- Kapitel 18 - Neuer Tag, neue Gefahr

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Erst das Gefühl von brennendem Durst weckte Esa schließlich aus ihrem Schlaf. Sie wusste weder wie viel Zeit vergangen war, noch ob es noch der gleiche Tag war an dem sie eingeschlafen war. Sie wusste auch nicht wo sie war. Esa wusste im Moment ziemlich wenig, aber sie war noch zu träge, um sich der Ernsthaftigkeit dieser Situation bewusst zu sein.

Sie leckte sich über die trockenen Lippen und setzte sich auf. Eine weiche Decke fiel von ihrem Oberkörper hinunter in ihren Schoß. Hatte Zenon sie zugedeckt? Naja, wer sollte es sonst getan haben? Diese Geste rührte sie und sie tastete vorsichtig um sich herum bis ihre Finger auf etwas stießen. Eine Schale mit Wasser. Rasch hob sie die Schale mit beiden Händen an und trank das kühle Nass in großen Schlucken bis es leer war. Herrlich! Mit neuer Kraft orientierte sie sich im Lager, fand die erloschene Feuerstelle und vollzog die Ausmaße des Abris' nach, unter dem sie geschlafen hatte und der ihr Schutz vor Regen und Wind bot. Zuletzt fand sie neben der Feuerstelle einen kleinen weichen Haufen Stoff. Ein Überkleid stellte Esa fest. Sollte sie das etwa tragen? Und sie kam auch nicht umhin sich zu fragen, woher der Fremde Frauenkleider hatte. Aber schon beim nächsten Frösteln war ihre Hemmschwelle niedrig genug das sie sich das Kleid überzog. Es war etwas zu groß, den Rock musste sie immer hochhalten, damit sie nicht auf den Saum treten würde. Und es roch etwas muffig, als wäre es lange Zeit an einem feuchten Ort gelagert worden. Aber sei es drum! Hauptsache es hielt warm und das tat es jedenfalls besser, als ihr dünnes Unterkleid.

Und was kam als nächstes? Esa stand grübelnd da und lauschte den Vögeln, unwissend, was sie als nächstes tun sollte. Zu weit vom Lager wollte sie definitiv nicht gehen, denn sie war sich weder sicher wo sie war, noch, ob sie das Lager je wiederfinden würde. Und wo war eigentlich Zenon? Sie konnte seine Schlafstätte nicht finden und auch sonst nichts von ihm, keine Kleidung, kein Proviant, einfach gar nichts. Als wäre er ohne sie weiter gegangen. Und während Esa so dastand und nachdachte, schien diese Möglichkeit immer wahrscheinlicher zu werden. Sie lehnte sich missmutig an den Fels und schloss die Augen. Dann musste sie jetzt wohl auf eigene Faust losziehen, denn hier beim Lager zu bleiben würde ihr auf Dauer nichts bringen. Sie waren Flussabwärts gegangen, also nach Süden, wenn sie sich richtig erinnerte. Wenn sie den Fluss wiederfinden konnte, müsste sie nur entgegen des Storms laufen und würde irgendwann das Dorf erreichen. Aber... wollte sie das überhaupt? Zurück? Esa verzog den Mund und spürte einen Knoten in den Brust. Das Dorf, wo Philos auf sie wartete und Mutter? Wo unangenehme Fragen und schreckliche Erfahrungen lauerten? Nein, Esa konnte nicht dahin zurück. Aber wohin dann?

Ihr fiel nur ein Ziel ein, das ihr irgendeine Vertrautheit versprach. Vater! Sie musste ihren Vater und ihren älteren Bruder finden. Als wandernde Schmiede zogen sie seit Monaten durch die Dörfer, übernahmen Reparaturen und Aufträge. Wenn Esa sie fand würden sie sie sicher verstehen, sie würde ihnen erzählen was passiert war und warum sie fortgegangen war. Und dann würde sie sehen, wie schlimm es für Esa war und den Spuck beenden, wenn sie mit den beiden ins Dorf zurückkam. Genau, das würden sie tun!

Esa stieß sich vom Felsen ab und wollte sich bereits am Stand der Sonne orientieren, da grollte es tief und laut, sodass der Boden zu vibrieren schien. Äste knackten, als sie brachen, Bäume wurden zur Seite gedrängt als sich etwas den Weg bahnte, was Esa bisher nur aus ihren Alpträumen kannte. Sie wusste beinahe sofort, dass da kein Tier lauerte. Es war etwas viel, viel schlimmeres...

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Sein Vater thronte in Drachengestalt auf einem Berg aus Knochen und leckte noch das letzte Stück Fleisch von einem Oberschenkel. In der Höhle roch es moderig und feucht, nach Blut und Tod. Von Fern konnte er schreie und ein dumpfes Dröhnen hören. Zenon verkniff sich ein angewidertes Schnauben und hockte sich schweigend vor die beeindruckende Anhäufung an Überresten verschiedenster Lebewesen und senkte den Kopf. So sehr er diesen Drachen auch verachtete, er war noch immer sein Beta und Erzeuger. Er war im Gehorsam verpflichtet.

Unerwartet trag ihn der Schwanz seines Vater mit voller Wucht und schleuderte ihn quer durch die Höhle. Die Luft blieb ihm kurz weg und Schmerz flammte in seiner Brust auf. „Wo warst du?", kam es barsch von seinem Vater, nachdem die Hitze seiner Verwandlung an Zenons Haut brandete. „Du vernachlässigst deine Pflichten, läufst der Patrouille davon wie ein kleiner Welpe." Zenon spuckte bitter aus. „Als ob du mich je hast Welpe sein lassen.", flüsterte er eher zu sich selbst, denn zu seinem Vater. „Wärest du nicht mein Fleisch und Blut, ich würde dich in Stücke reißen für deinen Ungehorsam und für deine Untreue gegenüber dem Clan! Meine Pflicht als Beta befielt mir dein parasitäres Verhalten zu strafen und wenn nötig auszulöschen. Du bist eine Schande für mich! Deshalb sei denkbar, dass ich milde mit dir bin und dich... erneut... schone." Das Draakal sammelte sich bitter unter Zenons Zunge und am liebsten hätte er wütend ausgespuckt, aber er zwang sich ein feines Lächeln auf die Lippen. „Oh, nicht doch! Ich hoffe du behandelst deine anderen Söhne auch so gut wie mich, nicht, das sie noch eifersüchtig werden.", sagte Zenon voller Sarkasmus und richtete sich langsam wieder auf. Sein Vater grollte. „Wie du wünschst. Ich werde meinen Pflichten nun sicher gewissenhaft nachkommen.", fügte Zenon im gleichen Ton hinzu und neigte den Kopf gespielt übertrieben. „Scher dich fort, wo ich dich nicht mehr sehen muss! Dein Verhalten wird dich irgendwann in den Tod führen und ich werde zusehen und mich freuen, wenn das geschieht.", knurrte der alte Drache wütend. Zenon hatte sich bereits umgedreht und wollte gehen, doch dann hielt er noch einmal an. „Du sprichst mir von der Zunge, mein Beta.", warf er abfällig über die Schulter und verließ den Raum der Höhle. Er spürte den Feuerschwall seines Erzeugers im Rücken den er ihm hinterher schickte, doch Zenon verschwand bereits hinter der nächsten Biegung. Das erzwungene Lächeln verschwand, als hätte es nie existiert und mehr Draakral sammelte sich in seinem Mund vor Wut. Er schluckte es ärgerlich runter. Das er sich seine Wut anmerken ließ, würde er seinem Vater nicht gönnen. Nein, er musste sich kontrollieren, auch wenn er sich fühlte, als könnte er gerade den ganzen Wald in Asche legen.

Noch ein paar Schritte, dann blieb er stehen und holte tief Luft. Dann holte er aus und schlug mit seiner Faust mit aller angestauten Wut und Kraft gegen die Felswand. Heißer Schmerz zuckte durch seine Hand, hinauf durch seinen Arm. Die Höhle hielt stand, nur ein haarfeiner Riss spannte sich einmal von den Schlagstelle bis zur Decke. Schade, dachte Zenon. Er hatte gehofft mehr Schaden zu machen, hätte nichts dagegen wenn das ganze verdammte Höhlensystem zusammenstürzte, stattdessen richtete er sich selbst zu. Blut kam aus mehreren Schürfwunden, die Hand fühlte sich taub und steif an.

Zenon musste sich jetzt irgendwie ablenken. Und er hatte da auch schon jemand speziellem im Kopf. Esa. Die kleine Menschenfrau im Wald. Vielleicht konnte sie ihn auf andere Gedanken bringen. Also machte er sich auf den Weg, die Höhle zu verlassen, als er an zwei Clanmitgliedern vorbei kam. „-eben im Wald, gar nicht allzu weit nördlich von hier hinter dem Fluss. Ich wollte sie mir natürlich holen, aber sie ist mir entwischt. Wäre ich etwas ernsthafter dabei gewesen, hätte ich sie natürlich gefunden, aber mein Hunger war gerade gestillt. Ich denke, ihre Fährte lässt sich schnell wieder finden.", meinte der eine mitten im Gespräch, was Zenon aufhorchen ließ. Im Normalfall hätte es ihn nicht im geringsten interessiert was die anderen in ihrer Freizeit trieben und wen oder was sie jagten, aber diese Worte schickten einen kalten Schauer seinen Rücken hinunter. Man konnte es nicht wirklich Sorge nennen, was seine Schritte beschleunigte als er nun aus der Höhle trat, es war eher Beunruhigung über den möglichen Verlust von etwas, das ihm gehörte. Wie, wenn man einem Kind einen schönen Stein wegnahm, den es sich in all der Auswahl sorgfältig ausgesucht hatte. Wenn ihm jemand nun auch noch die Menschenfrau weggenommen oder verscheucht hatte, wäre sein Tag definitiv gelaufen. Aber sie konnten doch sicher nicht Esa meinen, oder?

Dynastie der Drachen - Die Augen der BeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt