Kapitel 6

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Am nächsten Morgen wurde ich davon wach, dass ich unten Stimmen hörte.

Ich gähnte und schlüpfte schließlich in das gleiche Outfit wie gestern. Ich wusste, dass wir bald unser Haus ausräumen mussten. Das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte und der Gedanke daran schmerzte.
Harry hatte vorgeschlagen das Haus zu behalten, wofür ich sehr dankbar war, aber wenigstens meine Sachen mussten wir holen.

Ich betrachtete mein Spiegelbild. Zwei müde Augen sahen mich an, mein Dutt fiel fast schon auseinander und auch der restliche Anblick spiegelte meine aktuelle Gefühlslage recht gut wieder.

Nachdem ich meinem Spiegelbild ein müdes Lächeln geschenkt hatte, lief ich die Stufen nach unten.
Olivia, Otis und Daisy standen im Flur und zogen sich ihre Schuhe an. "Guten Morgen", sie lächelten mich an. "Morgen", erwiderte ich und Harry kam zu uns.

"Wir fahren zu Papa", meinte Daisy und strahlte mich an. "Viel Spaß", sagte ich müde. "Bis später", Olivia gab Harry einen Kuss und die drei verschwanden nach draußen.

"Na", Harry legte einen Arm um mich. "Danke, dass du da bist", flüsterte ich. "Sollen wir deine Sachen heute holen? Ich meine nur wenn du dafür bereit bist", fragte er, während wir uns in die Küche setzten. Ich überlegte einen kurzen Moment. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass heute ein guter Tag war. Schließlich nickte ich.

Wir saßen im Auto und hörten Musik. Genauer gesagt war es das Auto meines Stiefopas und die Musik hatte er immer gehört. Nach seinem Tod hatte Harry das Gleiche getan und nun saßen wir hier zusammen. Auf der Fahrt sangen, schwiegen und lachten wir, es tat gut zusammen zu trauern. Ich war nicht alleine, wir würden das zusammen schaffen.

Je näher wir kamen, desto mehr zog sich mein Hals zusammen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, aber ich wusste, dass kein Weg hierdran vorbei führte.
Harry parkte das Auto direkt vor dem Haus. Der Motor ging aus und er zog den Schlüssel. "Bereit?", fragte er mich. "Bereit, wenn du es bist", ich atmete aus und öffnete schließlich die Autotür. Frische Luft umhüllte mich und ich konnte die Vögel hören, welche mich auch morgens immer geweckt hatten.

Harrys Autotür schlug zu und wir betraten unser Grundstück.
Im Vorgarten blüten etliche Pflanzen und es hatte etwas Verwunschenes. Mum und ich hatten es beide geliebt uns um sie zu kümmern und auch in meinem Zimmer standen einige Pflanzen.
Wir hatten die Haustür erreicht, es war eine weiße Holztür.

Harry nahm den Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss auf.
Ich verschwand direkt nach oben in mein Zimmer.

Ich warf mich auf mein Bett und sah an die Decke. Scheiße. Wie oft hatte ich hier gelegen und gelesen oder Musik gehört und meine Mum hatte mich von unten gerufen "Tilly, Essen ist fertig", ich konnte ihre Stimme hören. Doch nie wieder würde sie mich wirklich rufen.

Ich verdückte ein paar Tränen.
"Hey, ist es okay wenn ich rein komme?", Harry stand im Türrahmen. "Ja, klar. Komm ruhig rein", ich richtete mich auf. "Komisches Gefühl oder? ", meinte er und setzte sich neben mich, ich nickte. "Kannst du vielleicht die Kisten holen? Dann kann ich meine Sachen einräumen?", fragte ich. "Ja", er lächelte schwach und ich hörte ihn die knarzenden Treppenstufen runter laufen, während ich aufstand.

Wir hörten Musik und räumten zusammen mein Zimmer aus, zumindest die Sachen, die ich mitnehmen wollte. In meinem Kopf spielten sich so viele Erinnerungen von Mum und mir ab. Egal wo ich in diesem Haus hinsah, fiehlen mir weitere ein, aber das machte dieses Haus so besonders, meine Erinnerungen mit ihr lebten hier weiter und dafür war ich unfassbar dankbar.

Nachdem wir schließlich die Kisten ins Auto geräumt hatten gingen wir in den Garten. Wir hatten einen Kräutergarten und ein Gewächshaus, außerdem war hinten im Garten ein Steg, von dem man direkt in den See springen konnte, was wir oft gemacht hatten.

Er sah mich an und ich nickte. Wir zogen uns unsere Schuhe aus und liefen gleichzeitig los. "Ey das ist unfair", rief ich lachend und versuchte ihn einzuholen. Lachend sprangen wir schließlich in das kalte Wasser.

"Ich vermisse sie", sagte Harry als wir wenig später pitschnass auf dem Steg saßen. "Ich auch", meinte ich.
"Du, Harry", ich sah ihn an. "Ja?", fragte er.
"Was ist eigentlich mit den ganzen Pflanzen und so, irgendjemand muss sich doch darum kümmern."
"Hm...es könnte ein Gärtner kommen", schlug er vor.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das will ich nicht", meinte ich. Der Gedanke daran, dass jemand sich hierum kümmerte, wie um die ganzen anderen Gärten, die er täglich sah, gefiel mir nicht.

Ich hörte Geräusche hinter uns und wand mich um. Unser Nachbar, Helmut, stand mit einer Gießkanne im Garten zwischen den Kräuterbeeten. Ich war oft bei ihm gewesen und er hatte mir Geschichten von früher erzählt oder wir hatten im Garten gespielt. Mum und ich hatten ihn beide sehr gerne gehabt und wir waren für ihn seine Familie gewesen, da seine Familie ihn nie besucht oder sich um ihn gekümmert hatte.

"Ach, Matilda ich wusste gar nicht, dass du da bist", sagte er überrascht und ich lief zu ihm. "Es tut mir so leid", er schloss mich in seine Arme.
"Ich weiß ja, das euch die Pflanzen so wichtig waren, deswegen hab ich mich gekümmert, ich hoffe das war okay", erklärte er. "Danke", ich lächelte und war ihm wirklich dankbar. Harry tauchte neben mir auf. "Hallo, Harry", er streckte ihm die Hand hin. "Helmut", er umschloss sie lächelnd mit seiner.

Matilda Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt