen Mond und die Sterne waren von Dunkelheit verschlungen. Nur, das die Wolken keine Wolken waren, sondern dicke Rauchsäulen eines drohenden Infernos. Der Kongress wurde in aller Eile um ein Uhr nachts zusammen gerufen, weil es wieder passiert war. Schon wieder...
Vorsichtig beugte sich ein älterer Herr, der Vorsitzende des Rates für die Sicherheit der Menschen zum Mikro und sein Räuspern ließ das Gemurmel augenblicklich verstummen. Alle Augen richteten sich auf ihn, auch Nell erwartete seine Worte, während seine verqollenen Augen mit tiefer Ernsthaftigkeit und Bitterkeit durch die Reihen glitten. „Meine lieben Damen und Herren, heute Nacht hat ein beunruhigender Anlass uns zusammengebracht. Ich bin sicher, viele von Ihnen wissen es längst, doch für die Wenigen, die bisher nicht unterrichtet wurden; Vor einer Stunde erreichte uns die Nachricht, dass Zimper, ein Dorf etwa drei Kilometer nördlich von hier in Flammen aufgegangen ist. Sie sind noch bis zum Nordende der Stadt zu sehen und der Rauch vernebelt den Himmel, in den äußersten Gegenden sogar die Straßen. Die Beunruhigung wächst gerade mit jeder Minute und erste Fragen nach dem weiteren Vorgehen werden laut. Denn wie Sie bestimmt auch dies schon wissen, war das nicht das Werk eines übermütigen Jungen oder eine Brandstiftung... es waren Drachen." Nells schluckte beunruhigt. Auch ihre Familie lebt in Norden der Stadt, sie hatte noch immer die Stimme ihrer Mutter im Ohr, als sie sie vor kaum einer halben Stunde angerufen und so schrecklich angsterfüllt geweint hatte, wie Nell es selten bei ihrer Mutter gehört hatte. In hysterischer Panik hatte ihre Mutter ihr zugeflüstert, dass es nun wirklich passierte. Das, wovor sich die Menschen seit Jahrhunderten fürchteten. Es geschah wieder.
Bevor sich wieder Stimmen erheben konnten aus dem Publikum fuhr der Mann fort und schaltete die Präsentation an, die erschreckenden Bilder zeigte. Und der Saal färbte sich im rot-orangenen Licht. „Diese Bilder stammen allesamt aus den letzten sechs Wochen, teilweise von Ortsansässigen, mehrheitlich von Journalisten geschossen und wir können davon ausgehen, dass es noch viele mehr wären, hätte die hiesige Landbevölkerung die technischen Möglichkeiten dazu. Erst Ham, dann Wiebton und Gretorf. Die menschlichen Opfer und die Zerstörung sind unbeschreiblich und zwingen die Überlebenden ihre Heimat zurückzulassen. Selbst größere Ortschaften sind mittlerweile betroffen und erste Dörfer versuchen sich in anarchischer Manier selbst zu helfen.
Alles Angriffe von Drachen, bei denen das Vieh gefressen, die Reichtümer gestohlen und die Menschen ihrer Heimat beraubt wurden." Bilder von brennenden Häusern, weinenden Kindern, Leichentücher über dampfenden Körpern. Einige im Publikum musste wegschauen, würgten teilweise über das hier in der Stadt oft belächelte Grauen, das Drachen verbreiteten. Auch Nell sah nicht hin, sie kannte die Bilder schon, hatte während ihres Studiums schon viel zu viele davon gesehen. „Zimper reiht sich ein in eine Serie von Angriffen, die seit einigen Monaten zusehens mehr und brutaler werden. Insgesamt zwanzig, allein in diesem Jahr. Doch nun, ist es nicht ein Dorf weit im Süden, es ist Zimper. Es ist hier, vor unserer Tür! Nie zuvor haben sich Drachen so nahe an unsere Hauptstadt herangewagt haben. Bis heute Nacht. Und das, meine Damen und Herren, ist in der Tat ein Grund, beunruhigt zu sein." Nun brach es doch wieder aus den ersten Menschen heraus, Stimmen schwollen an, redeten durcheinander, schrien sich an. Panik brach aus, nackte Angst erhob sich wie ein sich windendes Tier. Nur Nell war ruhig. Vielleicht lag es an all der Scheiße, die sie in der letzten Zeit durchgemacht hatte, aber sie fühlte sich irgendwie taub und ausgeschlossen von der Angst. „...hätten es gar nicht so weit kommen lassen-" „...alle töten!" „Aber auf mich hat natürlich keiner gehört!"Nell atmete tief durch, ihr Kopf schmerzte und pochte hinter ihrer Stirn. „Beruhigt euch bitte!", fuhr der Vorsitzende laut und entschieden dazwischen. „Es ist wahr! Es ist an der Zeit zu handeln, bevor die Drachen weiter erstarken und das Wohl des Landes, ja, der ganzen Menschheit gefährden. Jahrhunderte lang koexistierten unsere beiden Spezies auf dieser Welt, aber wir ahnten schon lange, dass dieser Zustand nicht auf Immer bleiben konnte. Dennoch sollten wir uns nicht von der Angst leiten lassen und übereilte Entscheidungen fällen, die uns am Ende unzählige Opfer kosten. Ich frage also euch, liebes Publikum, welche Vorschläge gibt es, welcher Schritt wäre nun am besten? " Und das Publikum war nicht schüchtern.Hände hobe sich, grimmige Meinungen wurden ausgetauscht. Auch Nell hob zögerlich die Hand, obwohl sie sofort wusste, dass ihr Vorschlag auf Widerwillen stoßen würde. "Wir sollten diese Tiere konsequent jagen und ausrotten. Am besten rufen wir die alten Drachenjäger-Familien zu Hilfe, die wissen am besten wie man vorgehen muss." Das war ein Mann weiter vorn. "Hetzen wir unsere Gezähmten auf sie, dann steht es Drache gegen Drache!" "Evakuieren wir die Dörfer und stellen Wachen auf." "Am besten räuchern wir systematisch ihre Höhlen aus und sterilisieren ihre Brut, damit sich ihre Art nicht weiter vermehren kann!" Menschen wollten Blut mit Blut bezahlen, wie es in der Geschichte schon so oft der Fall war und nicht die Gründe und Ursachen, die eine andere Lösung suchten. Nell wurde es schlecht bei diesen Worten. Natürlich empfand sie diese Wut und die Angst auch, aber das, was hier passierte war etwas großes, es war Geschichte! Vor ihren Augen. All das, was sie in den letzten Jahren in Büchern über die ersten Kriege der Drachen und Menschen gelesen hatte schien sich gerade vor ihren Augen zu wiederholen. Und wieder waren es die gleichen Fehler, die im Begriff waren gemacht zu werden. „Wir ziehen ihnen die Haut ab und hängen sie als Warnung an jede Hauswand!", ereiferte sich gerade ein weiterer beinahe rasend vor negativer Euphorie im Hintergrund. Denn alle hier hatten wohl vergessen, dass auch der erste Krieg ein bitteres Ende für die Menschen genommen hatte mit unzähligen Toten und unvorstellbarem Elend. Das durfte nicht noch einmal geschehen! Auf keinen Fall! Noch einmal würde sich die Menschheit kaum davon erholen.
Sich der schweren Last bewusst, dass es heute an Nell liegen würde, dies zu verhindern erklang ihr Name als sie an der Reihe war zu sprechen. Sie erhob sich langsam und richtete den Blick fest auf den Mann auf der Bühne.
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Dynastie der Drachen - Die Augen der Beute
FantasíaEsa lebt in einem Dorf weit abseits aller Städte, wo die Gefahr durch Drachen zu einer allgegenwärtigen Gefahr geworden ist. Ungeahnt dessen, dass der Kongress für die Sicherheit der Menschen sich in der Hauptstadt versammelt hat, um Alarm zu schlag...