Kapitel 9

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Es war 10:28 als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Draußen war es schon hell und der Rest des Hauses wahrscheinlich seit 06 Uhr wach, schätzungsweise weil Daisy sie geweckt hatte.

Gestern war die Beerdigung meiner Mum gewesen. Beerdigung, das klang so falsch.
Ich streckte mich und schaltete mein Handy an. Ich verbrachte wahrscheinlich eher so viel Zeit am Handy wie eine 70 jährige Oma als die Zeit, die die meisten Teenager in meinem Alter vor diesen Dingern hingen.

Es gab nicht besonders viele Menschen mit denen ich schreiben wollte, die Nachrichten guckte ich mir lieber gar nicht erst an. Natürlich hatte inzwischen auch jeder Dorfbewohner erfahren, dass Gemma Styles in einem tragisch jungem Alter gestorben war und die 15-jährige Matilda ja nun unfassbar leiden musste.

War ja schön, dass die ganze Welt sich Sorgen um mich machte, aber wirklich Interesse daran wie es mir ging, hatte so gut wie keiner.

Seufzend legte ich mein Handy weg, nachdem ich einen Blick darauf geworfen hatte, wer alles schon wieder geschrieben hatte.
Es war kein wirkliches Mitgefühl, es war das Nötigste, was man für die Angehörigen tun musste, wenn jemand verstorben war. Einfach weil es sich gehörte, es war höflich und seine Eltern, oder wie in meinem Fall meine Mum, hatten einem dieses Verhalten von Kind an beigebracht.

"Super, dass ihr alle so gut erzogen seid", murmelte ich. Herzlichen Glückwunsch an eure Eltern. Ich schlug meine Bettdecke zur Seite und gab mir einen Ruck um aufzustehen.
Ich trug immer noch die Sachen von gestern, Harry hatte mich nach oben getragen. Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken. So einen Onkel zu haben war Gold wert.

Ich ließ meine Anziehsachen auf den Boden fallen und öffnete meinen Kleiderschrank. Nachdem ich ihn trostlos ein paar Minuten angeblickt hatte, zog ich schließlich eine Jeans und ein rot weiß gestreiftes kurzes T-Shirt hinaus und zog mich schnell um.

Morgen waren die Ferien vorbei. Es waren die schönsten und gleichzeitig auch schlimmsten Ferien meines Lebens gewesen. Der Urlaub war so unbeschwert und schön gewesen, fast schon verdächtig und dann hatte mich der Ernst des Lebens eingeholt.

Ich hoffte nicht wieder in Tränen auszubrechen, schob die Gedanken an meine Mum schnell weg und ging die letzte Stufe nach unten.

"Tilly", Daisy kam auf mich zugerannt und umarmte mich.
"Hallo Daisy", ich bekam ein Lächeln hervor und wuschelte ihr durch ihre Haare.
"Otis und Harry sind schon unterwegs. Mama ist oben. Malen wir gleich zusammen?", plapperte sie mich voll, während ich mich in die Küche begab.
"Mhm",ich nickte müde. Eigentlich hatte ich keinen Hunger.

Erschöpft setzte ich mich auf den Barhocker in der Küche, während Daisy mir aufgeregt irgendwas über Pferde, den Kindergarten und ihre beste Freundin erzählte. Ehrlich gesagt konnte ich dem ganzen nicht wirklich folgen, gab mir aber auch nicht besonders viel Mühe dabei.

"Guten Morgen meine Großen", Olivia kam die Treppe hinunter.
"Ich mal jetzt was zusammen mit Tilly", meinte Daisy während Olivia mich nachdenklich ansah.
"Willst nur du das oder Matilda auch?", fragte sie und kniete sich zu Daisy.
Danke Olivia, aber ich konnte eigentlich auch selbst sprechen.
"Du Daisy, ihr könnt ja später auch noch was machen, ich glaub die Tilly will gerade lieber allein sein", sagte sie und ging mit Daisy nach draußen.
Vielleicht fragte sie mich auch einfach mal. Soweit ich mich erinnern konnte, war mein Sprechvermögen noch das Selbe, wie vor dem Tod meiner Mum.

Seufzend stand ich auf, um in mein Zimmer zu gehen. Ich hatte keine wirkliche Lust auf morgen.
Man wusste nie ob jemand wirklich an einem selbst oder nur seinem Onkel interessiert war. In meiner alten Schule hatte ich alle seit klein auf gekannt und gewusst wem ich wirklich wichtig war-oder auch nicht.
Jemand, dem ich wirklich wichtig gewesen wäre, hätte sich Sorgen um mich gemacht, nachdem nichts mehr von mir gekommen war und hätte vielleicht mal persönlich vorbeigeschaut oder wenigstens angerufen.

Ich hatte dafür gekämpft mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu dürfen und auf eine städtische Schule zu gehen. Ich wollte ganz normal behandelt werden, so wie jeder andere auch. Ich war nichts besonderes und kein Geld der Welt machte einen zu einem wertvolleren Menschen.

Ich setzte mich vor mein Fenster und konnte Olivia und Daisy im Garten spielen sehen. Es tat weh die beiden so glücklich zu sehen. Mutter und Tochter.
Ich sah auf den Stapel ungelesener Bücher, der in der letzten Woche deutlich kleiner geworden war. Inzwischen lagen nur noch zwei Bücher dort, eins davon zur Hälfte ausgelesen.
Ich nahm es mir und fing an zu lesen.

Matilda Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt