Chapter 9

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LOUIS / GEGENWART


Ich habe für Jeffrey bei mir zu Hause gekocht. Es war nichts Besonderes, nur eine Spinat und Tortellini-Suppe. Er sträubte sich gegen die Kohlenhydrate und sagte, er müsse wirklich auf seine Figur achten, schluckte sie aber trotzdem runter.

Nach dem Abendessen schnüffelte er schamlos in meiner Wohnung herum, während ich in der Küchenzeile Kaffee und Tee machte. Seine Finger streiften die Buchrücken in meinem Regal. Die meisten waren Biografien und Memoiren berühmter Balletttänzer und Fußballer, aber ich hatte auch einige Klassiker – Don Quijote war mein Favorit – und ein paar ausgewählte Mysterien und Thriller.

Ich stellte ein Tablett auf den Couchtisch. Er fand meine Stereoanlage und schaltete einen sanften Jazzkanal ein, den er im Radio gefunden hatte. Nicht mein Favorit, aber ich habe nichts dagegen.

Wir saßen nebeneinander auf meinem Polyestersofa. Meine Möbel waren billig, aber nicht schäbig. Ich war zu alt für die maroden Einrichtungen des Studentenlebens, aber nicht alt genug, um ernsthaft in Innenarchitektur zu investieren. Er erwähnte nicht das Aussehen der Wohnung, war aber beeindruckt, dass ich eine Wohnung im Zentrum der Stadt ohne Mitbewohner hatte.

Jeffrey war keine schlechte Gesellschaft. Er war aufmerksam und lebhaft, fand Humor in jeder Situation, was eine gute Eigenschaft war, wenn man jemanden kennenlernte. Sein Haar war so feinpuderblond, wie man es nur bei Kindern sieht, und er hatte lange goldene Wimpern und eine kleine Stupsnase.

Obwohl er zwei Jahre älter war, wirkte er viel jünger als ich. Er hat sich erst kürzlich geoutet, als er in London angekommen war. Anscheinend gab es in Lincoln, Nebraska, nicht viele geoutete schwule Männer. Er hörte nicht auf, über all die Schwulenclubs zu sprechen, in denen er in London gewesen war, und die Schwulenclubs, die er unbedingt besuchen wollte. Er war etwas weniger als ein Jahr in der Stadt und hatte bereits den ganzen saftigen Schwulenklatsch von Voho bis Primrose Hill gehört (und verbreitet). Er war ein totaler Szenegänger. Ich machte ihm keinen Vorwurf, aber es war nicht wirklich das, wonach ich gesucht hatte, ich hatte das alles schon vor Ewigkeiten getan.

Ich fühlte mich wohler, als er das Thema auf die Firma und die Proben wechselte. Wir mochten Maurice beide sehr und waren uns einig, dass er einer der besten Choreografen war, mit denen wir je zusammengearbeitet hatten.

Dann fragte er aus dem Nichts: „Was ist da zwischen dir und Harry? Fickt ihr?"

Ich spucke meinen Tee aus. "Was? Nein natürlich nicht!"

Bei meiner Reaktion legte er den Kopf schief und milderte seine Fragen. „Hab ihr euch früher mal gedatet?"

"Nicht so richtig. Wir waren beste Freunde in der Schule. Aber wir sind definitiv keine besten Freunde mehr."

"Gut. Er ist ein Arsch."

„Ja", lachte ich herzlich, obwohl ich genervt war. Was wusste dieses Balg über Harry? Harry war ein Haupttänzer, ein weltberühmter Tänzer noch dazu. Ich mochte ihn auch nicht, aber das war nebensächlich. Jeffrey war Corps-Tänzer – er sollte gottverdammten Respekt zeigen!

„Er verbringt seine ganze Zeit allein", sagte Jeffrey leise auf seine hinterlistige, geschwätzige Art. „Er spricht mit niemandem. Warum ist er hier? Wenn er uns so sehr hasst, warum ist er dann nicht einfach in Moskau geblieben?"

„Er ist Engländer. Das ist sein Zuhause", sagte ich hitzig.

„Er tut nicht so. Er tut so, als würde er uns diesen riesigen verdammten Gefallen tun, indem er hier ist. Ich glaube nicht einmal, dass er so gut ist."

Ich drückte meine Finger an meine Schläfen. „Möchtest du einen Scotch?"

„Hast etwas Leichteres wie Weißwein?"

Flightless Bird | l.s. ✓  (german translation)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt