Kapitel 9 - Eine Überraschung und ein Besen

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Nachdem sich Ludwig der Neunzehnte verabschiedet hatte, wunderte sich Clementine noch ein wenig. Sie hatte keine Ahnung, was der Kater von ihr gewollte hatte. Als er gegangen war, hatte sie beinahe den Eindruck, er wäre ein wenig beleidigt gewesen. Clementine entschied sich nicht weiter darüber nachzudenken und rupfte stattdessen ein bisschen Unkraut in ihrem Garten. Sie kannte keinen Zauber, der ihr das hätte abnehmen können. Magie wollte sich einfach nicht gegen Pflanzen einsetzen lassen. Und das war wahrscheinlich auch besser so. Clementine tat die körperliche Arbeit ganz gut und sie gab ihr immer Zeit zum Nachdenken. Nach weniger als einer Stunde erschien allerdings schon der nächste Besucher. Clementine hörte ein Räuspern vom Eingang des Gartenzauns.

Als sie aufsah, sah sie den alten Pfarrer Grammelburt dort stehen. Das kam ihr gerade noch gelegen. Als ob sie nicht schon genügend Ärger an der Backe hatte. Energisch richtete sie sich auf und ging fest entschlossen auf den Pfarrer zu. Doch dieser erschien ihr anders zu sein als sonst. Ruhig stand er dort und drehte nervös seinen Hut zwischen den Händen.

Er sprach sie zögerlich an. "Guten Morgen, werte Frau Lehrerin."

Das war überraschend. So hatte sie den Alten noch nicht erlebt. Vielleicht war ihm etwas zugestoßen und er brauchte ihre Hilfe? Clementine atmete tief durch und antwortete ihm erst einmal freundlich. "Guten Morgen, Pfarrer Grammelburt. Was kann ich an diesem schönen Samstagmorgen für Sie tun." Bei diesen freundlichen Worten hellte sich sein Gesicht etwas auf. "Nun, bevor ich Sie um etwas bitte, ist es denke ich erst einmal an mir, mich zu bedanken. Und natürlich zu entschuldigen. Wissen Sie, unser letztes Gespräch hat mich zuerst zutiefst wütend gemacht. Und ich muss gestehen, dass es ein wenig gedauert hat, bis diese Wut verflogen war. Aber dann verstand ich, dass ich nur deshalb so wütend war, weil Sie einen wahren Kern getroffen haben mussten. Und so möchte ich Besserung geloben, werte Frau Lehrerin.
Sie haben mir eine wichtige Lektion beigebracht. Ich bin nicht nur der geistige Führer dieses Ortes. Ich bin auch ein Vorbild für jeden, der die Kirche besucht. Und anscheinend habe ich verlernt auch denen Respekt zu zollen, die nicht unbedingt meine Ansichten teilen. Dafür bitte ich Sie um Vergebung. Zudem möchte ich sie herzlich einladen unserer morgendlichen Sonntagsmesse beizuwohnen. Es wäre ein Segen für unseren Ort, wenn sich die neue Lehrerin dort zeigen würde."

Nach dieser langen Ansprache war Clementine völlig platt. Ein Mann in diesem Alter, der eine Führungsposition innehatte und der sich vollen Ernstes bei einer jungen Frau für seinen Fehler entschuldigte. So etwas hatte Clementine in ihrem ganzen langen Leben noch nicht erlebt. Unauffällig untersuchte sie den Alten auf magische Anzeichen, um zu erkennen, ob er vielleicht von Rhabarbara oder jemand anders verhext worden war. Aber sie konnte nichts entdecken. Clementine blieb keine andere Wahl als diese ehrliche Entschuldigung anzunehmen. "Vielen Dank für diese Entschuldigung. Ich muss zugeben, ich bin tatsächlich überrascht. Ich sehe nicht, wie ich eine solch aufrichtige Einladung ablehnen könnte. Sehr gern komme ich zu ihrer Messe. Morgen um Zehn?"

Ein breites Lächeln erstrahlte im Gesicht des alten Mannes. "Ganz richtig. Morgen um Neun. Ich freue mich darauf." Und zu Clementines endgültigem Erstaunen verbeugte sich der Pfarrer ganz leicht, bevor er sich verabschiedete und ging.

"Es geschehen noch Zeichen und Wunder", murmelte Clementine.


Als der Abend hereinbrach, stieg Clementine auf ihren Besen und flog zum Wald. Sie versuchte den Flug zu genießen, aber ihr schwirrten zu viele Dinge durch den Kopf. Noch hatte sie keinen Weg gefunden, die verwunschenen Kinder wieder zu retten. Außerdem musste sie herausfinden, ob Kamilla sie an die Oberhexe verraten hatte. Obwohl dieses Problem fast unwichtig wirkte, wenn sie an heute Mittag dachte: Ru hatte ihre Magie gesehen. Das war ein Problem, für das ihr kein Ausweg einfallen wollte. Und das musste sie schnellstmöglich lösen. Wer wusste, was dem Mädchen als Nächstes einfiel. Vor allem durfte Ru sie nicht wieder beim Hexen sehen.
Während ihre Gedanken so um all diese Dinge kreisten, kam Clementine bei der Lichtung der Träumenden Bäume an. Thymia stand schon bereit und hielt einen Besen in der Hand. Das Mädchen war vor lauter Aufregung bestimmt viel zu früh dort gewesen und wartete schon lange. Clementine landete gleich neben ihr und begrüßte die junge Hexe herzlich. Dann inspizierte sie den Besen. Das war ein herrliches Stück. Ein funkelnagelneuer Besen. Die Borsten standen alle noch in dieselbe Richtung. Der Stiel war aus stabiler Eiche und glänzte sogar ein bisschen. Thymia hatte ihn wahrscheinlich sehr lange poliert, bis er so strahlte. Während Clementine gerade prüfte, wie gut die Borsten befestigt waren, landete die alte Rhabarbara neben ihnen.

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