Zwischenkapitel - Ein besonderer Kater

9 1 0
                                    

Ludwig der Neunzehnte streckte sich lange und ausgiebig. Das war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Sich zu strecken. Seine anderen Lieblingsbeschäftigungen waren das Flanieren, das Schmausen und Konversieren. Flanieren war ein elegantes Wort für Spazieren. Schmausen bedeutet zu essen und Konversieren heißt soviel wie sich zu unterhalten.
Ludwig der Neunzehnte mochte Wörter, die beeindruckend klangen. Er hielt sich selbst für beeindruckend und er fand, es sollten ruhig auch alle anderen wissen, dass er ein beeindruckender Kater war. Und das er elegant war. Leider war ihm noch kein beeindruckendes Wort für das Strecken eingefallen. So musste er sich fürs erste damit begnügen.
Seine ihm untertänige Hexe hatte ihn gebeten, heute noch einmal mit der jungen Lehrerin-Hexe zu sprechen. Seine untertänige Hexe, das war die alte Rhabarbara. Andere waren der Meinung, dass sie seine Herrin war. Aber diese Leute hatten keine Ahnung. Und was kümmerte Ludwig den Neunzehnten schon die Meinung des gemeinen Volkes. Aber obwohl er fand, dass die Hexe Rhabarbara in erster Linie seine Untergebene war, so tat er ihr trotzdem ganz gerne mal einen Gefallen. Die Hexe hatte sich in letzte Zeit sehr hingebungsvoll darum gekümmert, dass er sowohl gut Konversieren, als auch ausgiebig Schmausen konnte. Das Flanieren und das Strecken musste Monsieur Neunzehn leider noch selbst erledigen.

Nachdem er sich also ausgiebig gestreckt hatte, flanierte er los, um die Junge Lehrerin-Hexe zu besuchen. Sie war noch keine 150 Jahre alt und noch ganz neu im Ort. Aber Monsieur Neunzehn mochte sie. Sie wusste wie man sich anständig benahm und man konnte gut mit ihr konversieren. Allerdings schien die junge Clementine sich allzu schnell in die verschiedensten Probleme zu verrennen. Monsieur Neunzehn war ihr schon einmal begegnet, in der Erwartung, dass Sie ihn um seine Hilfe bitten würde. Damals schien die junge Hexe aber gar nicht auf den Gedanken gekommen zu sein. Also wollte er sie heute noch einmal aufsuchen, um ihr die Chance zu bieten. Eine einfache Bitte und Monsieur Neunzehn würde ihre Probleme mit einem Schlag beiseite wischen. Aus reiner Gutmütigkeit.

Also gut, er würde seine Hexe schicken, die Probleme zu lösen. Und tatsächlich war die Hexe Rhabarbara diejenige, die auf die Idee gekommen war, der jungen Clementine zu helfen. Allerdings verboten es die albernen Sitten der Hexen, dass eine Hexe bei etwas half, bevor sie darum gebeten wurde. Was genau das für Probleme waren, die die junge Hexe hatte, hatte Monsieur Neunzehn sich auch gar nicht gemerkt. Es ging wohl um die Kinder in seinem Reich und um diese unsägliche Hexe Brokkola. Monsieur Neunzehn war ihr schon ein paar Mal begegnet und nie hatte sie ihm den gebührenden Respekt gezollt. Und sie hatte auch kein Gefühl dafür, was es hieß, richtig zu Konversieren oder zu Schmausen. Also wenn es darum ging, dieser unsäglichen Hexe Steine in den Weg zu gehen, dann war Monsieur Neunzehn immer einverstanden.

Er flanierte also durch den Fliedergrund und begutachtete seinen Grund und Boden. Im Prinzip fand Monsieur Neunzehn, dass alles irgendwie ihm gehörte. Als er bei dem Garten von Clementine ankam, lächelte er zufrieden. So sollte es auf seinem Grundstück aussehen. Wild, aber beeindruckend und schön, war der Garten der jungen Hexe. Monsieur Neunzehn überlegte, sie auch im Garten seines derzeitigen Wohnsitzes arbeiten zu lassen. Müde gähnend betrat er den Garten und sah die junge Hexe. Sie saß auf einem Baumstamm und trank Tee. Er begrüßte sie und sie grüßte freundlich zurück. Dann schwiegen beide eine Weile. Monsieur Neunzehn ärgerte sich ein wenig. Er musste der Hexe wohl noch mehr entgegenkommen, bis sie ihn um Hilfe bitten würde.

Also sprach er sie noch einmal an: "Haben Sie sich gut eingelebt, Madame Hexe?".
Clementine lächelte ihn freundlich an. "Ja, ich denke schon.", antwortete sie. Also fragte Monsieur Neunzehn weiter nach. "Haben Sie alles, was sie brauchen?", fragte er als Nächstes. Clementine lächelte ihn verwundert an. "Ich denke, ich habe sogar mehr als ich brauche.", erwiderte sie wieder in ihrem freundlichen Ton. Monsieur Neunzehn war jetzt schon etwas genervt. Musste er wirklich noch deutlicher werden? Also atmete er tief durch. "Wenn Sie etwas brauchen sollten, zögern Sie nicht, mich zu fragen.", sagte er in einem bedeutungsvollen Tonfall. Die junge Hexe blickte ihn jetzt ganz verdutzt an. "In Ordnung, das werde ich machen.", antwortete sie. Dann schwiegen beide wieder. Jetzt reichte es Monsieur Neunzehn allerdings. Das musste das junge Ding doch jetzt verstanden haben. Aber wenn sie seine Hilfe nicht wollte, dann war sie wirklich selbst Schuld. Beleidigt machte er sich wieder auf den Weg, ohne sich vorher zu verabschieden. Er ließ eine sichtlich verwirrte Clementine zurück.


Als Monsieur Neunzehn wieder zuhause ankam, war er immer noch verärgert und gar nicht in der Stimmung zu konversieren. Also legte er sich erst einmal auf die Veranda, um sich ein kurzes Nickerchen in der Sonne zu genehmigen. Allerdings verlief auch das Nickerchen nicht so wie geplant. Kaum hatte er die Augen geschlossen, plagte ihn ein schlimmer Alptraum. Er träumte von einem reich gedeckten Tisch, auf dem sich allerlei Köstlichkeiten erstreckten. Aber jedes Mal, wenn Monsieur Neunzehn in eine gebratene Wachtel beißen wollte, oder wenn er seine Pfote nach gebackenem Huhn ausstreckte, flog das Essen vor ihm weg und beschimpfte ihn mit einigen wirklich schlimmen Ausdrücken.
Monsieur Neunzehn war aber kein gewöhnlicher Kater. Er war einige hundert Jahre alt und er war auch der Herrscher über diese Gegend. Zumindest nach seiner eigenen Einschätzung. Er wusste auch, wie er seine eigenen Träume beherrschte. Mit einigen entschlossenen Gedanken wischte er die Alpträume beiseite und leerte seinen Geist. Zu seiner Überraschung war sein Geist immer noch nicht ganz leer. Als die Bilder in seinem Kopf sich auflösten, blieb ein dunkler Schatten vor dem Kater zurück. Und dieser Schatten starrte Monsieur Neunzehn mit glühend roten Augen an. Es wurde ja schon gesagt, dass Monsieur Neunzehn ein besonderer Kater war.

Und so war er ein Herrscher seines Verstandes und seiner Träume. Bei diesem Anblick wären die meisten Leute in Panik geraten. Nicht aber Monsieur Neunzehn. Er verwandelte sich in seinem Traum in einen riesengroßen Löwen, der Feuer spuckte und sprang auf den Schatten zu. In dem Augenblick, in dem er ihn erreichte, löste sich der Schatten auf. Monsieur Neunzehn erwachte schaudernd und sah sich um. Er brauchte einen Momen um sich wieder zurechtzufinden. Er war wieder auf der Veranda. Langsam begriff er, was passiert war. Das war ein ernstzunehmendes Problem, dass er mit seiner Hexe besprechen musste. Der Schwarze Mann war zu ihnen gekommen.

Das Verwunschene TeeserviceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt