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Perplex traf sie in dem Klassenraum ein, hatte sie dieser erneute Begegnung nicht erwartet. Allerdings fasste sie sich wieder, verdeutlichte ihr das Klingeln, dass die Stunde in wenigen Minuten starten würde. Sie hoffte, dass sie ihm heute nicht noch einmal begegnen müsste.

Erst in der Mittagspause ging sie das nächste Mal in das Lehrkräftezimmer. Davor war sie direkt zu einer Klausuraufsicht geeilt, um einen Kollegen abzulösen und danach wieder in den nächsten Raum gegangen – wahrscheinlich auch, um Robert aus dem Weg zu gehen. In den ganzen Stunden waren immer wieder ihre Gedanken zu dem erneuten Treffen gewandert und wäre sie gut in Mathe, so hätte sie ausrechnen können, wie wahrscheinlich dieses Aufeinandertreffen gewesen war. Dann hätte sie aber auch Mathelehrerin werden können.

Sie ging als erstes zur Kaffeemaschine, denn einen frischen Kaffee brauchte sie jetzt zu ihrem Brötchen, welches sie sich soeben vom Bäcker geholt hatte und ließ sich dann mit der Tasse in der Hand auf einen der Stühle fallen. Wenige Minuten später betrat auch Claudia den Raum.

„Ach Anna, dich habe ich ja seit heute Morgen nicht mehr gesehen. Ist alles ok? Du sahst so gehetzt aus.", begrüßte die ältere sie überschwänglich und packte neben ihr ihre Brotdose aus. 

„Ja, alles gut – ich habe heute früh nur etwas verschlafen und musste mich dann beeilen, deswegen habe ich mir auch mein Essen beim Bäcker geholt. In der ersten Pause musste ich dann zur Klausuraufsicht der 11er und das Abgeben hat dann mal wieder länger gedauert, weswegen ich direkt in den nächsten Raum bin.", erklärte Annalena und Claudia nickte nur.

„Aber den neuen Kollegen hast du schon kennengelernt? Der war mir ja direkt sympathisch und schlecht sieht er ja auch nicht aus – wenn ich etwas jünger wäre...", begann ihre Kollegin zu schwärmen, während Annalena nur die Augen verdrehen konnte.

„Ja, ich habe ihn schon kennengelernt, aber wir konnten uns nur kurz vorstellen, weil ich dann zum Unterricht musste, so kann ich dir noch nicht viel über ihn sagen.", erwiderte die jüngere.

„Naja, er wird ja jetzt jeden Tag da sein, da habt ihr sicher mehr Zeit, euch noch intensiver kennenzulernen.", zwinkerte ihr Claudia zu und Annalena schüttelte den Kopf, um ihr zum einen zu signalisieren, dass ihre Verkupplungsversuche zwecklos waren und zum anderen, um ihre leicht geröteten Wangen vor Claudia zu verstecken, denn sie kannte ihn schon deutlich intensiver, als ihr für einen Kollegen lieb war. 

Die beiden plauderten noch etwas über belanglose Themen, ehe Annalena sich zu ihrer letzten Stunde für diesen Tag aufmachte. Sie atmete erleichtert aus, da sie Robert nicht nochmal begegnete. 

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Endlich war Freitag – wahrscheinlich ihr liebster Tag der Woche. Zum Glück verschlief sie an diesem Morgen nicht und so konnte Annalena alles in Ruhe erledigen. Sie kam pünktlich an der Schule an und setzte sich noch an den Tisch, um in ihrem Kalender die nächsten Wochen zu planen. Irgendwann kam auch Claudia und sie unterhielten sich noch ein wenig, ehe die beiden in ihre jeweiligen Klassen aufbrachen. 

In der Mittagspause war sie wie immer fast die letzte Lehrkraft, denn kaum jemand unterrichtete einen Kurs noch um diese Uhrzeit an einem Freitag, aber versuchte sie ihren Schüler*innen diese Stunden so angenehm wie möglich zu gestalten, war auch sie mehr als bereit fürs Wochenende. Nachdem sie den Kurs in den Feierabend entlassen hatte, ging sie noch einmal in das Lehrkräftezimmer, um ihre Kaffeetasse abzuwaschen. Als sie sich gerade ihren Mantel überzog und ihre Tasche schultern wollte, öffnete sich die Tür.

"Oh, sorry, ich wusste nicht, dass noch jemand hier ist!", stieß jemand hinter ihr aus und sie drehte sich um.

"Alles gut, ich war auch gerade auf dem Sprung.", erwiderte sie und eine unangenehme Stille legte sich über die beiden Lehrkräfte. "Und findest du dich so langsam hier im Gebäude zurecht?", fragte Annalena ihren neuen Kollegen, um die bedrückende Stille zu brechen.

"Ja, das habe ich soweit ganz gut auf dem Schirm. Aber hier in der Stadt kenne ich mich dafür noch nicht so wirklich aus.", antwortete er ihr und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Kurz war es wieder still, bis Robert Annalena erneut ansprach: "Hast du vielleicht Lust mit mir noch einen Kaffee trinken zu gehen und mir etwas über den Ort zu erzählen und was man hier unbedingt machen sollte und was eher nicht? Aber nur, wenn du wirklich willst, wenn nicht, fahre ich auch einfach nach Hause.", fragte er nervös und ihr Herz schlug auf einmal überraschend schnell, aber wahrscheinlich nur, weil sie mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. 

"Von mir aus gerne. Dann kann ich dir direkt ein sehr schönes Café zeigen, in dem sich ein Besuch immer wieder lohnt.", lächelte sie ihn an und auch er schien sich wieder zu entspannen. So zog auch er seinen Mantel über und schnappte sich seine Umhängetasche, ehe sie beide zusammen erst den Aufenthaltsraum und dann das Gebäude verließen - jetzt waren sie mit Sicherheit die letzten gewesen. 

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Das Café lag nur ein paar Gehminuten entfernt, in denen Annalena Robert einige Fakten über die Stadt erzählte, die sie irgendwann mal aufgeschnappt hatte, denn auch sie war erst vor ein paar Jahren für den Job hierhergezogen. Im Lokal war es erstaunlicherweise ziemlich leer, sonst bekam man fast kaum einen Platz. Robert bestellte sich eine Tasse Cappuccino und ein Stück Marmorkuchen, wohingegen sich Annalena für einen Latte Macchiato und ein Stück Streuselkuchen entschied und sie sich relativ weit hinten an einem Tisch platzierten. 

Sie wünschten sich beide einen guten Appetit und es legte sich eine Stille über die beiden, die erst unangenehm wurde, als die jeweiligen Kuchen aufgegessen waren. Keiner der beiden wusste, was für ein Thema sie anschneiden sollten, denn der vergangene Samstag und die unfreiwillige erneute Begegnung stand noch immer zwischen ihnen. 

Ein Seufzer entwich Annalenas Kehle, als sie gedankenverloren in ihrem Getränk herumrührte. Dieses Geräusch ließ Robert aufblicken und er wollte unbedingt eine zwanglose Unterhaltung mit ihr starten, schließlich hatte auch er das Gefühl, dass ihn die Stille erdrückte und er auch Anschluss zu seinen Kolleg*innen finden wollte.

"Und - wie lange bist du jetzt schon hier an der Schule?", quetschte er hervor, um ein Gesprächsthema einzubringen - neben der gemeinsamen Nacht verband sie ja auch noch der Beruf.

"Im Sommer 3 Jahre. Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht.", schmunzelte sie am Ende, was auch Robert ein Lächeln entlockte.

"Wie bist du denn hierhergekommen? Bist du aus der Nähe oder hier aufgewachsen?", hakte sie nach, um den Gesprächsball nicht fallen zu lassen.

"Weder noch,", schmunzelte ihr Gegenüber, "ich habe einfach mal wieder aus meinem Trott rausgemusst und habe deswegen nach Stellen etwas weiter weg von meinem Studienort und meiner alten Heimat gesucht und dann habe ich gesehen, dass hier genau meine Fächer benötigt werden und mich dann beworben und nun bin ich hier.", erläuterte er und Annalena nickte nur verständnisvoll. "Und wie war das bei dir? Du bist doch auch hierhergezogen?", hakte er nach und sie stellte ihr Glas wieder auf den Untersetzer.

"Ich habe damals noch relativ nah an meiner Heimat studiert und wollte dann, als ich fertig war, in die Welt hinaus – und dann hier gelandet.", gluckste sie und auch er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, schließlich befanden sie sich nicht in der Metropole der Welt.

So war bei den beiden das Eis gebrochen und sie erzählten noch über ihre bisherigen Erfahrungen im Lehralltag. Keiner der beiden bemerkte, wie schnell die Zeit verging, bis Annalena beiläufig aus dem Fenster schaute und feststellen musste, dass es bereits dämmerte. 

"Ich glaube, wir sollten so langsam aufbrechen - draußen wird es schon dunkel.", machte sie Robert auf die Situation aufmerksam, der noch Stunden mit der Frau hätte reden können. 

"Wenn du magst, können wir noch ein paar Schritte zusammen gehen, weil meine Wohnung liegt näher als das Schulgebäude und da in der Nähe wäre auch eine Haltestelle.", schlug er ihr vor, was sie mit einem Nicken bestätigte. So standen die beiden auf – bezahlt hatten sie bereits am Anfang – und zogen sich ihre Mäntel über, um schließlich mit einer freundlichen Verabschiedung das Café zu verlassen.
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Hello, ich weiß, dass das Kapitel recht unspektakulär ist, aber das muss ja manchmal auch sein ;). Freue mich wie immer über eure Kommentare, Anregungen und Votes! Beste Grüße

Verboten gutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt