Kapitel 12 - "the truth"

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Der kalte Wind weht meine Haare aus dem Gesicht und obwohl der Tee in meinen Händen schon eiskalt ist und es längst dunkel ist, bleibe ich auf der Veranda sitzen. Ich fühle mich, als wäre ich angefroren.

Vielleicht sind Rooster und ich uns ähnlicher als wir dachten. Ich konnte es nicht vollständig aus Hangmans Aussagen schließen, aber ich denke, Maverick hat ein Mitverschulden an etwas, das Roosters Vater betrifft. Da fällt mir Pennys Aussage in der Bar ein.

Ich will gerade die Glastür hinter mir schließen, um schlafen zu gehen, als ich höre, wie jemand das Esszimmer betritt.

"Victoria?", höre ich jemanden flüstern. Natürlich, es ist auch schon wahnsinnig spät und die anderen Piloten jetzt noch aufzuwecken, wäre ein absolutes No-Go.

Ich stehe auf und betrete die Küche.

Gleichzeitig ziehe ich die Vorhänge zu, jetzt spendet nur noch die kleine Zimmerlampe im Eck Licht.

"Ich bin hier.", antworte ich. Die Männerstimme kommt immer näher, bis ich sehe, wem sie gehört - Rooster.

"Hey", sage ich. Einfach weil ich nicht weiß, was er so spät von mir will. "Hi", sagt er.

Er setzt sich auf die Sofaecke und ich tue ihm gleich. Etwas an ihm sieht bedrückt aus und gleichzeitig erwartungsvoll. Als müsse er etwas loswerden.

"Hör zu...", fängt er an. "Ich habe von Phoenix das mit deiner Schulter gehört. Es tut mir wahnsinnig leid, ich war nur-"

"Überwältigt.", helfe ich ihm die richtigen Worte zu finden.

"Ja..", sagt er und reibt sich mit einer Hand im Nacken, wobei sein Sweatshirt ein wenig verrutscht.

"Kein Problem", lächle ich, "war ja eh schon vorher so."

"Ich weiß.", sagt er, "Nur ich will, dass du weißt, dass ich nicht wirklich so bin, manchmal denke ich nur zu viel und dann diese Wut... Ich finde wir sollten das Kriegsbeil jetzt für alle Zeiten begraben. Wir hatten keinen fantastischen Start, aber ich denke, wir haben die Dinge größer gemacht, als sie waren."

Offen hebt er die Hände und sieht mich erwartungsvoll an. Ich bin so überrumpelt, dass er sich ehrlich entschuldigt, sodass ich sofort nicke.

Er grinst und sieht mich wieder an. Lange - viel zu lange, denn obwohl wir bestimmt einen halben Meter auseinandersitzen, meine ich seine Anwesenheit in meinen Knochen spüren zu können.

Ich versuche einen Witz zu machen, um die Spannung aufzulockern: "Ich habe deinen Tipp nicht verfolgt und somit bin ich wirklich wie ein Gummipuppe hin und her geflogen."

"Passiert den Besten.", sagt er, "Darf ich mal sehen? Wie schlimm ist es?"

Ich verstehe erst nicht, was er meint, doch als sein Blick zu meiner Schulter schwenkt, weiß ich es.

Ich nicke und streife meine Stoffjacke ab. Jetzt kann ich einfach den Ärmel des T-Shirts hochschieben.

Sein Blick ist voller Reue, als er den Bluterguss erblickt. "Es ist alles gut, echt." Ich grinse beschwichtigend. "Das war wirklich schon so, vorher."

Rooster zwingt sich zu einem Lächeln, dass sogar auch einmal seine Augen erreicht: "Wenn ich dir irgendwo helfen kann, zögere nicht zu fragen."

"Tatsächlich kannst du das sogar", sage ich und hebe meine Tube mit der Salbe hoch: "Ich komm nicht selbst großflächig an meine Schulter, die Ärztin hat gesagt ich soll die immer auftragen."

Rooster zögert nicht und streckt seine Hand aus, ich gebe ihm einen mandelgroßen Kleks der Salbe darauf und er gibt es auf die Wunde.

Seine andere Hand ruht auf meinem gesunden Schulterblatt. Ich drehe mich um, sodass er eine klare Sicht auf meinen Rücken hat und obwohl die Creme an sich wirklich eiskalt ist, spüre ich die Wärme seiner Hand darunter.

Er nimmt sich Zeit und trägt die Salbe langsam und sanft auf. Wir reden nicht. Ich spüre seinen Atem in meinem Nacken, was mir Gänsehaut am ganzen Körper verleiht.

Mein Magen beginnt sich eigenartig umzudrehen. Rooster scheint meine Reaktion zu bemerken: "Ist dir kalt?", fragt er mich, während er sich die Hände an einem Taschentuch abputzt.

