Kapitel 9 - Einsam

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Mary schreckte aus einem traumlosen Schlaf hoch. Ihr Kopf schmerzte, als ob er explodieren würde. Zudem fühlte sie sich schlapp, als ob sie die Nacht durchgemacht hätte. Sie lag in einem sehr bequemen Bett, doch wusste sie nicht warum. Wo war sie nur? Und warum tat ihr alles weh? Beunruhigt sah sie sich um. In dem Bett oder dem Schlafzimmer war niemand. Sie war allein. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass sie nackt war, als sie die Decke zur Seite schlug. Ihre Kleidung lag im Zimmer verteilt. Fuck, dachte sie aufgewühlt. Neben sich fand sie ein benutztes Kondom. Was war hier nur geschehen? Aus dem Nebenzimmer hörte sie Wasserrauschen und einen Mann laut summen. Da schien jemand zu duschen. Wie spät war es eigentlich und wo war ihr Handy? Auf dem Boden sah sie ihre Handtasche. In der Hoffnung, ihre Erinnerungslücken zu schließen, schaute sie sich nochmals im Zimmer um. Es war nur spärlich eingerichtet. Sehr lieblos, traf es besser. Doch dann erkannte sie das Metallica-Bandshirt von Phil, welches er gestern trug. Es verschlug ihr den Atem. Hatte sie tatsächlich mit ihm geschlafen? Warum konnte sie nur nicht daran erinnern?

„So eine verdammte Scheiße!", fluchte sie leise, sodass sie niemand hören konnte. Das darf doch nicht wahr sein. Vorsichtig stand sie auf und trat in etwas Glitschiges. Es war ein weiteres Kondom, das auch noch gefüllt war. Mary wurde schlecht und ihr Magen verdrehte sich. Hier konnte sie nicht bleiben. Unter keinen Umständen wollte sie Phil nun über den Weg laufen. Schnell hüpfte sie aus dem Bett und zog sich an. Während sie ihr Kleid anzog und am Reißverschluss fummelte, fiel ihr Blick auf das aufwendige Computerequipment auf seinem Schreibtisch. Es sah sehr professionell aus und erinnerte sie an Jakes Kram. Daneben lag ein dickes graues Notizbuch, welches unter Papieren geschoben wurde. Es schien sie förmlich anzuziehen. Was wohl darin stand? Vorsichtig zog sie es hervor und blätterte darin herum. Es war ein Sammelsurium an Gedanken, Rezepten für Cocktails und Erinnerungen. Als sie gerade weiterblättern wollte, hörte sie, wie das Wasser abgestellt wurde. Kurz riskierte sie noch einen Blick und erkannte ihren Namen auf der nächsten Seite, was sie stutzig machte. Da war noch ein Foto, was seitlich herausragte. Doch bevor sie es sich anschauen konnte, war gut hörbar, wie Phil aus der Dusche stieg. Panik ergriff Mary. Sie schnappte sich ihre restlichen Klamotten und verließ leise das Zimmer. Hätte sie sich doch bloß das Bild nur genauer angesehen. Es hätte ihr so vieles erklärt.

Die Treppe im Hausflur führte sie direkt in das untere Stockwerk, wo sie auch schnell einen Ausgang fand. Auf der Straße orientierte sie sich zügig, denn sie stand direkt neben der Aurora. Also musste sie Richtung Westen laufen. Die Uhr auf ihrem Handy sagte, dass es fünf Uhr früh war. Da fährt bestimmt auch kein Taxi mehr in diesem Kaff. Also lief Mary einfach los. Als sie einigen Abstand zwischen sich und der Bar brachte, setzte sie sich auf eine nahe gelegene Bank. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. Langsam schlichen sich die Erinnerungen des gestrigen Abends in ihre Gedanken. Aber so sehr sie es versuchte, konnte sie sich an nichts erinnern, was nach dem Kuss mit Phil passiert war. Die bloße Vorstellung, dass sie mit ihm geschlafen haben könnte, ließ sie nicht mehr klar denken. Wie sollte sie das nur Jake erklären? Jake, der sowieso schon eifersüchtig auf Phil war. Jake, den sie so sehr liebte. Jake, den sie unter keinen Umständen erneut verlieren wollen würde. Das würde er ihr nie verzeihen können und wahrscheinlich für immer verschwinden. Sie konnte Jake doch nicht mehr unter die Augen treten und ihn anlügen war keine Option. Wäre sie doch bloß nie zu Phil gegangen.

Es machte ihr Sorgen, dass sie allein auf der Straße unterwegs war. Ängstlich blickte sie sich um. Das erdrückende Gefühl beobachtet zu werden, schlich in ihr hoch. Vielleicht sollte sie Jake einfach anrufen und bitten, dass er sie abholen könnte. Sie schaute auf ihr Handy. Unerwarteter Weise hatte sie keine Nachrichten oder Anrufe bekommen. Es machte sie aber stutzig, dass der Chat mit Jakes alter Nummer geöffnet war. Dabei hätte sie schwören können, dass sie Jessy gestern Abend als letztes geschrieben hatte. War sie in ihrem amnestischen Zustand noch an ihrem Handy gewesen? Aber warum sollte sie dann Jakes alte Nummer kontaktieren? Ihn nun anzurufen, war dann doch keine gute Idee und so lief sie weiter. Irgendwie fühlte sie sich weiterhin beobachtet. Aber sie konnte niemanden sehen. Doch das Gefühl blieb.

Duskwood - Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt