Zenon wollte Esa aus einem Impuls heraus sanft in den Arm nehmen, doch sie zuckte heftig davor zurück. In ihrem aschfahlen Gesicht konnte er blanke Irritation und Verzweiflung erkennen. „Ich gehöre dir nicht...", japste sie zwischen zwei Schluchzern und wollte sich von ihm wegdrücken, doch der Baum hinter ihr verhinderte das. Zenon sah sie mitleidig an. „Du... entscheidest nicht über mich... Du kennst mich gar nicht... Du... kannst mich gar nicht töten! Eher laufe ich weg! Weit weg und verstecke mich, sodass du mich niemals findest!" Sie schüttelte den Kopf und Zenon ergriff ihre Hände in einem lockeren Griff. „Nein!", schrie sie auf, als würde seine Berührung ihre Haut verätzen. Da war es also! Sie ertrug seine Hand nicht mehr auf sich, sie fürchtete seiner Berührung, sie schrie und weinte, wenn er sich näherte. Nun war es so, wie es schon immer mit Menschenfrauen gewesen ist; sie verabscheuten ihn und was er war. Esa reagierte nun wie alle anderen Frauen vor ihr. Aber anders als bei allen zuvor ließ Zenon das nicht kalt, sondern versetzte ihm einen unerwarteten Stich in der Brust. Mit aufeinander gepressten Lippen, ließ er ihre Hände los und senkte den Blick.
„Wer bist du, Zenon?", fragte sie, nachdem sie schniefend etwas zu Atem gekommen war und nicht mehr nach jedem Wort durchgeschüttelt wurde.
„Noch immer der, als der ich mich dir am Fluss vorgestellt habe. Zenon... Nicht mehr und nicht weniger.", antwortete er sich zusammenreißend, ruhig zu klingen. Obwohl in seinem Inneren gerade alles andere als Ruhe herrschte. Ihre offen dargebrachte Angst zerrte an seiner Beherrschung sich nicht gar seinen Instinkten und Trieben hinzugeben. „Und was bist du, Nur-Zenon?", fragte sie weiter, den Kopf jetzt tapfer erhoben. „Ein Drache... so, wie ich es auch schon am Fluss war. Offenbar hat meine menschliche Gestalt dich getäuscht und dir eine falsche Sicherheit eingeflößt.", beantwortete er auch das gezwungen ruhig und unaufgeregt. Esa schlug kurz die Hand vor den Mund, lachte kurz stumm und bitter auf und begann dann wieder zu weinen.Es vergingen einige Augenblicke, bevor sie rau schluckte und sich beruhigte. „Und warum hast du mir geholfen? Warum hast du mich aus dem Fluss gezogen, mich aus dem Dorf gerettet, und mir Wasser und Kleidung gebracht?! Wenn du mich sowieso umbringen willst, was hat das noch für einen Sinn?" Zenon hob den Blick und betrachtete ihr verweintes Gesicht. Selbst jetzt stachen ihre wunderschönen Augen aus diesem Gesicht hervor. Es gab keine klare Antwort auf ihre Frage und sie bemerkte sein Zögern. „Sag schon! Ich will die Wahrheit hören.", brüllte sie auf einmal wütend auf. Zenon atmete tief ein und dann wieder aus.
„Die Wahrheit...", wiederholte er mit verzogenem Mund. „Die Wahrheit ist, dass ich es selbst nicht weiß. Dein Mut am Fluss machte mich neugierig, deshalb musste ich dich ein zweites Mal sehen. In dem Haus war ich ein weiteres Mal beeindruckt, wie stark und mutig du warst, obwohl du vor Angst gezittert hast. Und als ich dich dann dort am Fluss gefunden habe, völlig außer dir mit dem Geruch eines fremden Mannes an dir kleben und nahenden Angreifern mit Fackeln und Schwertern... da habe ich die Beherrschung verloren und alles was ich wollte... alles was ich denken konnte, war, dich zu beschützen vor dem, was dir Angst macht. Spätestens ab da dachte ich, du wüsstest was ich bin. Das ist die Wahrheit von der ich weiß!" Esa wiegte den Kopf, ließ den Blick scheinbar schweifen, obwohl er nichts richtig erfasste. Sie dachte nach. Versuchte zu verstehen was Zenon erzählte. „Und jetzt, da du mich gerettet hast... warum auch immer... gehöre ich dir. Das ist es was du denkst, nicht wahr?", fragte sie nach einer Weile. Als Zenon schwieg schüttelte sie den Kopf. „Warum dann der Handel? Oder war der nur, um mir vorzugaukeln ich hätte noch irgendein Recht an mir und meinen Aufenthaltsort. Ich meine, was soll ich einem waschechten Drachen schon entgegen stellen, wenn er mich zu seiner Sklavin ernannt hat?" Die letzte Frage war von resignierter Ironie geprägt und Zenon erkannte, das sie eigentlich auch nun wieder keine Antwort erwartete, als sie weitersprechen wollte. Doch er unterbrach sie: „Es sollte genau das Gegenteil bewirken, Esa! Freiwilligkeit! Du hattest die Möglichkeit abzulehnen, ich habe dir eine Wahl gelassen!" Sie schnalzte fassungslos mit der Zunge und bekam plötzlich beinahe keine Luft vor Empörung. „Du hast mir KEINE Wahl gelassen! Oder ist in ein entlegenes Dorf reisen und möglicherweise auf dem Weg zu sterben eine annehmbare Option für dich? Du hast dich an meiner misslichen Lage bereichert und verkaufst es mir nun als freiwillige Entscheidung! Aber weißt du was das beste daran ist? Ich muss dir dankbar sein, dass du das überhaupt machst, dass du nicht einfach verschwindest und mich im Wald allein lässt.", keifte sie nun wieder und kämpfte dann wieder gegen neue Tränen. Sie war fertig mit den Nerven und der Welt. Zenon ließ ihr Zeit sich wieder zu fassen und wartete ihren Zusammenbruch ab.
„Weißt du, was ich glaube? Das, was du eben zu dem Jungen gesagt hast, war was du wirklich denkst und empfindest. Du siehst mich als dein Eigentum und wenn ich dir langweilig werde, weil ich nicht mehr dein neues, mutiges Spielzeug bin das dich neugierig macht oder interessiert, dann bringst du mich um. Einfach so... Als ob ein Menschenleben mehr oder weniger dich sonderlich interessieren würde, nicht wahr? Du bist ein Monster, wie alle Drachen! Ein schreckliches, furchteinflößendes Monster, das sich als Mensch ausgibt damit andere Menschen getäuscht werden.", endete Esa wischte sich die letzten Tränen mit dem schäbigen Ärmel von den Wangen und senkte traurig den Kopf. Nun saß sie da vor ihm wie ein kleines Häuflein Elend, schien sich ausgeweint zu haben und wartete nun auf seine Reaktion. Und vielleicht hatte sie ja sogar Recht mit ihrer Vermutung. Zenon begleitete diese Menschenfrau momentan nur, weil sie ihn interessierte. Auch wenn er nicht vorhatte sie zwangsläufig zu beseitigen, wenn dieses Interesse endete, traf sie doch irgendwie den Kern seiner Intention. Aber sollte er ihr das sagen oder würde sie das weiter beunruhigen? Oder anders, war nicht sowieso schon alles kaputt, was ihn interessiert hatte? Der Mut, die Sorglosigkeit, die Nähe,... das Vertrauen, das sie ihm entgegen gebracht hat waren nun fort.„Du antwortest nicht... also liege ich richtig, stimmt's? Bei den Ahnen...", flüsterte sie nunmehr schwer und traurig, aber ohne erneut in Tränen auszubrechen. Zenon atmete tief durch. „Nicht mit allem...", rang er sich eine verspätete Antwort ab und stand auf. „Aber wenn wir noch in absehbarer Zeit das nächste Dorf erreichen wollen, dann sollten wir jetzt weitergehen." Esa runzelte die Stirn und bewegte sich nicht. „Was hat das noch für einen Zweck? Als ob du mich wirklich zu meinem Vater bringen willst... Aus den Tagen werden mehr Tage und aus den vielen Tagen werden Wochen... Wir kommen nirgendwo an." Sie klang nun vollends hoffnungslos, resigniert, erschöpft. Zenon zog die Brauen zusammen und knurrte grimmig. Dann nahm er Esa einfach ohne Mühe hoch und warf sie sich über die Schulter. Ihr erschrockenes Japsen im Ohr begann er den eingeschlagenen Weg weiterzugehen wie geplant. „Ich werde meinen Teil des Handels einhalten, Esa. Da kannst du dich stets drauf verlassen. Drachen brechen ihre Versprechen niemals."
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Dynastie der Drachen - Die Augen der Beute
ФэнтезиEsa lebt in einem Dorf weit abseits aller Städte, wo die Gefahr durch Drachen zu einer allgegenwärtigen Gefahr geworden ist. Ungeahnt dessen, dass der Kongress für die Sicherheit der Menschen sich in der Hauptstadt versammelt hat, um Alarm zu schlag...