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HERUMWIRBELNDE Schneeflocken lassen mich die Augen zusammenkneifen. Die Dunkelheit und der Sturm sorgen dafür, dass man nur wenige Meter weit sehen kann. Der Schnee hat jeden freien Zentimeter unter seiner glänzenden Pracht begraben, die durch das Licht der Straßenlaternen aufreizend funkelt.

Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich die Umgebung mit den Augen absuche und den Fremden nicht mehr sehen kann. Das leise Gefühl beschleicht mich, dass ich gerade auf einen Betrug reingefallen und einen großen Fehler begangen habe, als ich eine dunkle Gestalt am Fuße der Veranda entdecke. Sie steht im Schutz einer der Säulen, die das kleine Dach hält. Trotzdem wird der junge Mann nicht komplett von dem Sturm beschützt, der ständig versucht, ihm die Kapuze aus dem Gesicht zu schieben. Immer wieder schiebt er sie vor die Augen, bevor er einen zaghaften Schritt nach vorne macht und in das Licht tritt, das von zwei kleinen Laternen stammt, die jeweils rechts und links neben der Eingangstür angebracht sind.

»Hallo.« Er hebt vorsichtig eine Hand zum Gruß, die er zügig wieder in die Tasche seines Mantels gleiten lässt. Nur vereinzelt hat er diesen zugeknüpft und ich wundere mich kaum darüber, dass er zu frieren scheint.

»Hallo«, erwidere ich leise. Anouk gibt ein helles Bellen von sich und tritt aufgeregt von einer Vorderpfote auf die andere, nachdem ich sie dazu angewiesen habe, sich hinzusetzen. Instinktiv kralle ich meine Finger tiefer in ihr Halsband, obwohl sie nicht die Anstalten macht, sich loszureißen und nach draußen zu rennen.

»Mein Name ist Tristan«, stellt er sich vor. Erneut macht er einen weiteren Schritt nach vorne und steht somit auf der untersten Stufe der Treppe. Jetzt ist er derjenige, der die Kapuze nach hinten schiebt und mir einen Blick in sein Gesicht erlaubt.

Tristans dunkelblaue Augen mustern mich aufmerksam. Sie werden gerahmt von dichten Wimpern, die in ihrer Farbe seinen pechschwarzen Haaren zu ähneln scheinen. Diese stehen ihm wirr vom Kopf ab und der Wind tut sein Übriges, indem er immer wieder Strähnen durcheinanderbringt. Ein leichter Bartschatten ziert den Bereich von Wangen und Kinn und verleiht dem kindlichen Blick einen erwachsenen Zug.

»Anastasia.«

Ein unbekanntes Kribbeln huscht durch meinen Magen und ich räuspere mich leicht, um es zu vertreiben. Den Unbekannten attraktiv zu finden, ist in dieser Situation mehr als unangebracht.

»Mein Wagen ist nicht mehr der neuste und ich glaube, dass er mit der Kälte nicht so gut klarkommt.« Mit dem Daumen deutet er über die Schulter in meine Auffahrt, an dessen Ende ich die Umrisse eines Wagens erkennen kann. Er steht seitlich und blockiert die Straße zu meinem Haus.

»Es wäre überaus freundlich, wenn ich meine Familie oder den Abschleppdienst anrufen könnte. Es dauert auch nicht lange, aber ich kann mein Handy nicht benutzen, da der Akku aufgebraucht ist.« Bittend sieht er zu mir auf. Seine Stimme ist warm und melodisch und ich erwische mich dabei, wie ich mir wünschte, er würde mehr Worte mit mir sprechen. Dabei ignoriere ich die leise Stimme in meinem Kopf, die mich darauf aufmerksam machen möchte, dass das ziemliche viele Zufälle zu unserem Treffen geführt haben.

»Warten Sie hier, ich hole das Telefon.« Ich deute mit dem Zeigefinger auf seine Position, ziehe Anouk zurück ins Haus und lehne die Tür an, bevor ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer mache. Meine Füße fliegen beinahe über den Laminat und ich erwische mich dabei, wie ich immer wieder einen Blick zur Tür werfe. Natürlich rede ich mir ein, nur nach Anouk zu sehen und sicherzustellen, dass sie nicht nach draußen rennt. Eigentlich aber überprüfe ich, ob sich der Fremde zutritt zu meinem Haus verschafft.

Eine bekannte Schwere legt sich auf meinen Magen und ich versuche zügig den Gedanken an fremde Menschen in meinem Elternhaus abzuschütteln. Seit Jahren war hier niemand mehr, der nicht auf irgendeine Art und Weise mit uns verwandt, oder schon jahrelang mit mir befreundet ist. Und daran soll sich auch niemals etwas ändern.

Vanilleherzen ₂₀₂₂ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt