Gewindelter Schultag

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Mein Wecker klingelte. Es war schon der zweite oder dritte von den vier, die ich mir immer auf meinem Handy stellte. Gefühlt steckte ich mit meinem halben Kopf noch immer in irgendeinem Traum fest. Doch war ich wach genug, um zu wissen, dass ich jetzt aufstehen müsste, um nicht zu spät zur Schule zu kommen. Zudem müsste meine Pflegemutter mich noch von meiner Windel befreien, was ein paar Minuten dauern könnte. Apropos - das sollte wohl am besten jetzt passieren, damit ich gleich beim Duschen nicht Windel und Windelhose nassmachen würde.
Schläfrig schlurfte ich die Treppen nach unten ins Wohnzimmer, wo meine Pflegemutter bereits ihr Müsli aß. Nüchtern sagten wir uns guten Morgen, bevor ich ihr meine Lage erklären wollte.
„Könntest du mir gerade meine Windel ausziehen?", fragte ich, „Ich wollte duschen und da dachte ich..."
„Oh, keine Sorge", antwortete sie, „Die Windelhose ist wasserfest."
„Echt?", wunderte ich mich.
„Warum denkst du ist der Bund so schön eng mit einem Gürtel zugemacht? Auch der feste Stoff - der ist mit irgendetwas beschichtet, damit die auch nass werden darf. Deine Windel bleibt da auch trocken."
„Woher weißt du das denn alles?", wurde ich neugierig.
„Schon lustig oder?", sagte sie, „In dem Paket mit den Windeln war auch ein Heftchen mit Anleitungen."
„Ah, ok", sagte ich.
„Die Gebrauchsanleitung für meinen neuen Pflegesohn", hängte sie an und lachte. Ich lächelte mit ihr, allerdings mit einem bitteren Nachgeschmack. ‚Neuer Pflegesohn?' Sollte ich ab jetzt für immer so bleiben oder wie?
„Ähm, also machst du meine Windel nach dem Duschen ab?", fragte ich.
„Was meinst du?", erwiderte sie, „Ist die so voll?"
Ohne Warnung knetete sie den Bereich zwischen meinen Beinen.
„Äh, nein", gab ich zurück.
„Warum sollte ich dann dein Höschen aufmachen?"
Sie lächelte wieder und schob sich einen weiteren Löffel Müsli in den Mund. Ich war verwirrt.
„Ich muss die doch nicht anbehalten oder?", fragte ich vorsichtig.
„Doch, natürlich", sagte sie selbstverständlich, „Ich wickel dich nach der Schule dann nochmal, bevor du in die Praxis gehst."
Für ein paar Sekunden muss ich wir ein Reh vor Scheinwerfern dagestanden haben. Mir wäre nur zu lieb gewesen, dass sie jetzt lauthals losgelacht und sich über mich lustig gemacht hätte, dass ich das tatsächlich geglaubt hatte. Aber passierte das natürlich nicht. Irgendwo hatte ich auch geahnt, dass es so kommen würde. Doch machte es das nicht wirklich angenehmer, was meine aktuelle Lage anging. An Windeln zu Hause könnte ich mich gewöhnen, auch wenn das immer noch ziemlich seltsam war. Besonders das große Geschäft. Und das gewickelt werden. So oder so, das war ja alles ertragbar im Vergleich zu dem ganzen in der Schule.
Montag war kein langer Schultag, also könnte ich mit strategischen Toilettenbesuchen davor und danach vermeiden, dass ich in der Schule in meine Windel machen muss. Allerdings müsste ich dazu auch normal davor das Bad benutzen können oder die Windel direkt davor gewechselt bekommen. Keins von beiden war der Fall. Zudem, was war mit längeren Tagen wie zum Beispiel Mittwoch, an dem ich von 8 bis 17 Uhr in der Schule saß. Da brachte mir auch die Mittagspause nichts, da mich meine Pflegemutter ja kaum in der Zeit besuchen und mir die Windel wechseln würde. Und außerdem, selbst wenn ich das jeden Tag schaffen würde, die Windel nicht während der Schulzeit zu benutzen, wäre da noch das Problem, dass Windel und besonders Windelhose darüber nicht gerade unauffällig waren. Vielleicht könnte man dem mit einer Jogginghose entgegenwirken, doch waren auch da die Aussichten begrenzt. Bei genauerem Hinsehen würde der eine und die andere bestimmt bemerken, dass ich Windeln trug und das würde reichen, um sich rumzusprechen.
„Alles ok?", fragte meine Pflegemutter.
„Ähm, ja", erwachte ich wieder aus meinen Gedanken. Etwas verwirrt drehte ich mich um und ging ins Bad. Schließlich hatte ich nicht viel Zeit und wollte noch duschen und frühstücken.
Im Bad schloss ich ab und zog mich aus. Naja, mein Shirt und meine Socken zog ich aus, der Rest blieb an. Ich drehte das Wasser auf und wartete, bis es warm wurde. Abgesehen davon, dass ich eine Windel trug, hatte ich hauptsächlich Skrupel davor, mich mit jeglicher Kleidung unter die Dusche zu stellen. Vielleicht war die Hose doch nicht so wasserdicht oder war einfach nicht eng genug zugemacht. Letzteres konnte ich eigentlich selbst widerlegen, die Windelhose saß wie angegossen und war keinesfalls zu weit.
Ich legte all meine Sorgen beiseite und hüpfte unter den Duschkopf. Das Wasser lief schön warm meinen Rücken herunter und durchnässte meine Haare. An der Windelhose lief es tatsächlich einfach herunter und hinterließ keine dunklen Spuren, wie bei den Blättern von Lotosblumen.
Meine Haare seifte ich ein und wusch sie aus, danach den Rest meines Körpers - naja, mit Auslassung des Hüftbereichs. Es war ein seltsames Gefühl, aber was fühlte sich schon nicht etwas seltsam an, wenn man in einer Windel steckte? Zumindest wenn man gerade erst anfing sie zu tragen oder sie gerade erst wieder trug.
Ich wusch mich ab und wickelte mich darauf in eine weiches Handtuch. Ich trocknete meine Haare, kämmte sie und ging in meine Zimmer, um mir frische Klamotten anzuziehen. Ich war etwas knapp dran und noch immer nicht besonders wach, deshalb sprang ich schnell in der weitesten Jogginghose in meinem Besitz die Treppen nach unten und machte mir in der Küche Cornflakes mit Milch. Mein Windelpo war immer noch zu erkennen, hoffentlich nur auf den zweiten oder dritten und nicht ersten Blick.
Mit meinem Rucksack auf dem Rücken stieg ich in den Bus und setzte mich ganz nach hinten. Ich hätte auch mit dem Rad fahren können, doch war es mit dem Bus schneller und so müde wie ich war, hätte ich vielleicht noch einen halben Unfall gebaut.
Drei Minuten vor Acht stieg ich vor meiner Schule aus und suchte meinen Raum, die meisten waren schon in ihren Räumen. Vielleicht wäre es besser gewesen, mehr Leute auf den Gängen zu haben, da mich dann wahrscheinlich niemand genauer betrachten würde. Zudem hatte ich den Eindruck, dass meine Windel mit jedem Schritt laut raschelte. Ich musste mir selbst eingestehen, dass ich ziemlich nervös war.
In meinem Raum setzte ich mich an meinen Platz am Fenster, neben die anderen Schüler. Die ersten zwei Stunden waren Mathe und innerlich war ich schon bereit, komplett abzuschalten. Die gesamte Stunde lang war ich gedanklich dreigeteilt; Der erste Teil bekam ein wenig vom Unterricht mit, der zweite lag noch zu Hause im warmen Bett und der dritte befürchtete, dass jemand meine Windel entdecken würde oder ich es irgendwann am Tag doch nicht einhalten könnte und mit voller Windel rumlaufen müsste. Ab und zu sah ich im Raum umher, aber niemand beachtete mich oder meine Blicke. Die meisten schauten stur nach vorne oder auf ihren leeren Block und schienen noch genauso gerne zurück in ihre Betten zu wollen wie ich.
Irgendwann war die Stunde geschafft und ich ging in die Pause auf den Schulhof. Ich hatte mir meine Jacke um die Hüfte gebunden in der Hoffnung, dass meine Windel so weniger auffallen würde und es schien zu funktionieren.
Mit ein paar Freunden setzte ich mich auf eine Bank unter den Bäumen auf unserem Schulhof. Sie Morgensonne wurde langsam wärmer und es tat gut, im Schatten zu sitzen. Wahrscheinlich würde es einer der letzten wirklich warmen Tage im Jahr sein.
Wir redeten und tauschten uns über unsere Wochenenden aus, wobei ich geschickt einige Details auslassen musste. Müde und lustlos wie wir alle waren beschwerten wir uns über alle möglichen Lehrerinnen und Lehrer und Schule im allgemeinen. Für einen Augenblick oder zwei vergaß ich, dass ich gerade Windeln trug und auch meine Nervosität löste sich ein wenig. Es würde schon niemand etwas merken.
Danach hatte ich Geschichte und Marie war mit mir in dem Kurs. Es war ja auch nicht zu lange her, dass ich sie mit Windel in der Praxis gesehen hatte. Wir sahen uns sonst eigentlich nie außerhalb des Unterrichts und redeten generell nur in Gruppenprojekten oder anderen Anlässen, wenn wir mussten. Ansonsten schien ich Luft für sie zu sein, wahrscheinlich war ich nicht beliebt genug, um ihre Aufmerksamkeit zu verdienen.
Herr Meier, mein Geschichtslehrer, erzählte gerade von der Weimarer Republik und sie hörte aufmerksam zu, vermutlich aber nur, weil sie ihn attraktiv fand, denn er war tatsächlich sehr gutaussehend. Ihre enthusiastischen Blicke sagten weniger ‚Dein Unterricht ist interessant' als ‚Vögel mich doch endlich'. Möglichst unauffällig spähte ich unter den Tisch, an dem sie saß und warf einen Blick zwischen ihre Beine. Sie trug wieder sehr freizügige Kleidung, wie in der Praxis auch, ein Oberteil aus Fishnets über einem schwarzen BH und einen Rock, der mehr als einmal in der Wäsche eingelaufen oder einem kleinen Geschwister mit Schere zum Opfer gefallen sein musste. Und ohne Zweifel, darunter trug sie eine Windel. Sie schien sie nichtmal zu versuchen, sie zu verstecken, als wäre sie stolz darauf. Das fand ich schonmal höchst merkwürdig, wenn nicht sogar schon etwas verdächtig. War es in Ordnung, dass sie Windeln trug und jeder akzeptierte es, weil sie zu den Coolen gehörte? War es einfach niemandem aufgefallen oder traute sich niemand, etwas zu sagen?
Ich hatte ganz ehrlich keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Allerdings wurde mir etwas anderes plötzlich klar. Auch wenn ich es nicht unbedingt immer merkte und mich von dem angenehmen Gefühl der Windel oder der Sorglosigkeit, während ich an Janinas Brüsten nuckelte oder Holztürme baute, mehr als gelegentlich ablenken ließ, tappte ich was das Ziel und die Methoden dieser Behandlung anging, immer noch mehr im Dunkeln als mir lieb war. Schließlich steckte ich in der Schule und zu Hause in Windeln, die ich benutzen und von meiner Pflegemutter wechseln lassen musste, anstatt mir selbst eine frische anzuziehen. Und dennoch hatte ich keine Ahnung, wozu das alles gut war. Selbst wenn ich das alles über mich ergingen ließ, hatte ich ein Recht, die Antwort auf die Frage ‚Warum?' zu bekommen.
Entweder hatte die Behandlung bereits angeschlagen oder ich war einfach so zu unbekümmert, was das alles anging. Ich stellte ganz einfach zu wenige Fragen - oder nein, spielte nicht genügend Detektiv. Von den Frauen in der Praxis würde ich vielleicht nicht die Informationen bekommen, die ich haben wollte, aber ein wenig auf eigene Faust zu ermitteln könnte wohl kaum schaden.
Nach der Stunde in der zweiten Pause fand ich Marie auf dem Schulhof. Mit gut zwei duzend anderen Leuten saß sie an den runden Tischen in der Sonne und lachte und redete und schaute missbilligend auf die anderen auf den Schulhof, die nicht in ihren Kreis gehörten. Am meisten lachte sie mit dem Mädchen neben ihr, mit dem ich zwar keine Kurse hatte, die mir aber dennoch vertraut war. Ihr Name war Elisa, aber sie wurde nur Elli genannt. Sie hatte kurze braune Locken, trug Eyeliner und eine Latzhose aus Jeansstoff. Sie schnatterten wie zwei Baroninnen beim Teetrinken, umrundet von all den anderen, die laut redeten. Darunter auch viele Jungs, ihre „Freunde", die immer mal wieder zu sahen und wahrscheinlich jeden Tag beteten, aus der Friendzone auszubrechen und sie endlich durchzunehmen. Doch sie ließ sie alle für immer zappeln.
Mit den Händen in den Hosentaschen bewegte ich mich auf die Gruppe zu und überlegte, wie ich sie ansprechen könnte. Möglichst lässig stellte ich mich vor sie. Sie sah zu mir auf, sichtlich überrascht, dass ich plötzlich hier bei den Beliebten stand. ‚Was willst du denn hier?' sagte ihr Blick.
„Ähm, hi", sagte ich unbeholfen.
„Hi?", sagte sie und warf ihrer Freundin einen Blick zu.
„Soll ich Mr. Oberschwul wieder nach draußen begleiten?", kam es von einem ihrer großen, muskulösen „Freunde".
„Hey, Tony! Halt doch die Fresse!", sagte ein anderer und Marie sah wieder zu mir.
„Ich hoffe ich störe nicht", fuhr ich fort, „Aber ich glaube, du hast ausversehen mit deinem Fahrradschloss auch mein Fahrrad angeschlossen. Und... ich... wollte jetzt nach Hause fahren."
„Ähm, ok", sagte sie und neben dem Herablassenden schlich sich eine Note der Aufrichtigkeit in ihr Gesicht.
„Gleich wieder da", sagte sie zu Elli und stand auf. Wir drängten und durch die Menge der anderen Leute und ich ging voran zum unteren Fahrradparkplatz.
„Wo gehst du denn hin?", fragte sie dann auf einmal. Ich blieb stehen und drehte um.
„Mein Fahrrad steht auf dem oberen Fahrradparkplatz", sagte sie. Ich sah sie an und sie sah mich an. Mir wurde warm. Ich hatte ganze vergessen, dass wir seit den Sommerferien einen zweiten Fahrradparkplatz am oberen Ende der Schule hatten.
„Oh ja, stimmt", versuchte ich die Situation zu retten, „Habs ganz vergessen. Mein Rad steht doch da oben. Sorry."
Se schaute mich schräg an und ich hatte ganz ehrlich Angst, dass ich es gerade vermasselt hatte.
„Sicher, dass du mein Rad meinst, dass mit deinem zusammengeschlossen ist?"
Wir waren immer noch nah genug, dass die restliche Gruppe uns hörte. Ich wurde nervös.
„Das mit den den Sonnenblumen am Körbchen und der gelben Klingel oder?", zog ich mein einziges Ass aus dem Ärmel, denn ich kannte ihr Rad tatsächlich.
„Ja genau, das ist meins", sagte sie argwöhnisch nach einer kurzen und zugleich ewigen Pause. Sie drehte sich zu der Gruppe an Menschen, musterte sie und und drehte sich wieder zu mir.
„Nagut", sagte sie und wir drehten uns, um loszulaufen. Diesmal ging sie voran.
Schließlich kamen wir bei den neuen Fahrradständern an und wir blieben neben dem Rad mit Plastiksonnenblumen am Körbchen und einer gelben Klingel stehen. Es war ganz offensichtlich nicht mit irgendeinem anderen Rad zusammengeschlossen.
Sie schaute sich kurz um. Niemand sah uns. Innerhalb von ein paar Sekunden wandelte sich ihr Gesichtsausdruck von verwirrt zu beinahe angeekelt.
„Spinnst du?", fragte sie, „Was soll das? Hast du dich geirrt oder mich einfach nur angelogen?"
„Ok, tut mir leid", wollte ich sie beruhigen, denn sie redete ziemlich laut, „Mein Rad steht gar nicht hier, ich bin mit dem Bus gekommen. Ich wollte dich nicht belügen, aber ich muss mit dir reden."
„Oh, ich glaube du verstehst das nicht ganz", sagte sie, „Es ist mir ziemlich egal, ob du mich hier anlügst oder sonst was. Ich kann mir nur gerade echt nicht leisten, mit jemandem wie dir zu tun zu haben. Besonders nicht vor den anderen."
Ich trat einen Schritt zurück. So offen wie sie das gesagt hatte, hatte es mich schon irgendwie ein wenig verletzt. Marie atmete ein paar mal ein und aus.
„Ich sollte wieder zurück gehen, sonst denken die noch, wir haben etwas oder so", sagte sie, drehte mir den Rücken zu und ging den Weg, den wir gekommen war, mit zügigen Schritten wieder zurück. Wie ein Tropfen Elend blieb ich dort in dem Garten aus Fahrrädern stehen und sah ihr hinterher. Kurz bevor sie um die Ecke bog, schien sie sich umzuentscheiden und blieb stehen. Sie drehte sich um und kam nochmal zu mir gelaufen. Einige Schritte vor mir blieb sie stehen.
„Hast du wirklich jetzt aus?"
Ich brauchte einen Augenblick.
„Äh, nein. Erst um 13 Uhr."
Sie nickte.
„Ok, dann sehen wir uns hier um Punkt Eins."
Sie setzte an zu gehen.
„Tut mir übrigens leid", sagte sie, bevor sie sich nun tatsächlich umdrehte und ging.

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