27 | Prägende Vergangenheit

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„Hattest du schon viele Beziehungen?", knüpfte Micha auf einmal an unser Gespräch von früher an.

Nachdenklich drehte ich die Flasche in meinen Händen und nahm schließlich einen Schluck. Die Flasche war fast leer, darum bot ich Micha auch noch einen Schluck an, ehe ich den Rest leerte. Mit dem Rücken legte ich mich gegen einen großen Stein und öffnete meine Arme. Ich wollte jetzt nicht allein sein und vermisste seinen warmen Körper.

Micha lächelte und setzte sich neben mich in den Sand. Dann legte er vertraut seinen Kopf gegen meine Schulter und kuschelte sich an mich. Zufrieden legte ich meinen Arm um ihn. Es war schön, ihn so nah bei mir zu spüren und er schien die Nähe auch zu genießen.

„Meine erste Erfahrung hatte ich letztes Jahr im Sommerurlaub", begann ich zu erzählen. „Er hieß Emilio und war der beste Taucher, den man sich vorstellen kann. Er hatte wahnsinnig tolle Locken und schöne dunkle Augen", schwärmte ich und sah Emilio mit seinem strahlend weißen Lächeln vor mir von einem Felsen springen. „Ich war ganz schön verknallt", resümierte ich.

„Und, habt ihr noch Kontakt?", fragte Micha neugierig. Verlegen schüttelte ich den Kopf. „Ich hätte es schon gern versucht. Aber wenn man es mal genau nimmt, war es eben eine Urlaubsromanze und das war uns beiden von Anfang an klar." Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber ich wollte Micha auch nicht alles erzählen.

„Und dann? Wie bist du über ihn hinweggekommen?", bohrte Micha weiter.

„Carsten", schmunzelte ich und dachte sofort an meinen gutaussehenden Nachbarn. Er war meine erste große Liebe. Auch wenn wir es uns nie gesagt haben, hatten wir eine wunderbare Zeit zusammen. Er hatte eine harte Schale, aber ich kannte ihn besser.

Nach einer kurzen Pause reckte Micha den Kopf und sah mich erwartungsvoll an. Also erzählte ich ein bisschen von ihm. „Er hatte damals noch eine Freundin, als wir uns verliebt haben. Dass er sie für mich verlassen hat, hat mir viel bedeutet. Leider hat es am Ende nicht für mehr gereicht", sagte ich traurig, nicht ohne einen bitteren Nachgeschmack über unser Ende zu verspüren.

„Was ist denn passiert?", fragte Micha und ich glaubte eine gewisse Aufregung in seiner Stimme zu spüren, da er ahnen musste, was mir Carsten bedeutet hatte. „Es war nicht immer ganz leicht", gab ich zu. „Ich wollte mich outen; er nicht in der Öffentlichkeit mit mir gesehen werden. Tja, das konnte auf Dauer nicht gut gehen", beendete ich die Erzählung hier.

Micha bemerkte wohl, dass ich nicht weiter über Carsten sprechen wollte und setzte sich auf. Trotzdem war er mir immer noch sehr nah und ich fühlte, wie er seine Hand auf meine legte. „Du findest schon noch den Richtigen", tröstete er mich und sah mir dabei so tief in die Augen, dass ich ihn am liebsten an mich reißen wollte.

„Ach", stieß ich etwas nervös aus und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Wenn's noch länger dauert, habe ich so lange eben Spaß. Ich bin doch kein Kind von Traurigkeit", grinste ich nun doch zu Micha hinüber und sah ihn verführerisch an. Micha hielt meinem Blick diesmal stand und mein Herz begann zu klopfen. „Wie sieht's eigentlich bei dir aus?", fragte ich ausweichend.

„Du meinst, nachdem ich von Sascha diese Abfuhr bekommen habe?", sagte er etwas traurig. Unbeantwortet ließ ich die Frage verhallen, bis Micha mir von selbst antwortete. „Ich bin wieder zu meiner Freundin zurück", antworte er leise und etwas schuldbewusst. Ich stutzte.

„Deiner Ex-Freundin?", fragte ich verwirrt und merkte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete.

„Naja, wir sind noch zusammen. Irgendwie", antworte er verunsichert und blickte mich an. Fassungslos ließ ich seine Hand los und stand bestürzt auf. Mein Herz raste und der Kloß in meinem Hals, schnürte mir fast die Luft ab. „Du bist noch mit ihr zusammen?", wiederholte ich ungläubig und konnte es kaum fassen. Micha nickte und stand auf.

„Aber warum bist du denn so wütend?", fragte er und wollte versöhnlich seine Hand auf meinen Arm legen. Doch ich stieß ihn weg. „Warum ich wütend bin?", schrie ich ihn an. „Weil ich mit dir Pläne schmiede, um Sascha rumzukriegen und die ganze Zeit annehme, dass du schwul bist, obwohl du eine feste Freundin hast!" Micha sah mich verwirrt an, als könne er noch immer nicht verstehen, was mich so empörte. „Und weil ich sicher nicht vor dir im Staub gekrochen wäre, wenn ich das gewusst hätte", schrie ich enttäuscht und beschämt.

„Weißt du was?", fragte ich, bevor Micha noch was sagen konnte. „Kannst du dich noch dran erinnern, was du gestern über Sascha gesagt hast? Dass er sich bestätigt fühlen will und dass es ihm den Extra-Kick verschafft, wenn Männer ihn attraktiv finden?" Nun musste Micha sich doch verteidigen. „So ist das bei mir nicht!"

„Ach nein?"

„Ich bin doch nur noch mit ihr zusammen, weil ich...", sagte er, brachte den Satz aber nicht zu Ende. „Ist sie deine Alibi-Freundin?", fragte ich offen heraus und sah ihn mit ernstem Blick an. Micha druckste kurz herum, dann nickte er. „Könnte man so sagen, ja."

„Und genau das kann ich nicht leiden!", sagte ich scharf und musste dabei an Carsten denken, der es nicht geschafft hatte, mit mir auf den Ball zu gehen und stattdessen mit einer blonden, vollbusigen Schlampe dort aufgetaucht war.

„Ich gehe jetzt besser ins Bett", verkündigte ich aufgebracht bevor mir wieder die Tränen in die Augen steigen konnten, und drehte mich um. Hinter mir hörte ich Micha mir nachkommen. Er holte auf und ging eine Weile schweigend neben mir her.

Wir kamen dem Schuppen immer näher und hörten Saschas vertraute Stimme „My heart will go on" singen. Abrupt blieb ich stehen, als mich ein vertrautes Gefühl von Traurigkeit überfiel und Micha trat neben mich. „Es tut mir leid, was mit diesem Carsten passiert ist", sagte er plötzlich mitfühlend und bot mir seine Arme als Entschuldigung an. Ich spürte, wie ein paar Tränen heiß mein Gesicht hinunterliefen. Meine aufgelegte Fassade begann zu bröckeln und ich sehnte mich sehr nach etwas Trost.

Ich drehte mich um und schloss meine Arme um Micha und drückte ihn an mich. Er drückte zurück und ich fühlte seinen warmen Körper an meinem. Es tat gut, dass er da war und ich ahnte, dass er der Einzige hier war, der meine Gefühle verstand.

„Komm Jamie", flüsterte er zärtlich, als die Musik aufgehört hatte und die Menge in grölenden Applaus ausgebrochen war. „Ich bringe dich ins Bett."

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