42 | Wenn der Ex-Freund mit dem Jetzt-Freund...

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Vor dem Spiegel wusch ich mir, so gut es ging, meine Tränen aus den Augen. Das kalte Wasser machte mich wieder ein bisschen wacher und ich bereute ein bisschen, dass ich Carsten angerufen hatte.

Mein Handydisplay zeigte an, dass der Akku fast vollständig leer war, aber nun lud. Ein paar Minuten würde ich wohl warten müssen, bis ich wieder telefonieren konnte. Ich ließ das Handy auf dem Waschbecken liegen und ging dann in das Nebenhaus auf die Toilette. In meinem Kopf drehte sich alles, da ich anscheinend doch zu viel getrunken hatte.

Ein paar Minuten klammerte ich mich, die Augen fest geschlossen, am Waschbecken fest und wartete darauf, dass der Raum aufhörte sich um mich zu drehen. Noch etwas schwankend, ging ich schließlich ins Waschhaus zurück und öffnete die Tür.

Eine Gestalt stand mit dem Rücken zu mir an dem Waschbecken, an dem ich das Handy eingestöpselt hatte. An den gegelten Haaren erkannte ich, dass es Micha sein musste. Und er telefonierte. Mit meinem Handy! Leise schloss ich die Tür wieder und lauschte.

„Dass du es überhaupt wagst, ihn anzurufen!", hörte ich Micha drohen.

„Ach ja? Das hätte ich mir ja denken können", sagte er dann etwas bissiger.

„Na und? Er ist doch alt genug, das selbst zu entscheiden."

„Warum ist das meine Schuld?", fragte er verwirrt. „Ich habe doch gar nichts..."

„Was? Das hat er gesagt?", fragte Micha schuldbewusst und stützte sich nun auf dem Waschbecken auf. „Scheiße", sagte er dann. „So meinte ich das ja gar nicht", verteidigte er sich. Carsten entgegnete etwas.

„Ach ja! Ich vermute, du hast noch nie was Blödes gesagt", keifte er dann. Eine lange Pause folgte, in der Carsten vermutlich etwas erzählte. „Sehr nett", antwortete Micha schließlich sarkastisch. Noch eine Pause. „Ach, und mir nicht?", fragte er böse. Wieder Stille.

„Du hast was?", schrie Micha nun fast und richtete sich auf. „Was hat er dazu gesagt?", wollte er wissen. Eine unangenehme Spannung lag in der Luft und ich war mir nicht sicher, ob Carsten Micha die Wahrheit erzählen, oder ihn anlügen würde. Nach ein paar endlos langen Sekunden antwortete Micha schließlich.

„Oh", sagte er erstaunt und ließ sich wieder auf dem Waschbecken nieder.

„Natürlich mag ich ihn", sagte er dann. Carsten schien noch etwas zu fragen. „Ja", flüsterte Micha liebevoll. „Und er weiß das eigentlich auch." Noch eine Pause.

„Er hätte es eigentlich gar nicht hören dürfen!", regte sich Micha erneut auf und ein wenig Reue schwang in seiner Stimme mit.

„Ja."

„Gut."

„Ja, mach ich."

„Tschüss", sagte Micha schließlich und beendete das Gespräch. Seufzend fuhr er sich durch die Haare und legte das Handy wieder auf das Waschbecken. Dann drehte er sich um.

Wortlos und starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht, sah er mich an

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Wortlos und starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht, sah er mich an.

Langsam ging ich auf ihn zu und griff schweigend nach meinem Handy. Ohne ihn anzusehen, blieb ich neben ihm stehen.

„Ich...", sagte Micha und suchte nach Worten. „Das Telefon hat geklingelt und... ich dachte...", stotterte er unsicher.

„Schon okay", antwortete ich und drehte das Telefon in meiner Hand.

„Du siehst ziemlich fertig aus", sagte Micha nach einer Weile. Ich schwieg und starrte auf meine Hände. Sollte er doch mal versuchen, sich zu entschuldigen.

„Es tut mir leid, was ich vorhin zu Sascha gesagt habe", gab er schließlich zu. „Ich war nur so sauer und... du hättest es ja auch eigentlich gar nicht hören sollen", sagte er ruhig.

„Schon okay", wiederholte ich und zog das Ladekabel aus der Steckdose.

„Nein", sagte er und legte vorsichtig eine Hand auf meine Schulter. „Es ist nicht okay", gab er zu, doch ich konnte ihn immer noch nicht ansehen.

„Es hat mich nur ziemlich unter Druck gesetzt, dass du diese Anspielung gemacht hast", erklärte er. Ich schwieg beharrlich. „Ich hatte Angst, dass du nur mit mir schlafen willst", redete er weiter und versuchte irgendeine Reaktion von mir zu bekommen.

„Du solltest es eigentlich besser wissen", sagte ich schließlich scharf. „Habe ich dir nicht gestern gesagt, dass du mir als Mensch wichtig bist und dass ich dich will, weil ich dich gern habe!", schnauzte ich ihn an.

„Ja, das hast du", sagte Micha und senkte den Kopf. Irgendwas schien er noch auf dem Herzen zu haben. „Ich... ich habe dich gestern angelogen", sagte er etwas kleinlaut und ich entschied für mich, dass ich eigentlich gar nicht wissen wollte, wobei. „Ich will das gar nicht hören", sagte ich reflexartig und drehte mich um zum Gehen.

„Ich habe noch mit niemandem geschlafen", sagte Micha schnell und ich blieb stehen. Neugierig drehte ich mich um. „Was?"

„Mann, Jamie, ich bin noch Jungfrau", sagte Micha schuldbewusst und blickte mich verlegen an.

„Oh", sagte ich und ging auf ihn zu. „Wieso hast du mir das nicht gesagt?", fragte ich traurig, dass Micha mir so wenig vertraute.

„Naja", druckste er herum. „Du hast schon so viel Erfahrung und ich habe mich geschämt", gestand er.

„Warum denn?", fragte ich. „Ich bin der Letzte, der dafür kein Verständnis hat", erklärte ich.

„Aber Carsten", entgegnete er fast verzweifelt. „Er ist einfach so...", sagte er und ließ den Satz unvollendet.

„Was?", fragte ich.

„Männlich!", sagte Micha und ich grinste. „Ach komm", entgegnete ich. „Carsten war genauso unsicher wie du, als wir das erste Mal Sex hatten", beruhigte ich ihn.

„Ach echt?", fragte Micha ungläubig.

„Klar", nickte ich. „Und ich natürlich auch. Ich habe das vorher ja auch noch nie gemacht. Aber als es dann passiert ist", sagte ich und ließ eine kurze Pause verstreichen. „Als es passiert ist war eigentlich alles ganz einfach. Und schön. Und es wurde mit jedem Mal besser. Und genau das wollte ich damit sagen. Dass man keine Angst haben muss. Wenn du irgendwann bereit dafür bist, dann wird es auch gut, das verspreche ich dir. Aber wenn du jetzt noch nicht bereit bist, kann ich das auch verstehen. Und ich akzeptiere das. Doch dass ich es mir trotzdem wünsche, dagegen kann ich leider nichts tun. Aber ich kann warten. Und ich werde warten. Ich will nicht, dass du dich dazu gedrängt fühlst. Ich will, dass es für dich genauso schön und unvergesslich wird, wie es das für mich war", endete ich meinen Monolog.

Micha sah mich liebevoll an. Dann atmete er tief durch. „Ich bin noch nicht bereit", sagte Micha und ich nickte. Fast hätte ich mit dieser Antwort gerechnet.

„Das ist okay", sagte ich, nicht ohne ein leichtes Bedauern. „Also Micha, ich werde jetzt schlafen gehen und wir sehen uns dann morgen früh?", fragte ich.

Micha nickte. „Soll ich mitkommen?"

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin ziemlich fertig und müde", sagte ich. „Aber wir sehen uns spätestens beim Frühstück."

„Gut", nickte Micha. „Gute Nacht?", fragte er mehr, als er wünschte.

„Gute Nacht", wünschte ich.

„Ich...", fing Micha an und trat auf mich zu. „Kann ich dir richtig gute Nacht sagen?", lächelte er.

Ich fand sein Anliegen irgendwie süß und zuckte grinsend mit den Schultern. Dann kam er auf mich zu und berührte meine Wange. „Schlaf gut", flüsterte er und küsste mich zärtlich auf den Mund. Sein Kuss war warm und weich. Als er sich wieder von mir löste, war ich kurz davor nachzugeben und Micha doch mitzunehmen. Aber ich blieb standhaft und ging allein zu meinem Zelt zurück.

In Sekundenschnelle war ich eingeschlafen.

FeuertänzerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt