Kapitel 17 - Kampf auf der Lichtung

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Clementine und Kamilla standen einander gegenüber und blickten sich einen Moment lang wortlos an. Als Kamilla den Mund öffnete, um etwas zu sagen, blitzte ein heller Lichtschein auf. Das Licht kam von der Lichtung der träumenden Bäume und Clementine erkannte sofort, dass es durch Magie erzeugt worden war. Die beiden Hexen drehten sich zur Lichtung. Clementines Nasenhaare sträuben sich heftig, das war ein klares Zeichen dafür, dass hier viel Magie gewirkt wurde. Sie und Kamilla ahnten beide, was es bedeutete: Brokkola war hier und sie war auf Rhabarbara getroffen.

Clementine und Kamilla sprachen kein Wort miteinander. Sie rannten zum Ort des Geschehens. In Clementines Kopf raste es. Was sollte sie tun? Es war schlimm genug gegen Brokkola zu kämpfen, aber wenn Kamilla auch noch dabei sein würde, standen die Chancen noch schlechter. Warum hatte Kamilla Clementine nicht gleich angegriffen? Dachte sie, dass Rhabarbara die gefährlichere Gegnerin war? Sollte Clementine zuerst angreifen? Jetzt, wo Kamilla kaum auf sie achtete? Während Clementine noch überlegte, bot sich ihr eine unerwartete Gelegenheit, denn die beiden Hexen liefen an einem großen Busch Waldschläfer vorbei. Clementine zögerte nicht lange und schubste Kamilla kurzerhand hinein. Kamilla riss überrascht die Augen auf. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber eine diche Wolke aus Pollen brach über sie herein. Nach wenigen Sekunden waren ihr schon die Augen zugefallen und der Schlaf über sie gekommen. Clementine war erleichtert. In den nächsten Stunden würde Kamilla sicher nicht von selbst wieder aufwachen. Das verschaffte ihr etwas Zeit, um sich um das größere Problem zu kümmern: Brokkola.

Die Lichtblitze, die aus der Richtung der Lichtung kamen, wurden heller und kamen häufiger. Clementine hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Sie lief sofort wieder los.


Clementine konnte die Magie schon fühlen, bevor sie bei der Lichtung ankam. Dort bewegte sich unglaublich viel Magie. Die Lichtung war das Zentrum des Regenwurm Rituals gewesen. Natürlich floß dort am meisten Magie durch die Erde. Aber es befand sich auch jede Menge Magie in der Luft. Clementines Nasenhaare vibrierten immer heftiger, je näher sie der Lichtung kam. Sie lief zwischen zwei Bäumen hindurch und konnte die beiden Hexen jetzt sehen. Sie befanden sich bereits in einem heftigen Kampf. Brokkola und Rhabarbara waren jeweils umhüllt von einem gewaltigen Fluss aus Magie. Deutlich mehr als Clementine selbst hätte bewegen können. Die beiden alten Hexen sprachen jede Menge Flüche aus, die sie aufeinander hetzten. Aber die Magie, die die Hexen umfloss, wirkte gleichzeitig wie ein gewaltiger Schild. Keiner der Flüche traf sein Ziel. Vorher wurden sie von Strömen aus Magie umgeleitet oder verschluckt. Das würde vermutlich so lange so weitergehen, bis eine der Hexen keine Kraft mehr hatte. Allerdings stand Rhabarbara jetzt schon leicht gebückt da, während Brokkola noch frisch und stark aussah. Clementine stolperte auf die Lichtung. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Es sah nicht so aus, als ob sie diese Situation noch entschärfen konnte, aber sie musste es wenigstens versuchen. Sie musste schreien, damit die anderen sie hören konnten. "HALT! DAS IST NICHT NOTWENDIG!". Sie ging weiter auf die beiden zu. Je näher Clementine kam, desto besser konnten sie sie verstehen. Sie sprach weiter und blickte Brokkola an. "Ich habe mit Ru gesprochen. Sie will eine Hexe werden. Wir brauchen uns keine Sorgen mehr ihretwegen zu machen." Brokkola warf ihr einen giftigen Blick zu. Dann sprach sie mit einer keifenden Stimme. "Ich habe das Schicksal des Mädchens gesehen. Sie wird niemals einem Hexenorden beitreten! Und wenn ich sie heute nicht vernichte, dann wird sie eines Tages mein Ende bedeuten. Das Risiko werde ich nicht eingehen. Und bei der Gelegenheit werde ich euch elende Verräter auch gleich loswerden." Clementine konnte offenen Hass in Brokkolas Augen erkennen. Die Oberhexe war voller Gier nach Macht und sie hatte Angst diese wieder zu verlieren. Clementine verstand in diesem Moment, dass sie Brokkola niemals hätte überzeugen können, die Kinder zu verschonen. Ihre Oberhexe war durch und durch böse Die Situation fühlte sich unwirklich an. Im Licht der fließenden Magie warfen die toten Bäume am Rand der Lichtung flackernde Schatten. Sie schienen sich zu bewegen. Es erschien Clementine tatsächlich so, als würden die Bäume um die Lichtung tanzen. Die Hexen standen jetzt im Zentrum. Clementine musste ihre Oberhexe jetzt und hier aufhalten. Aber wie? Sie konnte Rhabarbara alleine nicht unterstützen. Zu zweit konnten sie sich nicht zu einem Kreis verknüpfen, dafür brauchte es immer drei Hexen. Rhabarbara erhob jetzt ihre Stimme. "Keine Sorge Kind. Kamilla müsste jeden Moment hier sein. Wir müssen nur solange durchhalten, bis sie hier ist." Clementine schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe sie Schlafen geschickt. Sie war es doch, die mich an Brokkola verraten hat." Aus Brokkolas Kehle ertönte ein lautes, bösartiges Lachen. "Du denkst tatsächlich, Kamilla hätte dich verraten? Gyahaha. Ich wünschte, ich hätte dieses störrische Weib für mich gewinnen können. Aber Kamilla lässt sich von niemandem reinreden. Hat immer nur ihre dämliche Familie im Sinn." Dann lächelte Brokkola sehr fies und sehr grimmig. "Nein, es war dein dämlicher Krähenfreund. Als der blöde Vogel mir deine Nachricht überbracht hat, habe ich ihm meinen Willen aufgezwängt. Ich hatte schon befürchtet, dass du mir nicht treu ergeben bist, im Fliedergrund, unter dem Einfluss dieser alten Schachtel." Sie deutete mit dem Kopf auf Rhabarbara, während sie weitersprach. "Und dann hast du auch noch den letzten Hexenrat ausfallen lassen, um den dreimal verfluchten Grummelbart zu retten. Aber dann hat mir dein gefiederter Freund alles verraten. Und während wir uns hier gerade amüsieren, ist mein Uhu bereits in deinem Haus angekommen und vernichtet deine kostbaren Teetassen. GYAHAHAHAHA". Brokkolas Lachen klang schauderhaft. Clementine zitterte am ganzen Körper. Das waren ganz scheußliche Neuigkeiten. Sie hatte Kamilla zu Unrecht verdächtigt. Und was noch schlimmer war, dieser furchteinflößende Uhu war geschickt worden, die Tassen zu zerstören. Rhabarbara merkte offensichtlich, wie panisch sie wurde, denn sie sprach jetzt mit beruhigender Stimme auf Clementine ein. "Mach dir keine Sorgen Schwester. Die Tassen sind in Sicherheit. Ich habe einen ganz besonderen Wächter zum Aufpassen dort gelassen." Clementine zögerte. Diesen Ausdruck hatte sie schon einmal gehört. Genau, sie hatte Monsieur Neunzehn als einen besonderen Wächter bezeichnet. Aber konnte der dicke Kater etwas gegen den Uhu ausrichten? Clementine zögerte und überlegte, ob sie zum Haus eilen sollte. Dann biss sie sich auf die Lippe. Sie hatte schon die ganze Zeit den Fehler gemacht, ihren Freunden nicht zu vertrauen. Jetzt war es an der Zeit, ihnen zu vertrauen und ihren Teil beizusteuern. Wütend griff sie Brokkola an. Gemeinsam mit Rhabarbara schickte sie eine Menge Flüche auf die Oberhexe los. Das funktionierte leider kaum. Zu zweit konnte sie sich nicht zu einem Hexenkreis verbinden. Und wenn sie einzeln angriffen, kamen sie auch nicht durch Brokkolas Verteidigung. Clementine verzweifelte innerlich. Warum hatte sie Kamilla nur Schlafen geschickt? Die einzige andere Hexe aus der Gegend war Thymia, aber auch die war schon seit Tagen nicht mehr hier. Clementines Verzweiflung wuchs. Rhabarbara atmete schwer und wurde immer schwächer. Nicht mehr lange und die Oberhexe würde sie beide in Staub verwandeln oder vielleicht Schlimmeres. In diesem Augenblick hörte Clementine ein Geräusch vom Rand der Lichtung. Eine kleine schattenhafte Gestalt bewegte sich dort. Clementine erkannte schließlich Ru, die langsam zwischen den Bäumen hervorgestolpert kam. Sie hielt etwas in der Hand. Für einen Moment schien sie noch zu zögern, dann schloss sie die Augen und warf es nach Brokkola. Es war ein Stein. Das Kind hatte einen Stein auf die Oberhexe geworfen. Ru hatte gut gezielt, aber das half leider nicht viel. Der Stein flog auf Brokkola zu und wurde von einem unkontrollierten Stoß Magie getroffen. Daraufhin verwandelte er sich in eine gelbe Fledermaus und flog in den Nachthimmel davon. Clementine schrie Ru über den Lärm hinweg an: "DAS HILFT NICHTS. DU MUSST VON HIER VERSCHWINDEN!" Ru ging aber einfach weiter auf Brokkola zu, fest entschlossen zu helfen. Sie hob beide Hände in die Luft und richtete sie auf Brokkola. Sie schrie ein paar unverständliche Dinge. Und tatsächlich bewegte sie irgendwie ein wenig Magie. Der Zauber hatte allerdings keine Chance bis zu Brokkola durchzukommen. Es war aussichtslos, also war Clementine jetzt auch bereit für verzweifelte Taten. Sie begann sich für einen Hexenkreis zu verbinden. Zuerst versuchte sie sich mit Rhabarbara zu verbinden. Die alte Hexe erwiderte sofort die Verbindung. Das war schonmal gut, aber zwei Hexen reichten einfach nicht. Also drehte sich Clementine zu Ru um und öffnete die Verbindung für sie. "Ru, du musst deine Magie mit unserer verbinden!", rief sie dem Mädchen laut zu. "Versuche die Magie zu fühlen, die ich dir schicke und deine Magie mit mir zu teilen. Das ist unsere einzige Chance." Ru blickte sie mit großen Augen an. Brokkola lachte wieder fies. "Gyahaha, das ist also euer Plan? Ein Hexenkreis mit einem unausgebildeten kleinen Mädchen? Das ist lächerlich. Euer Ende ist gekommen!" Die Oberhexe lachte zwar fies, aber sie konzentrierte sich gleich wieder darauf, Rhabarbara zu überwältigen. Jede Menge verschiedenfarbiger Magieschläge surrten durch die Luft. Ru versuchte ihr bestes, sich mit Clementine zu verbinden, aber sie wusste nicht, was sie machen sollte. Unkontrolliert schickte sie kleine magische Lichter durch die Luft und schrie verschiedene Dinge. Das Licht, das von der Magie verursacht wurde, flackerte immer heftiger und die Bäume tanzten immer schneller. Clementines Herzschlag fühlte sich an, als würde er mit dem Rauschen auf der Lichtung verschmelzen. Sie blickte verzweifelt zu Rhabarbara, aber die alte Hexe hatte Mühe, überhaupt noch zu stehen. Dann drehte sie sich wieder zurück zu Ru. Das junge Mädchen hatte plötzlich die Augen geschlossen und stand ganz still da. Sie schien sich sehr genau auf etwas zu konzentrieren. Und dann geschah es. Ru gliederte sich in den Kreis der Hexen ein. Die Magie floss von einer Hexe zur anderen unter Clementines Kontrolle. Sie hatte den Kreis eröffnet und sie hatte jetzt vollen Zugang zu der Magie aller. Es war eine unglaubliche Kraft. Die Kraft von Rhabarbara war viel stärker als die von Clementine. Aber auch Ru besaß ein gewaltiges Potential. Sie würde vielleicht einmal sogar noch stärker werden als die Oberhexe. Die Kraft aller drei Hexen floss jetzt im Kreis und bildete einen Strudel um sie. Dagegen war die Kraft der Oberhexe gar nichts. Ihre Flüche verpufften im Strudel der Magie. Brokkola schrie verzweifelt auf und fluchte immer panischer. Clementine wurde ganz ruhig. Sie hatte keinen Grund mehr zur Eile. Gegen die Kraft des Hexenkreises konnte Brokkola nichts mehr tun. Langsam und sehr deutlich sprach Clementine ihre Beschwörung. Sie musste nicht lange überlegen, was zu tun war. Mit einer gewaltigen Kraft schickte sie ihre Magie auf Brokkola. Diese konnte dem nicht standhalten. Sie wurde von der Magie eingehüllt und verschluckt. Als der Zauber gewirkt war und das grelle Licht der starken Magie wieder verblasste, war Brokkola verschwunden. An ihrer Stelle lag nur noch eine grün-schwarz gestreifte Teekanne.

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