Mir ist nicht kalt, ich frage mich eher, wieso er eine derartige Reaktion in mir hervorruft. Genauergenommen finde ich es schade, dass meine Schulter schon fertig eingecremt ist.

Was zum-? Ich stelle mein Gedanken ab und antworte: "Nein."

Rooster will Anstalten machen sein Sweatshirt aufzumachen, um es mir zu geben.

"Nein", lache ich, "um Gottes Willen, ich habe meins hier." Ich greife nach meinem Pullover und streife ihn wieder über.

"Siehst du?", sage ich und reibe mir symbolisch die Arme, um mich aufzuwärmen, "Alles wieder normal."

Rooster schmunzelt: "Das will ich hoffen."

Er sieht mir tief in meine Augen und plötzlich scheine ich alles zu ruinieren mit nur einer verdammten Frage: "Was ist das mit Maverick und dir?"

Ich presse die Lippen aufeinander, wieso schaffe ich es einfach nicht meine Klappe zu halten?

Schon mein ganzes Leben lang - rede ich zu viel. Und bin neugierig. Ich hasse es, wenn Dinge und Worte wie ein Schwall aus mir hervorschießen, bevor ich nachdenken kann, ob mein Gegenüber damit einverstanden ist.

Doch anstatt wütend zu werden oder irgendwelche Anstalten zu machen, meiner Frage auszuweichen, beginnt Rooster zu erzählen:

"Maverick hat meine Papiere einbehalten, die ich gebraucht hätte um zu TopGun befördert zu werden. 4 Jahre lang."

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen: "Oh scheiße, das tut mir leid."

Rooster erzählt vorerst nichts darüber, was genau mit seinem Dad passiert ist, aber das ist in Ordnung, da wir uns sowieso so nahe sind wie noch nie. Emotional und Physisch.

"Maverick war der Grund, wieso mein Vater beinahe im Rollstuhl gelandet ist.", sprudelt es aus mir hervor, bevor ich Zeit habe nachzudenken, ob ich das jetzt eigentlich erzählen sollte.

Rooster sieht mich an und ich fahre trotzdem fort, ohne auf seine Antwort zu warten: "Sie waren zusammen bei Top Gun. Mein Dad hatte den Rufnamen Fire. Deswegen heiße ich übrigens Flame."

Rooster lächelt gedankenverloren. "Maverick hätte die Nötlöschsysteme der F-14 Triebwerke kontrollieren sollen, die am nächsten Tag für eine Flugübung gebraucht wurden. Er hat es eiskalt vergessen. Einen Vogelschlag später - mein Dad musste mit dem Sprungsitz aussteigen - stand ich neben meiner Mom im Krankenhaus, die gebetet hat, dass mein Dad wieder aus dem Koma aufwacht. Ich war 8. Und musste meinem Dad dabei zuschauen, wie er wieder laufen lernt. Der Ausstieg mit dem Sprungsitz hatte zu Bandscheibenvorfällen und dem Einklemmen mehrerer Nerven geführt."

Rooster zieht die Augenbrauen zusammen und spart sich alle Worte. Es ist totenstill im Gemeinschaftsraum.

Bis auf das Tropfen des Wasserhahns in der Küche, hört man nichts. Rooster rückt auf der Couch ein Stück näher zu mir und nimmt ohne zu Zögern meine Hand, die von der Geschichte eiskalt geworden ist.

Diesen Part in meinem Leben kennen nicht viele. Der Part, an dem ich mit 8 dafür Sorgen musste, dass meine Mutter keinen Nervenzusammenbuch erleidet, weil sie dachte, wir hätten Dad für immer verloren.

Beruhigend streicht Rooster über meinen Handrücken: "Es tut mir leid", flüstert er.

"Das muss es nicht", antworte ich, "es ist alles gut ausgegangen."

Rooster legt seinen Kopf für eine ganz kurze Weile auf meinen und so sitzen wir nebeneinander da, bis wir beschließen, dass es jetzt besser ist schlafen zu gehen.

Ich stehe auf und nehme auch meine Creme mit mir. Lächelnd halte ich sie hoch und grinse: "Danke für die Hilfe noch einmal."

Rooster lächelt: "Gerne. Was hätte ich sonst tun sollen, nachdem ich so ein Arschloch war?"

Ich schüttele den Kopf: "Du bist kein Arsch. Ganz und gar nicht."

Ich drehe mich dann endlich um und gehe: "Schlaf gut."

Als ich mich später in mein Bett kuschele, dreht sich nur eine Frage in meinem Schädel: Was war das gerade?

TᴏᴘGᴜɴ - Rᴇᴅ SᴜɴʀɪꜱᴇWo Geschichten leben. Entdecke jetzt