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IN der Vorweihnachtszeit laufen die einzigen Traditionen ab, die ich nicht nervtötend und überflüssig finde. Das Backen von Plätzchen, das Gucken von Weihnachtsfilmen und die kribbelnde Vorfreude beim Verpacken der Geschenke empfinde ich nicht als mühselig. Jedes Jahr hat es mich mit Freude erfüllt, endlich wieder in diesen bekannten Trott verfallen, mir meine Weihnachtssocken anziehen und die Kuscheldecken hervorkramen zu können.

Das erste Mal haben sich diese Traditionen nach dem Tod meiner Mutter verschoben.
Plötzlich waren es weniger Plätzchen, die mein Vater und ich backten, und von der geringen Anzahl, die es in den Ofen geschafft haben, hatten wir einige wegen Ungenießbarkeit entsorgen müssen.
Wir schauten weniger Weihnachtsfilme, weil uns ihre melodische Stimme fehlte, die das Geschehen kommentierte wie ein Sprecher beim Fußballspiel.
Und schlussendlich waren es weniger Geschenke, die ich voller Freude auf die Reaktionen verpacken konnte. Es waren nur noch mein Vater und ich übriggeblieben – und jetzt war auch er fort.

Diesen Dezember habe ich weder gebacken, noch Weihnachtsfilme gesehen oder ein Geschenk eingepackt. Dabei ist schon in vier Tagen Heiligabend.
Doch warum soll ich diesen Traditionen nachkommen, wenn ich niemanden habe, mit dem ich sie teilen kann?

Ich weiß, dass es meine Entscheidung war, dieses Jahr allein zu feiern. Tante Melissa hatte mir angeboten, sie und meine Cousinen zu besuchen und mit ihnen singend und mit veganem Essen Weihnachten zu feiern. Ich habe ihre Einladung aus mehreren Gründen abgelehnt. Zum einen, weil ich bis zum Auszug aus meinem Elternhaus noch einiges zu erledigen, und mich zu verabschieden habe. Zum anderen aus dem Grund, dass ich sie und meine jüngeren Cousinen schlichtweg nicht ausstehen kann.

Drei Tage unter ihrem Dach zu verbringen wäre der Hölle auf Erden gleichgekommen – und durch diese bin ich nach dem Tod meines Vaters vor einem halben Jahr oft genug spaziert.

Ich beuge mich über den alten Tisch aus dunkler Eiche und angle mir aus der Dose eine weitere Kokosmakrone. Gestern waren sie zusammen mit selbstgebackenem Lebkuchen und Mandelplätzchen vor meiner Haustür erschienen. Backen ist das Einzige, was Tante Melissa gut kann. Da sie aber direkt bei unserem Gespräch, in dem ich ihre Einladung ausgeschlagen habe, angekündigt hat, mir wenigstens ein paar kleine Freunden zu schicken, war ich um die verpasste Gelegenheit, von ihren Plätzchen zu probieren, nicht mehr traurig gewesen. Zuhause und ohne ihr ständiges Gerede schmecken sie noch ein Stück besser.

Helle Krümmel laden neben meiner Kaffeetasse, die eine verschneite Winterlandschaft unter einem sternenklaren Himmel zeigt. Mit der flachen Hand wische ich sie vom Tisch und nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie sich gleich jemand über die mickrigen Reste hermacht.

Ich schiebe mir das Gebäck mit einem Mal in den Mund und schließe die kalten Hände um die dampfende Tasse, während mein Blick nach unten wandert.
Die Schnauze meiner Australian Shepherd Hündin hastet über den alten Teppich und sucht verzweifelt nach etwas Essbaren, als habe ich ein Stück Fleisch vom Teller gefegt – und sie sei am Verhungern, was sie sich regelmäßig einbildet.

Mandelförmige, braune Augen starren mich an, als sie ihre Suche abbricht und sich neben meinen Stuhl setzt. Ihre Augen werden gerahmt von rötlichem Fell, das sich auf dem Rest ihres schneeweißen Felles als einzelne Flecken ausbreitet. Ihre Pfoten hingegen zieren kaum solche Kleckse. Sie sind hell wie der reinste Schnee und erwecken den Eindruck, sie trüge Söckchen.

Anouk erwidert meinen Blick und wirkt dabei genauso nachdenklich wie ich, wobei ich bezweifle, dass sie ähnliche Probleme ausfechtet. Vermutlich überlegt sie, wie sie mich am besten auf ihren knurrenden Magen oder den noch ausstehenden Spaziergang aufmerksam machen kann.

Als wäre sie zu keinem eindeutigen Entschluss gekommen, robbt sie näher an den Stuhl heran und platziert ihren Kopf auf meinem Bein. Neugierig sieht sie zu mir nach oben und ich kann nicht anders, als meine Hand auf ihren Kopf zu legen und ihr sanft über das weiche Fell zu streicheln.

Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt