Zwischenkapitel - Ein besonderes Mädchen

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Nachdem Monsieur Neunzehn an diesem Abend ausgiebig geschmaust hatte, lag ihm das Essen recht schwer im Magen. Er entschied sich also für einen kleinen Verdauungsspaziergang. Natürlich wäre er lieber flaniert, aber mit einem vollen Magen flaniert es sich nicht so gut. Also spazierte er durch das Dorf. Er entschied sich mal nach seinen Untertanen zu sehen. Seine Hexe hatte ihm erzählt, dass der alte Pfarrer verletzt war. Da schadete es nicht, wenn Monsieur Neunzehn mal nach dem Rechten schaute.
Er kam zu Grammelburts Haus und sah, dass dort spät am Abend noch Licht brannte. Zuerst lief er durch den Garten. Dabei schaute er sich die Apfelbäume an und stellte fest, dass diese frisch geerntet waren. Das wunderte den Kater ein wenig. War der Alte nicht beim Pflücken gestürzt? Aber vielleicht war er ja schon fertig gewesen. Der Kater schlenderte weiter durch den Garten. Die Haustür und einige der Fenster standen offen. Er sprang auf eines der Fensterbretter und sah den Alten in seinem Bett liegen. Monsieur Neunzehn schnupperte. Es roch nach altem Mann. Trotzdem roch es gleichzeitig ungewöhnlich frisch. Außerdem bemerkte er jetzt auch einen vollen Teller neben dem Bett des Alten stehen. Brot, Obst, Käse und Wasser standen dort für ihn bereit. Alles noch frisch. Das Bett war auch vor kurzem erst bezogen worden und der Boden sauber gefegt. Monsieur Neunzehn wunderte sich. So reinlich hatte er den alten Pfarrer gar nicht in Erinnerung gehabt.
Der Kater sprang wieder in den Garten und dann zum nächsten Fensterbrett. Von dort aus konnte er in die Küche blicken. Dort stand ein kleines Mädchen und machte den Abwasch. Das musste die Enkeltochter des Pfarrers sein. Das freche Mädchen mit dem magischen Potential. Ständig redeten die Hexen über sie. Von dem, was Monsieur Neunzehn gehört hatte, war sie ungezogen und eigenwillig. Aber als er sie so sah, wirkte sie ganz anders auf ihn. Mit hochgekrempelten Ärmeln stand sie da und spülte das Geschirr. Sie brauchte einen Hocker, damit sie überhaupt an das hohe Waschbecken herankam. Das Mädchen sah sehr geschafft aus und ihr fielen immer wieder die Augen zu. Monsieur Neunzehn sah ihr dabei zu, wie sie den Abwasch fertig machte. Er dachte, sie würde danach ins Bett gehen. Stattdessen lief das Mädchen los und ging ins Zimmer ihres Großvaters. Monsieur Neunzehn lief wieder zurück zum ersten Fenster, das immernoch offen stand. Die junge Ru sah nach ihrem Großvater, schüttelte noch einmal sein Kissen auf und brachte ihm ein Glas frisches Wasser. Dann schloß sie das Fenster. Sie bemerkte Monsieur Neunzehn nicht einmal, der außen auf dem Fensterbrett saß und sie beobachtete.
Der Kater sprang in den Garten und ging dann einfach ins Haus, um sich die Sache weiter anzusehen. Die Haustür stand wie bei vielen Häusern im Fliedergrund einfach offen. Monsieur Neunzehn freute sich darüber, dass es in seinem Reich so sicher war, dass es viele nicht für nötig hielten die Türen zu schließen. Drinnen angekommen sah er, wie das junge Mädchen jetzt durch die Räume ging und die Kerzen ausblies. Sie war scheinbar so müde, dass sie die Hälfte der Kerzen vergas. Außerdem stieß sie beim Gehen zweimal gegen einen Türrahmen. Monsieur Neunzehn folgte ihr bis in ihr Zimmer. Dort legte sie sich einfach mit ihrer Kleidung aufs Bett und schlief auf der Stelle ein. Monsieur Neunzehn musste seufzen. Es war herzzerreißend zu sehen, wie sich dieses kleine Mädchen allein um alles kümmerte. Jetzt verstand er auch, warum die Hexen der Meinung waren, dass Ru ein besonderes Mädchen sei. Er kletterte auf ihr Bett und zog die Bettdecke über sie. Dann ging er durchs Haus und blies die restlichen Kerzen aus. Er sah, dass die Tür der Vorratskammer noch offen stand. Er ging hinein um sicherzugehen, dass sich dort noch keine Mäuse eingenistet hatten. Zum Glück fand er keine. Zum Glück für die Mäuse, muss man wohl sagen. Monsieur Neunzehn war nämlich ein hervorragender Mäusejäger. Danach schloss er die Tür der Speisekammer und auch noch alle offenstehenden Fenster und die Haustür. Am Ende musste er selbst etwas gähnen. Für einen Kater sind solche Aufgaben viel schwerer als für einen Menschen. Katzen haben ja auch keine Daumen. Monsieur Neunzehn entschied sich, dass das so nicht weitergehen konnte. Morgen würde er jemanden schicken, der dem Kind etwas Arbeit abnehmen sollte. Monsieur Neunzehn fand nämlich, dass die Kinder in seinem Reich immer auch Zeit zum Spielen haben sollten.

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