Kapitel 16 - Nächtlicher Besuch

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Clementine wachte nachts auf, weil sie lautes Vogelkrächzen und Lärm hörte. Sofort eilte sie die Treppe hinunter und in die Wohnstube. Es war komplett finster. Bereits im Laufen hatte Clementine Magie in sich aufgenommen und mit einer einzigen Beschwörung entzündete sie auf einen Schlag alle Kerzen im Raum. Dann sah sie den Ursprung des Lärmes. Auf dem Boden rollte ein schwarzes Federknäuel, das laut krächzte. Sie erkannte Kalixtus, der mit einem Raben kämpfte, der ein gutes Stück größer war als er selbst. Das plötzliche Licht schien die beiden erschreckt zu haben und ließ sie kurz innehalten. Als der Rabe den Kopf drehte und Clementine erblickte, löste er sich von Kalixtus und stieg in die Luft auf. Pfeilschnell flog er auf das offene Fenster zu. Clementine hatte schon erkannt, dass der Rabe in Brokkolas Diensten stehen musste. Sie war noch nicht sicher, was hier passiert war, aber sie konnte ihn nicht entkommen lassen, ohne den Grund für dieses Ereignis zu kennen. Schnell sprach sie einen Zauber, der das Fenster direkt vor dem Raben zuschnellen ließ. Der Rabe krachte dagegen und flog direkt wieder los. Dieses Mal auf den Kamin zu. "Cleveres Biest", dachte sich Clementine. Aber jetzt war sie hellwach und der Vogel damit chancenlos. Mit einem Zauberspruch warf sich der Kaminrost vor den Kamin und ein zweiter Zauberspruch fesselte den Vogel. Im Rausch der Magie warf Clementine ihre gut vorbereitete Reihe von Beschwörungen auf den Raben und verwandelte ihn an Ort und Stelle in eine kleine schwarze Tasse. Diese ließ sie dann langsam auf den Tisch schweben.

Anschließend rannte Clementine sofort zu Kalixtus. Er sah gar nicht gut aus. Kalixtus blutete an mehreren Stellen und hatte einige Federn verloren. Trotzdem redete er sofort drauf los:

"Clems, er wollte das Teeservice kaputt machen! Ich konnte ihn aber noch aufhalten. Keine einzige Tasse ist kaputt gegangen. Er kam durch das Fenster, aber ich hab aufgepasst. Ich hab alle Kinder beschützt, Clems." Aufgeregt versuchte er mit den Flügeln zu schlagen. Clementine unterbrach ihn gleich. "Bleib jetzt ruhig Kalixtus. Du hast das wirklich großartig gemacht. Aber du bist sehr stark verletzt und musst dich jetzt ausruhen." Während sie sprach, flogen eine kleine Flasche und eine Pipette in ihre Hand. "Mach jetzt mal den Schnabel auf." Gehorsam öffnete Kalixtus den Schnabel und Clementine tröpfelte ein wenig von der Flüssigkeit hinein. Dann plapperte Kalixtus sofort wieder los: "Der Rabe kam doch von der Oberhexe, oder? Heißt das, sie kennt jetzt dein Geheimnis? Was machen wir denn jetzt, Clems?" Langsam wurde Kalixtus still. Der Trank, den Clementine ihm eingeflößt hatte, enthielt ein Schlafmittel. Außerdem half er dabei, dass Kalixtus Körper Kraft bekam, um sich zu heilen. Es gab keine Magie zum Heilen. Das war viel zu kompliziert. Ein Körper konnte sich nur selbst heilen, alles, was Clementine tun konnte, war ihm dabei zu helfen. Vorsichtig bettete sie Kalixtus in einen Korb. Daneben stellte sie einen Teller mit eingelegten Himbeeren und etwas Milch, für den Fall, dass er hungrig aufwachen könnte.
Nachdem sie sich um Kalixtus gekümmert hatte, kroch die Panik durch Clementine. Kamilla musste sie an Brokkola verraten haben. Die Oberhexe kannte offensichtlich ihr Geheimnis und jetzt, wo die Woche abgelaufen war, und Ru nicht beseitigt worden ist, hatte sie ihren Raben geschickt, um das Teeservice zu zerstören. Wenn der Botenrabe von seinem Ausflug nicht wieder zurückkam, dann würde Brokkola vielleicht selbst in den Fliedergrund kommen. Vielleicht war sie ja auch schon unterwegs!


Nachdem Clementine sich hastig angezogen hatte, eilte sie aus ihrem Haus. Sie pfiff zweimal nach ihrem Besen. Der brauchte einen Moment, weil er anscheinend gerade erst aufgewacht war, kam dann aber ein wenig schläfrig angesegelt. Clementine stieg auf ihren Besen und hob ab in die Lüfte. Sie wollte schnell zum Wald, um Rhabarbara zu treffen. Sie musste mit ihr reden und sie vor Brokkola warnen. Vor allem musste sie das schaffen, ohne dass Kamilla etwas davon mitbekam. Clementine lief der kalte Schweiß den Nacken hinunter. Sie hatte es jetzt mit Brokkola und Kamilla zu tun. Wie sollte sie gegen die beiden ankommen? Brokkola war die mächtigste Hexe, die sie je getroffen hatte. Sogar noch mächtiger als Rhabarbara. Clementine konnte nur hoffen, dass etwas Zeit blieb, um weitere Verbündete zu finden.
Als Clementine am Wald ankam, sah es für sie so aus, als würde er leuchten. Das lag daran, dass die Hexenschwestern die ganze Magie im Boden in Aufruhr versetzt hatten. Es war so, dass sich die Hexen schon vor Ewigkeiten das Fest zur Sommersonnenwende ausgedacht hatten In dieser Nacht gingen alle gewöhnlichen Menschen ins Dorf um zu feiern. Und während sich niemand in den Wäldern herumtrieb, sprachen die Hexen eine Beschwörung die den Fluss der Magie noch mehr in Bewegung setzte. In dieser einen Nacht zeigten sich viele der Pflanzen, die sich sonst vor den Menschen versteckten. So wie Mondmorcheln, Fiesstöckel, Waldschläfer und noch einige andere. Mondmorcheln waren von ihnen am Beliebtesten, weil sie vielseits nützlich waren und ungefährlich zu Pflücken. Fiesstöckel hingegen eignete sich kaum zum Tränkebrauen und außerdem kannte diese Pflanze echt die gemeinsten Schimpfwörter.

Clementine landete am Waldrand, um zu Fuß weiterzugehen und die beiden anderen zu suchen. Sie sah, dass diese Nacht besonders viel Waldschläfer zum Vorschein gekommen war. Waldschläfer war verwandt mit dem Waldmeister. Er zeigte sich auch nur selten und das war wahrscheinlich auch besser so. Denn wenn man ihm zu nahe kam, wurde man nämlich furchtbar müde und schlief sehr schnell ein. Clementine hielt sich sowohl vom Waldschläfer, als auch von den Fiesstöckeln fern und suchte nach Rhabarbara und Kamilla. Sie traute sich nicht zu rufen, weil sie hoffte, Rhabarbara zuerst zu finden und mit ihr reden zu können. Zumindest, falls diese gerade alleine war. Clementine lief tiefer in den Wald. Sie ärgerte sich, dass sie ihre magische Brille nicht mitgenommen hatte. Damit wäre ihr das Suchen bestimmt viel leichter gefallen. Sie blickte sich hektisch in alle Richtungen um und lief gerade um ein Gebüsch herum, als plötzlich und völlig unerwartet eine Gestalt zwischen den Bäumen vor ihr stand. Es war Kamilla.

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